Hier der erste Impuls zu den "12 Heiligen Nächten" - heute von Fabian Marx:
Alljährlich am zweiten Sonntag im Dezember wird der weltweite "Candle lighting Day" begangen. Eltern trauern um ihre verstorbenen Kinder und stellen um 19.00 Uhr eine brennende Kerze ins Fenster. Der Verein "Verwaiste Eltern Erfurt eV" lud wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr nicht in die Michaeliskirche zum Gedenkgottesdienst. Statt dessen wurde der Gottesdienst in der Reglerkirche aufgezeichnet und ins Netz gestellt. Auch die Thüringer Abendschau im mdr berichtete am Sonntag vom Gottesdienst, den Br. Jeremias mit den Beraterinnen gestaltete.
Confessiones IV 7:
„O Irrwahn, der Menschen nicht menschlich zu lieben versteht! O törichter Mensch, der Menschliches maßlos leidet! So war ich damals. Ich war in Aufruhr, ich seufzte und weinte und war verstört, und alle Ruhe war dahin und aller Verstand. Ich trug meine Seele zerschlagen und blutend herum, und hielt es nicht aus, dass ich sie noch trug, und ich fand doch keine Stätte, sie niederzulegen. Nirgend kam sie zur Ruh
nicht im lauschigen Hain,
nicht bei Spiel und Gesang;
weder im salbenduftenden Bad,
noch beim wohlbereiteten Mahl –,
noch im Lager und Bett mit ihrer Lust;
auch nicht über Buch und Gedicht.
Alles war mir zum Überdruss, selbst das Licht, und alles, was nicht war, was er gewesen, war mir anstößig und verleidet, erwünscht nur Seufzer und Tränen; denn darin allein fand meine Seele einigermaßen Ruhe; aber sowie sie davon abgezogen wurde, lastete auf mir mein Elend mit seiner ganzen Wucht.“
Als sein bester Freund nach kurzer Krankheit stirbt, versinkt Augustinus in einem Meer von Trauer bis hin zum Selbstmitleid. Nichts ist mehr wie früher. Alles scheint den Sinn verloren zu haben. Schönheit und Musik, ja sogar gutes Essen – nichts kann ihm mehr Freude machen.
Vielleicht haben Sie auch schon einmal so getrauert. Man verliert die Lust zu leben. Vielleicht gibt es sogar tief drinnen den Gedanken: „Wie konntest du, der gegangen ist, mir das nur antun?!“ – All das kann Teil der Trauer sein. All das muss man vielleicht so zulassen, damit die Trauer durchlebt wird – und irgendwann dem Trost den Raum überlässt.
Ich begrüße Sie alle herzlich zu diesem Trauergottesdienst am Allerseelentag. Wir gedenken der Menschen, die uns schon genommen wurden. Vielleicht sind wir mit dem ein oder anderen Sterben noch lange nicht im Frieden. Vielleicht gönnen wir anderen aber auch den Tod, weil wir wissen, sie sind erlöst und nun gut geborgen in Gottes Nähe.
Wir feiern heute Abend die Eucharistie: den Dank an Gott, weil er uns mit all diesen Menschen in Verbindung gebracht hat, weil er uns durch sie reich beschenkt hat, weil wir nichts zurückgeben können, was wir ihnen verdanken, außer wenn wir ihrer vor Gott am Altar gedenken.
Heute Abend nähren wir nicht das Selbstmitleid, sondern vor allem das Vertrauen, dass wir nie aus Gottes Güte herausfallen können, ja dass selbst der Tod uns das Entscheidende schenken muss: das ewige Leben bei Gott.
Ich danke Madlen Kanzler für die musikalische Gestaltung. Deine Musik soll unsere Gedenken vertiefen und uns zum Trost erklingen. Danke auch Nic Elß für die Vorbereitung und Auswahl der Augustinus-Texte, die (fast) alle den Confessiones entnommen sind.
Bitten wir den HERRN, dass er uns weit mache, Schuld und Sünde von uns nehme und unsere Trauer wandle mit dem Trost, den ER allein geben kann.
Confessiones IV 9:
„Selig, wer dich liebt und den Freund in Dir und den Feind um Deinetwillen. Denn der allein verliert keinen Teuren, dem alle teuer sind in dem, den man nicht verliert. Und das ist allein unser Gott, [...], der Himmel und Erde geschaffen hat und alles Erschaffene erfüllt.“
Confessiones I 13:
„Groß bist du, Herr, und hoch zu preisen“, und "groß ist deine Macht und deine Weisheit unermesslich". Und preisen will Dich der Mensch, ein kümmerlicher Abriss deine Schöpfung, ja der Mensch, der herumschleppt sein Sterbewesen, herumschleppt das Zeugnis seiner Sünde und das Zeugnis, dass Du „den Hochfährigen widerstehst“.
Und dennoch preisen will Dich der Mensch, ein kümmerlicher Abriss Deiner Schöpfung.
Du selber reizest an, dass Dich zu preisen Freude ist; denn geschaffen hast du uns zu Dir, und ruhelos ist unser Herz, bis es seine Ruhe hat in Dir… Denn wer ihn sucht, wird ihn finden, und wer ihn findet, wird ihn preisen. Ich will Dich suchen, mein Herr, mit meinem Rufen, und ich will dich rufen, indem ich an Dich glaube, denn verkündigt worden bist du uns. Herr, es ruft Dich mein Glaube, der Glaube, den Du mir gegeben hast, den Du mir eingegeben hast durch das Menschsein deines Sohnes, durch das Amt Deines Predigers.
In Wahrheit ist es würdig und recht,
dir, Herr, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott,
immer und überall zu danken durch unseren Herrn Jesus Christus.
In ihm erstrahlt uns die Hoffnung, dass wir zur Seligkeit auferstehn.
Bedrückt uns auch das Los des sicheren Todes,
so tröstet uns doch die Verheißung der künftigen Unsterblichkeit.
Denn deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen.
Und wenn die Herberge der irdischen Pilgerschaft zerfällt,
ist uns im Himmel eine ewige Wohnung bereitet.
Darum singen wir mit den Engeln und Erzengeln, den Thronen und Mächten
und mit all den Scharen des himmlischen Heeres den Hochgesang von deiner göttlichen Herrlichkeit:
Herr Gott, gib uns den Frieden, den Frieden der Ruhe ohne Ende; wo wir ganz dir anhangen werden, mit unserem ganzen Sein. Dann wird uns kein Schmerz mehr quälen und keine Plage bedrücken. Dann wird unser Leben, ganz von dir beseligt, das wahre Leben sein.
Gott, von dir weggehen heißt sterben, zu dir zurückkehren heißt auferstehen, in dir sein heißt leben.
„In all ihrer Nichtigkeit bekennt meine Zunge „Deiner Hoheit“, dass Du es bist, der Himmel und Erde gemacht hat. Diesen Himmel, den ich sehe, und die Erde, die ich trete, und von wannen auch dieser Erdenstaub genommen ist, den ich trage: Du hast sie gemacht.
Aber wo ist „der Himmel des Himmels“, Herr, von dem uns Kunde wird im Psalm: "Der Himmel des Himmels ist dem Herrn, aber die Erde gab er den Menschenkindern“? Wo ist der Himmel, den wir nicht sehen, und dem verglichen all das, was wir sehen, Erde ist?
Denn dieses körperhafte Allganze, das ja nicht in jeglichem Einzelnen all-ganz ist, hat zwar noch in seinen äußeren Bereichen die Schöne empfangen, der unsere Erde hier der tragende Boden ist, aber im Vergleich mit jenem „Himmel des Himmels“ ist selbst auch unser irdischer Himmel nur Erde, und diese Beiden großen Weltkörper bilden zusammen das, was nicht unpassend schlechthin die Erde heißt, nämlich gegenüber jenem unfassbaren „Himmel des Himmels“ der dem Herrn gehört“ und nicht „den Menschenkindern“.
Ich vergesse, was vergangen ist, und strecke mich aus nach dem, was ewig bleibt. Gesammelt und achtsam will ich der Freude deines Hauses entgegeneilen, wo ich deinem Lobgesang lausche.
RIP
„Nun kann ich ruhig sein vor dir“ – Herzlich willkommen in der Ruhe des Abend hier in Regler. Wir sind eingeladen, vor dem HERRN zur Ruhe zu kommen, unser Leben zu betrachten und Kraft zu schöpfen für den Weg durch die Woche, die vor uns liegt.
Fabian:
Ich möchte ganz herzlich den Musiker Falk Zenker begrüßen. Ich durfte Ihrer Musik bei einem Konzert im Garten der Dorfkirche Isseroda lauschen. Es war ein besonderer spätsommerlicher Abend. Und während die Schwalben ihren Tanz in der Sonne vollführten, haben mich die Melodien ebenso sanft bewegt und lebendig getragen. Und ich bin ganz in die Atmosphäre eingetaucht.
So wünsche ich mir auch für den heutigen Abend: Möge Ihre Musik uns ganz in diesen Gottesdienst mit hineinnehmen und unserem Sein, unseren Gedanken und Gefühlen Raum geben, so dass wir ganz bei uns, miteinander und bei Gott ankommen können.
Wie geht „richtiges Leben“? Was ist da zu tun? Welche Haltung braucht es? Was braucht es stehend vor Gott dafür? – Diese Grundfrage wird heute im Evangelium Jesus gestellt (Mt 18, 15-20). Er wird eine einfache Antwort geben – die es dennoch in sich hat, wie wir sehen werden.
In der katholischen Kirche ist heute der Tag der Weltmission. Wir wollen uns solidarisch mit allen Menschen dieser Erde zeigen, besonders mit denen, die unsere materielle Unterstützung brauchen. Daher wird heute die Kollekte für Projekte des Hilfswerkes Missio sein.
Impuls I: „Du sollst deinen Nächsten lieben“
Vielleicht kennen Sie das auch:
Wenn ich auf den Straßen unterwegs bin, von A nach B,
wenn ich in der Stadt meine Geschäfte erledige
wenn ich beim Einkaufen im Supermarkt bin,
wenn ich bei der Arbeit meinen Aufgaben erledige,
manchmal frage ich mich später,
wem bin ich überhaupt begegnet?
Ich erkenne dann:
wie schnell passiert es mir, dass ich gar nicht wirklich gesehen habe, wer da war?
Vielleicht ist das sogar ein Stück gesunde Abgrenzung.
Dennoch, wenn ich in einer Gruppe meinem Hobby nachgehe
oder ebenso wenn ich mich mit Freunden oder Familie treffe.
Wie ist es da?
Das ist der erste von drei Impulsen, mit denen ich zum Nachdenken über den Nächsten anregen möchte: Sehe ich hin?
Der zweite Punkt ist: Wen sehe ich?
Dafür möchte ich Sie zu einem kleinen Experiment einladen:
Schauen Sie sich vielleicht einmal hier um. Wen sehen Sie?
Es wäre nicht unwahrscheinlich, dass Sie auch zu allererst sich selbst sehen,
Ihre Gedanken und Gefühlen im Spiegel des Anderen, der Anderen.
Das bringt mich zum dritten Punkt: Was sehe ich?
Wenn Sie mögen, schauen Sie jetzt genauer hin!
Was sehen Sie dort?
Vielleicht ein bestimmtes Kleidungsstück?
Vielleicht eine Geste oder eine Bewegung?
Und was taucht dann in Ihnen auf?
Was hat für mich dieses Experiment mit Nächstenliebe zu tun?
Mit dieser Verortung von DU und ICH kann ich meinen Nächsten, meine Nächste vielleicht überhaupt erst richtig als solchen wahrnehmen.
Es bewahrt mich davor, dass mein Helfenwollen eine Demütigung wird.
Es bewahrt mich davor, den anderen nur als Abbild wahrzunehmen. Als Abbild meiner eigenen Vorstellungen, meiner eigenen abgelehnten oder begrüßten Persönlichkeitsteile.
Aus diesem Anschauen, wer du bist, wer ich bin und das Aufrechterhalten des aufeinander Bezogenseins, mit dem jetzt Möglichen und ebenso dem Unmöglichen,
entsteht aus meiner Sicht
von selbst das NOT-Wendige
miteinander Sein,
mit-Fühlen und
Handeln in Nächstenliebe.
Impuls II: „... wie dich selbst“ – Liebe zu mir selbst
Mir ist dieser Halbsatz: „lieben wie dich selbst“ einmal persönlich sehr wichtig geworden.
Als ich in einer schwierigen Lebenssituation war, habe ich gedacht: Naja, ich bin Christ, ich muss jetzt erdulden und ausharren, nur noch ganz für andere dasein, das ist Gottes Wille. Mir hat dann jemand in einer Beratung gesagt: Es steht auch in der Bibel: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Und er hat mich gefragt: „Was bedeutet denn Selbstliebe für Sie?“
Ich habe darauf erst keine richtige Antwort gewusst. Nach viel Nachdenken ist mir dann etwas deutlich geworden: Immer durchhalten und mich ständig zusammenreißen; zulassen, wie ich selber immer wieder verletzt werde – das passt mit Selbstliebe irgendwie nicht zusammen. Wenn ich mich vollständig aufopfere und zulasse, dass ich immer kleiner werde, dann bin ich mir selber ein Feind. Dann fehlt mir die Achtung vor mir selber, die Liebe zu mir.
Mir ist auch deutlich geworden, dass das mit Gott dann nicht mehr zusammenpasst. Er hat mich ja geschaffen und möchte, dass ich lebe. Dass ich wieder atmen kann und einen Raum für mich und meine Seele finde.
Die Antwort auf die Frage, „Was bedeutet Selbstliebe für dich, kann ein Hinweis sein, ob ich in meinem Leben in eine gute Richtung, in Gottes Richtung, gehe. Und es kann die Erlaubnis werden, den Weg zu korrigieren.
Impuls III: „Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben“
Ach, wie sollte das gehen: Den HERRN und Gott mit allen Fasern des Seins zu lieben? Wie könnte das denn gelingen, wo viele in unserem Land – manchmal auch ich selber – alles andere als sicher sind, ob dieses Gegenüber – GOTT – überhaupt existiert...
Das Hebräische geht tiefer als das Deutsche „Du sollst!“. Als könnte man Liebe befehlen! Man müsste vielleicht übersetzen: „Du wirst den HERRN, deinen Gott lieben.“ Im Gebot steckt nicht nur der Auftrag, sondern auch die Verheißung: Wer die Liebe Gottes an sich wahrnimmt, dem ist versprochen, dass er selbst ergriffen und seinerseits mit Liebe antworten wird: „Gott und auch deinen Nächsten wirst du dann lieben wie dich selbst!“
Es wäre fatal, nun unsererseits quasi "pharisäisch" zu überlegen: Liebe ich wirklich mit ganzem Herzen und ganzer Seele und ganzer Kraft? Wäre da nicht noch viel zu tun? Gibt's nicht Bereiche meines Wesens, die noch kaum lieben? Bitte: keinen "pharisäischen" Maßstab nehmen!
„Lieben heißt, so zu leben, dass man voreinander die Angst verliert.“ Maßstab ist Jesus selbst. Im Vertrauen geht er seinen Weg. Selbst noch in Gethsemani kann er Ja sagen zum Willen des Vaters. Das lässt ihn die Verantwortung tragen, die ihm das Kreuz beschert. – Aber dieses unbedingte Vertrauen führt durch den Tod hindurch zur Auferstehung.
Das Maß gibt Jesus. Was ist nun das wichtigste Gebot? Die Gottesliebe? Oder doch die Nächstenliebe? Oder beginnt alles mit der Selbstliebe?
„Unteilbar ist die Liebe“, hat Augustinus gesagt. Es gibt nur die eine Liebe. Wenn sie Raum bekommt, durchdringt sie all unser Denken, Handeln und Sinnen. – Ganz biblisch, unser Augustinus!
Dennoch gibt Augustinus in der Alltagspraxis der Nächstenliebe den Vorrang, weil man an ihr ablesen könne, wie es um die Gottesliebe wirklich bestellt und wie sehr die Sehnsucht nach Gott wirklich in einem lebendig sei.
Ich liebe Gott, wenn ich vor ihm keine Angst habe und ich der Sehnsucht nach IHM Raum gebe; wenn diese Sehnsucht mein Nachdenken, aber auch Herz und Hand füllen (dürfen). Das kann man nicht „machen“. Es wird geschenkt. Gratis! Angst erstickt die Sehnsucht. Der Zweifel, ob Gott existiere, tötet die Sehnsucht. Das Misstrauen, dass Gott mir etwas oder gar die Freiheit nehmen könnte, erstickt die Liebe zu IHM. Davor möchte ich mich hüten und daran festhalten: Gott will meine Freiheit!
Gott will deine Freiheit – und die Freiheit aller Menschen. Das ist mir lieb und teuer. Es ist wahr, dass ich nicht alle Menschen mag. Aber Gott liebt sie offenbar. Dem will ich nicht im Wege stehen. Sein Maßstab zählt, nicht der meine. Deswegen will ich den Nächsten lieben – und auch mich selbst. Das soll mehr sein, als meine wankelmütigen Emotionen. Das soll sich an Gott festmachen, der mich unendlich liebt und der meine Sehnsucht ist.