Im Garten sind tausend Entzückende fein
Und Rosen und Veilchen mit Düften so rein
Und rinnendes plätscherndes Wasser im Fluss –
Dies alles ist Vorwand: Er ist es allein!
Rumi (1207-1273)
„Schauen und Warten ist das Verhalten, das dem Schönen angemessen ist. Solange man noch vorstellen, wollen, wünschen kann, erscheint das Schöne nicht.“
Simone Weil (1909-1943)
„In einem Garten ging die Welt verloren, in einem Garten wurde sie erlöst.“
Blaise Pascal (1623-1662)
Die Geschichte Gottes mit den Menschen beginnt in allen drei monotheistischen Religionen in einem Garten. Auch in der jüdischen, christlichen und islamischen Mystik begegnet uns der Garten: als Metapher für die menschliche Seele zum Beispiel. Wenn wir unseren Seelengarten pflegen, kann Gott darin sein gutes Werk vollbringen. Gärten sind Sinnbild für die Orte der Sehnsucht, aus denen wir vertrieben wurden, aber auch für verheißene Freuden. Ein „geheimnisvoller Garten“ ist der Quell, aus dem die „Grünkraft“ Gottes sprudelt, die alles am Leben erhält (so bei Meister Eckhart und Hildegard von Bingen). Christen glauben, dass der Gärtner Jesus Christus uns den Paradiesgarten wieder zugänglich machte, der uns durch die erste Sünde verschlossen wurde. Die Gottesmutter Maria wiederum wird verglichen mit einem wunderschönen Garten. Auf mehreren alten Darstellungen in Erfurt wird sie dort vom Einhorn besucht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich darf Sie herzlich begrüßen – auch im Namen der Mitveranstalter Katholisches Forum in Thüringen, der Evangelischen Erwachsenenbildung Thüringen, dem Katholischen Bildungswerk im Bistum Erfurt, dem Evangelischen Kirchenkreis Erfurt und dem Augustinerkonvent St. Martin in Erfurt. Gefördert wird dieser Abend und auch schon unsere Workshops gestern Abend und heute vom Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, dem ich an dieser Stelle herzlich danke. Ein besonderer Dank gilt der Ev. Predigergemeinde, die uns auch diesmal wieder die Kirche und gestern bereits den Kapitelssaal zur Verfügung stellt.
Dieser Abend, ja diese Tage der Mystik, stehen in einer Reihe: 2017 starteten wir „Im Lichte des Einen“ (2017), gingen 2018 hinaus in die Einsamkeit, um dort, „In der Wüste des Einen“ (2018), IHN zu treffen, auf den alles bezogen ist. „Im Spiegel des Einen“ konnten wir 2019 erkennen, wer wir sind, als Einzelne und aufeinander Bezogene.
Heute laden wir Sie ein, „Im Garten des Einen“ Platz zu nehmen, auf die Stimme des Einen in diesem Garten zu lauschen, auf IHN, der uns Weisheit schenkt, die wir nicht selber finden können.
Liebe Schwestern und Brüder, denn das sind wir vor dem Einen, gleich, ob wir IHN erkennen oder wie wir IHN suchen oder verehren. Bei IHM, der uns alle geschaffen hat sind wie Schwestern und Brüder.
Liebe Schwestern und Brüder also, wir sind froh, dass wir heute Abend hier am Ort, an dem Meister Eckhart gewirkt hat, beisammen sind. Was wären das für Gespräche geworden, wenn er und Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī einander begegnet wären? Sie hätten sich wohl eine Menge zu sagen gewusst...
Nun, heute Abend kommen sie beide zu Wort – und etliche weitere weise Frauen und Männer. Und wir dürfen hier im "Garten des Einen" ihnen zuhören und Musik aus mehreren Jahrhunderten genießen. Sie erklingt zum Lob Gottes, aber auch um uns Kraft zu schenken. – Lauschen wir und genießen wir, was uns hier geschenkt wird.
Eine Bitte: Sparen Sie bitte den Applaus bis zum Schluss auf, denn was hier entsteht, ist ein großes Gebet. Den Ablauf können Sie auf den ausliegenden Zetteln mitverfolgen.
Und vielleicht wollen Sie nachher an den Ausgängen etwas spenden für diesen Abend. Dafür sagen wir ein herzliches Vergelts Gott.
„In einem Garten ging die Welt verloren, in einem Garten wurde sie erlöst“. Dieses Wort von Blaise Pascal geleite uns nun in den "Garten des Einen".
In jenen Tagen kam der Herr in der Wolke herab und redete mit Mose.
Er nahm etwas von dem Geist, der auf ihm ruhte, und legte ihn auf die siebzig Ältesten.
Sobald der Geist auf ihnen ruhte, redeten sie prophetisch. Danach aber nicht mehr.
Zwei Männer aber waren im Lager geblieben; der eine hieß Eldad, der andere Medad.
Auch über sie kam der Geist.
Sie gehörten zu den Aufgezeichneten, waren aber nicht zum Offenbarungszelt hinausgegangen.
Auch sie redeten prophetisch im Lager.
Ein junger Mann lief zu Mose und berichtete ihm:
Eldad und Medad sind im Lager zu Propheten geworden.
Da ergriff Jósua, der Sohn Nuns, der von Jugend an der Diener des Mose gewesen war, das Wort
und sagte: Mose, mein Herr, hindere sie daran!
Doch Mose sagte zu ihm: Willst du dich für mich ereifern?
Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte!
Unsere Lesung beginnt mit einer ungeheuren Spannung (Num 11,25): Der HERR kommt in der Wolke; ER ist unverfügbar, ER bleibt Geheimnis; nie werden wir IHN und Seine Wege ganz begreifen.
Aber dieser Gott „redete mit Mose“. Er bleibt nicht nur der Verborgene. Er macht sich offenbar. Mit Mose redet er ganz direkt. – Warum zeigt er sich uns nicht klarer? Unseren Kirchen, die so angeschlagen durch diese Zeit taumeln und deren Zeugnis gerade so verdunkelt ist?
Auf Mose ruht der Geist, und nun wird er ausgeteilt. „Etwas von dem Geist“, heißt es in Numeri. Das Weihegebet nimmt Bezug auf diese Stelle der Heiligen Schrift und stellt den Priester bei seiner Weihe dem Bischof zur Seite. Es ist notwendig den Bischof in der Verkündigung des Evangeliums nicht allein zu lassen. Er braucht Mitarbeiter, Cooperatores, gleichgesinnte Gefährten – besser: vom Geist Gottes erfüllte Mitarbeiter. Vermutlich auch Mitarbeiterinnen, aber da tut sich unsere Kirche an manchen Stellen bekanntlich noch sehr schwer...
Ich denke, es tut der Würde des priesterlichen Dienstes keinen Abbruch, wenn wir dieses Wort übertragen auf unsere konkrete Gemeinde hier. Es nimmt niemandem etwas weg, wenn wir Aufgaben teilen und gemeinsam unser Leben als Gemeinde gestalten – ganz im Gegenteil. Es braucht keinen Anführer, dem alle anderen hinterher laufen. Wenn wir unser Bild von Kirche ernst nehmen, dann ist der „Hirte der Herde“ Jesus Christus selbst, und er ruft jeden Einzelnen von uns in seinen Dienst. Die Talente dieser konkreten Gemeinde – besser: ihre geistgewirkten Charismen – entfalten ihre Wirkung da, wo wir Raum für sie lassen.
Werfen wir noch einmal den Blick in die Lesung. Zwei der 70 Ältesten, die Mose für den Dienst gemeinsam mit ihm ausgewählt hatte, erschienen gar nicht vor dem Lager beim Offenbarungszelt. Ob sie kneifen wollten? Wer weiß.
Gottes Geist jedenfalls hindert das nicht, sie dennoch zu erreichen. Mitten im Lager empfangen sie den Geist, der anscheinend nicht immer die Wege nimmt, die wir ihm anbieten.
Josua ärgert das. Er hat seit Kindesbeinen an eine besonders enge Beziehung zu Mose und meint nun, die Autorität seines Meisters schützen zu müssen: Hindere sie daran, weiter prophetisch zu reden! Wo kämen wir denn da hin, wenn hier die Ordnung nicht eingehalten wird!?
Wo kämen wir hin, wenn die Ordnungen nicht mehr gelten? – Aber geht es darum überhaupt? Ist das ein Plädoyer für's Chaos? Das kann ich nicht lesen. Denn Gottes Geist, der schöpferisch ordnend das Chaos geklärt hat, wird doch nun nicht selber Chaos stiften wollen?
Immerhin: 68 der ausgewählten Geistträger kommen in diese Aufgabe durch das Prozedere, das Mose bestimmt hat. Doch Gott ist größer. ER weitet die Ordnung und gibt der prophetischen Rede auch im Lager ihren Platz, mitten unter den Zelten der Israeliten.
DAS greift Mose auf, gegen Josua, der sich für ihn ereifert: „Ach wenn nur das ganze Volk des HERRN zu Propheten würde und der HERR seinen Geist auf sie alle legte!“ (Num 11,29) Mose verliert doch nichts. Er beugt sich dem Wirken Gottes. Er erkennt die Spur des göttlichen Geistes und sagt Ja dazu.
Ja sagen zum Wirken Gottes, auch wenn es nicht unserem Plan entspricht. Das ist etwas ganz anderes, als gegen die Ordnung etwa unserer Kirchen wohlfeil zu wettern. Und gleichzeitig legt diese Stelle der Heiligen Schrift den Finger in eine Wunde. Der Anspruch, allein im Besitz der Wahrheit zu sein, kann uns blind machen für das Wehen des Geistes jenseits unserer ausgetretenen Pfade.
Mose erkennt, dass er nichts verliert, wenn er Gottes Geist mit anderen teilt. Ja, er geht sogar soweit zu sagen: Wenn nur das ganze auserwählte Volk von Heiligem Geist erfüllt würde! Das Teilen dieser göttlichen Macht lässt Gottes Geist mächtig werden, bestimmend für alle, die an IHN glauben. – Gegen Machtmissbrauch und die Arroganz, die meint, ich alleine oder allenfalls eine kleine Elite besitze die volle Wahrheit, wird Jesus nachher im Evangelium reden. Gottes Geist verteilt sich gerne.
Aber genau das ist doch Wirklichkeit geworden! In der Taufe haben wir Heiligen Geist empfangen. Wir tragen die Würde von Königen, Priestern und Propheten – in enger Beziehung zu Christus, dem wahren Priester und Propheten. In Firmung oder Konfirmation wurden wir an der Schwelle zum Erwachsenenalter daran erinnert. Daraus sollen wir leben und handeln! Dem Geist in meinem Leben Raum zu geben, bin ich berufen.
Sind wir als Gemeinde berufen: Einander und dieser Stadt verkünden wir das Evangelium mit unseren unterschiedlichen Charismen. Dass wir einander den Raum geben, damit diese Charismen sich entfalten können, das bleibt unsere Aufgabe.
Konkret: Ich verliere als Priester und letztlich Verantwortlicher für diese Gemeinde nichts, wenn ich möglichst viele von euch mitbestimmen lasse, wie wir unseren Weg mit Christus weitergehen wollen. Wir Augustiner sind immer dann am besten gefahren, wenn wir gehört und wahrgenommen haben, was uns allen aus dieser Gemeinde heraus geschenkt wird: der kontemplative Gottesdienst, der ökumenische Bibelkreis und die Ökumene insgesamt, ein dickes Jahresprogramm mit Impulsen zur Bildung, aber auch zur spirituellen Erneuerung, Dialoge mit Andersdenkenden und anders Glaubenden, Musik und Ausstellungen, der Tanzgottesdienst, die Videos nach Weihnachten, die Predigtdienste … Das haben doch nicht wir Augustiner bewirkt. Das ist aus dieser Gemeinde heraus gewachsen! Also, wenn hier nicht Gottes Geist am Werk ist?
Dass wir uns hier in der Brunnenkirche im Kreis versammeln, ist Ausdruck dessen, was wir hier feiern: Christus ist unsere Mitte, er sammelt uns als Schwestern und Brüder auf Augenhöhe, nicht alle machen dasselbe, aber jeder hat „etwas von dem Geist“, der uns allen gegeben ist. In der Dynamik unserer Verschiedenheit, die aber den Kontakt mit den anderen hält und aushält, wird Gottes Dynamik, sein lebenspendender Geist spürbar (s. Relief!).
Wir dürfen und müssen immer wieder auch über unseren Tellerrand hinausschauen. Derzeit gehen wir ja noch sozusagen durch den Hintereingang in die Brunnenkirche. Die Arbeiter haben angedeutet, dass sie wahrscheinlich schon am Montag fertig werden. Ab dann können wir also endlich zum Haupteingang hier herein. Aber es gilt, vor allem den Brunnen freizulegen, zugänglich zu machen für alle, die Sehnsucht nach dem wahren und lebendigen Gott haben. Hier am Brunnen stellen wir uns der eigenen Tiefe, manchmal auch den eigenen Abgründen, wissen uns wie die Frau am Jakobsbrunnen angesprochen von dem, der uns ganz und gar kennt, und können so zu Boten seiner Liebe werden. Wir spüren die Wahrheit, die Gott auch außerhalb unserer engen Begrenztheiten gesät hat, und können uns verbünden mit allen, die Sehnsucht haben nach der göttlichen Wahrheit. Der „Garten des Einen“ ist groß, bunt und vielfältig, das erfahren Etliche von uns an diesem wunderbaren Wochenende, wo christliche und islamische Mystik sich begegnen und dem Einen HERRN die Ehre geben.
„Ach wenn nur das ganze Volk des HERRN zu Propheten würde und der HERR seinen Geist auf sie alle legte!“ (Num 11,29) sagt Mose. Doch, das ist bereits geworden – zumindest wo wir es wahr-haben wollen und einander den Raum gewähren, damit unsere unterschiedlichen Charismen sich entfalten können.
Amen.
Predigt von Pfarrer i.R. Martin Möslein am 25. Sonntag B (11./12.09.2021) in der Brunnenkirche | Erfurt
Text: Jochen Klepper (1938)
1) Er weckt mich alle Morgen,
Er weckt mir selbst das Ohr.
Gott hält sich nicht verborgen,
führt mir den Tag empor,
dass ich mit Seinem Worte
begrüß das neue Licht.
Schon an der Dämmrung Pforte
ist Er mir nah und spricht.
2) Er spricht wie an dem Tage,
da Er die Welt erschuf.
Da schweigen Angst und Klage;
nichts gilt mehr als Sein Ruf.
Das Wort der ewgen Treue,
die Gott uns Menschen schwört,
erfahre ich aufs neue
so, wie ein Jünger hört.
3) Er will, dass ich mich füge.
Ich gehe nicht zurück.
Hab nur in Ihm Genüge,
in Seinem Wort mein Glück.
Ich werde nicht zuschanden,
wenn ich nur Ihn vernehm.
Gott löst mich aus den Banden.
Gott macht mich Ihm genehm.
4) Er ist mir täglich nahe
und spricht mich selbst gerecht.
Was ich von Ihm empfahe,
gibt sonst kein Herr dem Knecht.
Wie wohl hat's hier der Sklave,
der Herr hält sich bereit,
dass Er ihn aus dem Schlafe
zu seinem Dienst geleit.
5) Er will mich früh umhüllen
mit Seinem Wort und Licht,
verheißen und erfüllen,
damit mir nichts gebricht;
will vollen Lohn mir zahlen,
fragt nicht, ob ich versag.
Sein Wort will helle strahlen,
wie dunkel auch der Tag.
„Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet Euch nicht, hier ist euer Gott... Er selbst wird kommen und euch retten.“
Liebe Schwestern und Brüder,
gerade eben haben wir in der Lesung aus dem Ersten Testament diese Worte gehört. Das Buch, Aufzeichnungen des Propheten, nennt man auch „Trostbuch“. Das alte Israel stand damals in der Gefahr aufgelöst und zerrieben zu werden; es war in der Verbannung. Es hatte seine Heimat verloren, und nun stand es kurz davor, seinen Glauben zu verlieren. Das machte vielen Angst, ließ sie verzagen (den Mut verlieren, kleinlaut werden, resignieren, bangen, die Flügel hängen lassen, verzweifeln...).
In genau diese Bedrohung und Angst-Situation hinein spricht der Prophet – und er tröstet, er macht Mut: Fürchtet euch nicht! Bei all eurer Bedrängnis ist doch immer noch Gott. Und dieser Gott lässt euch nicht hängen. Sondern er selbst wird euch retten.
Als Markus sein Evangelium schrieb, da hat er dieses Trostbuch sehr wohl im Kopf. Und mit seinem Evangelium, seiner Frohbotschaft will er sagen: Jetzt macht Gott ernst. Dieser Jesus ist nicht irgendwer, nicht irgendein Wunderdoktor, der gute Tricks drauf hat, mit denen er Menschen heilt, sondern er ist die Erfüllung der Zusage Gottes. In Jesus löst Gott sein altes Versprechen ein. In Jesus macht Gott wahr, was schon durch die Propheten angekündigt worden ist:
„Seht, hier ist Gott!“ – Ein Gott, der rettet – und zwar so, dass man es sehen und hören kann. Ja, Gott erfüllt seine Verheißungen. ER hält sich an seine Versprechen.
Man bringt einen Taubstummen zu Jesus. ER ist eher ein Bild, ein Bild für viele Menschen, die irgendwann krank geworden sind, eine Einschränkung haben. Menschen, die irgendwann stumm geworden sind, weil niemand ihnen mehr zuhört; Menschen, die nichts mehr sagen wollen und können, weil keiner hinhört auf das, was sie wirklich sagen wollen – wenn sie von ihrem Leid, von ihrer Not und von ihren Ängsten sprechen. Menschen, die sich in sich zurückgezogen haben und dann irgendwann total verstummt sind, weil niemand sich mehr für sie interessiert.
Dieser Taubstumme ist auch ein Bild für Menschen, die nichts mehr hören wollen, weil ihnen immer nur gesagt wird, was sie alles nicht richtig machen, wo sie ihre Defizite haben, was sie schon wieder falsch gemacht haben – und dass sie aus all diesen Gründen nicht o.k. sind. Menschen, die „dicht gemacht" und zugemacht haben, um überhaupt noch weiterleben zu können – und an die niemand mehr rankommt. Und davon gibt es – weiß Gott – viele.
Aber Jesus kommt an diesen Menschen ran. ER kann helfen. – Er tut es nicht mit Hokuspokus oder so etwas, nicht mit frommen Sprüchen – sondern durch Zuwendung und Nähe. Die Art und Weise, wie er ihm begegnet – sie bringt Heilung.
Dieser Jesus kommt nicht mit wieder neuen Ermahnungen, nicht mit Aufforderungen wie „Jetzt reiß dich aber mal zusammen!" oder „Lass dich nicht so hängen“, „Komm endlich in die Puschen“. Sätze, die man nicht mehr hören kann, weil sie nicht wirklich helfen. Es kommt von ihm auch kein gereiztes Wort, wie: Was ist denn jetzt schon wieder los? Sondern da ist Zuwendung; ohne viele Worte, aber mit ganz viel Nähe. Dies zeigt dem Kranken: Du bist mir wichtig!
Mit ganz viel Aufmerksamkeit, die diesem Taubstummen signalisiert: Ich bin jetzt nur für dich da. Alles andere muss jetzt warten. Ich hab jetzt Zeit, ich hab ein Ohr für Dich und Deine Probleme. Ich sehe Deine Not, ich sehe Dich in Deiner Not. Und genau das verändert die Welt dieses Taubstummen, genau das öffnet diesen Menschen wieder für das Leben – und das macht ihn heil, gesund.
Das einzige Wort, das Jesus spricht ist „Hephata“ – Öffne Dich! Alles andere ist Zuwendung, da ist Nähe und Aufmerksamkeit.
„Hephata“, so wurde auch mal zu uns gesagt, zu jeder und jedem von uns. So wurden wir alle einmal ermutigt – in einem Moment, in dem Gott auch uns ganz nahe gekommen ist, mit ganz viel Liebe und Zuneigung: Denn „Hephata“ so spricht der Priester oder Diakon bei jeder Taufe.
Öffne dich – und das will sagen: Gott will offene Menschen, keine Menschen, die sich verkrümmen, sich ducken, sich klein machen – nicht vor Mitmenschen und nicht vor IHM; nein, Gott will Menschen, die aufrecht stehen, damit sie hören und sehen und entdecken können, wie wichtig sie für Gott sind – für jenen Gott, der unser Heil will.
Das ist die Botschaft dieses Evangeliums, eine frohe Botschaft...
Aber da gibt es noch eine zweite Botschaft in diesem Text, die man fast übersieht, weil es wie so eine Randnotiz ist. Da steht: Da brachte man einen Taubstummen zu Jesus. D.h. da gab es, Gott sei Dank, Menschen, die einen, der total zugemacht hatte, der schon taub und stumm für alles geworden war, zu Jesus bringen, Menschen, die diesen Kranken sozusagen zum Heil hinbringen. Da gab es „Heils-VermittlerInnen“, Menschen also, die unter Umständen genau damit selbst zum „Heiland“ für einen anderen werden können, weil sie nicht schon zufrieden sind, wenn es ihnen selbst gut geht, sondern weil sie wollen, dass auch andere dieses Heil finden, dass auch andere Anteil am Leben haben.
Ist das d i e Stelle, an der wir in dieses Evangelium hineinkommen; die Stelle, an der wir gefragt und notwendig sind?
Als Menschen, die offen sind für die Not der anderen – und offen für das Heil, das allein Gott schenken kann – und die dann einen Menschen dorthin führen, wo sie das Heil erfahren können – zu Gott – und zu einem liebenden und tröstenden, zu einem rettenden Gott, der nicht nur damals Mensch geworden ist in Jesus Christus – sondern der auch heute Mensch werden will – in uns, damit auch wir so handeln können, wie Jesus gehandelt hat: Heilend und befreiend, aufrichtend und vergebend, liebevoll und tröstend – so dass Menschen sich öffnen können, weil wir ihnen so begegnet sind, dass sie durch uns Heil erfahren haben.
Ich denke, wenn wir dazu fähig sind – zu heilsamen und heilenden Begegnungen mit unseren Mitmenschen, dann sind wir wirklich Kirche. Kirche dieses Jesus Christus. Und dann erfüllen wir auch Gottes Verheißungen.
Und dann geschehen Wunder, nicht mit Hokuspokus:
sich selbst einmal vergessen
Zeit für eine, einen anderen haben
Kranke besuchen und aushalten
Frieden stiften und erhalten
Armut und Ausgrenzung sehen und sichtbar machen
mal tief in die Tasche greifen und geben
schweigen, bis wir das richtige Wort gefunden haben
selbst zu Brot und Wein werden
Bischof Dr. Ulrich Neymeyr hat mit uns die erste Heilige Messe in der Brunnenkirche gefeiert. Er dankte den Augustinern für ihre Präsenz in Erfurt und ermutigte die Gemeinde, aus der gemeinsamen Taufe zu leben und zu wirken für die Menschen der Stadt und der Region. Der Brunnen verweise ja auf die Taufe und auf die Tiefe, in der wir von Gott gehalten sind.
Der Bischof verwies auch auf die Frau am Jakobsbrunnen (Joh 4,1-42), mit der Jesus in der Mittagshitze ins Gespräch kommt. "Sprechen Sie mit den Leuten, auch wenn uns zunächst scheinbar wenig mit ihnen verbindet! Gehen Sie mutig auf die Menschen zu - wie Jesus", so der Bischof.
Br. Jeremias dankte dem Bischof für seine Unterstützung, auf die die Augustiner immer zählen konnten. In Ordensreferentin Dr. Anne Rademacher hätten die Augustiner in den zurückliegenden Monaten eine echte Begleiterin gehabt. Dem Domkapitel gelte der Dank für die schnelle und unkomplizierte Zusage der Nutzung der Brunnenkirche. Martin Hoffmeier habe sich vor allem bei der konkreten Umsetzung für die Augustiner eingesetzt.
Zu Beginn des Gottesdienstes sagte Br. Jeremias:
Liebe Schwestern und Brüder, das Leben ist eine Baustelle. Ausgerechnet jetzt wurde vor dem Haupteingang der Brunnenkirche eine Baustelle eingerichtet. Wir mussten um die Kirche herumlaufen, um hier herein zu kommen. Das ist irgendwie ein Symbol: Unser ganzes Leben ist eine Baustelle, und auch unser Glaube an Gott bedarf immer wieder der Erneuerung.
In seinem Brief nach Kolossä dankt Paulus für den Glauben, den er in dieser kleinen Gemeinde am Isthmos von Korinth gefunden hat: Das Evangelium trägt dort Frucht und wächst weiter.
Dankbar dürfen auch wir heute Abend diesen Gottesdienst feiern. Dankbar, weil das Wort Gottes, um das wir uns zusammengefunden haben, unser Tun und Handeln prägt. Was wir als Gemeinde organisieren und weiterzugeben versuchen, erwächst ja aus den Gottesdiensten, in denen wir Kraft schöpfen und uns gegenseitig im Glauben stärken.
Für manche von euch ist der heutige Tag ein schmerzhafter Einschnitt: Wir wären gerne in Regler geblieben, in ökumenischer Verbundenheit und Achtung vor dem Anderssein. Das ist so nun vorerst nicht mehr möglich. Ökumenisch bleiben wir trotzdem unterwegs. – Herzlichen Dank, lieber Bischof, dass Sie heute bei uns sind und uns ermutigen für den Weg, auf dem Christus uns führt. Dieser Umzug ist eine Etappe, nicht so sehr Neuanfang.
Wir Augustiner werden uns eins ums andere Mal bewusst: Wir können allein nicht viel bewirken. Wir sind abhängig, dass Menschen mit uns mitgehen, Verantwortung übernehmen und am Reich Gottes bauen wollen. Die Sitzordnung, die manchen sicher nicht gefällt, ist für uns kein Spleen, den wir unbedingt pflegen wollen. Sie ist Ausdruck, dass wir Suchende auf Augenhöhe sind, wenn wir uns um Christus versammeln. Zwar gibt es verschiedene Aufgaben und Talente, aber kein oben und unten. Denn wir sind Schwestern und Brüder. – Mit euch sind wir Augustiner nicht bang, ob unsere Kräfte wohl reichen? Wir sind dankbar, dass wir euch haben! Wenn wir gemeinsam in den Fußspuren Jesu bleiben, wird sich trotz unserer kleinen Zahl Heilsames ereignen (siehe Evangelium des heutigen Tages).
Heute ist der ökumenische Gebetstag zur Bewahrung der Schöpfung. Sie, Herr Bischof, waren tagsüber mit Landesbischof Friedrich Kramer auf der BUGA. Dass Sie nun zum Tagesabschluss bei uns sind, freut uns sehr.
Danke auch der Schola aus Regler, die im Wechsel mit Br. Pius diesen Gottesdienst musikalisch gestaltet.
Stellen wir uns in das Erbarmen des HERRN. ER will uns im Innersten Heilung schenken.