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October

2021

Reformationstag 2021

Bruder Jeremias OSA

Am Reformationstag feierte Pfarrer i.R. Martin Möslein in der Brunnenkirche das Abendmahl. Br. Jeremias war der Festprediger, Johannes Häußler und Martina Bätz von der Reglergemeinde sorgten für eine ausgezeichnete musikalische Gestaltung.

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October

2021

Sonntagsmesse mit Lobreis & Predigt zu Jes 53,10-11

Bruder Jeremias OSA

+ Jes Chr, der das Menschenlos mit uns teilte, sei mit euch!

Jesus war ein guter Lehrer. Aber er hatte schlechte Schüler – und die hat er bis heute: Schüler, die auf Stühlen sitzen wollen, anstatt sich in Bewegung zu setzen und ihren Weg zu suchen, tastend und fragend.

Auch wenn das mit Unsicherheiten verbunden ist: Trau keinem Gedanken, der dir im Sitzen kommt! – Christus geht voran. Er geht für uns den Weg in die Freiheit. Doch dieser Weg ist in Ar­mut zu bestehen. Er führt durch Schwachheit und Ohnmacht.

Kirche darf nicht zuerst ein fester Ort, eine Burg oder gar ein Machtapparat sein. Sie muss Bewegung, Wachs­tum sein, Zeugnis für den lebendigen, anwesenden Gott. - Gehen wir mit Gott? Oder wollen wir unsere Ruhe haben?

Lesung aus dem Prooheten Jesaja (Jes 53,10-11)

Der HERR hat Gefallen an dem von Krankheit Zermalmten.

Wenn du, Gott, sein Leben als Schuldopfer einsetzt, wird er Nachkommen sehen und lange leben. Was dem HERRN gefällt, wird durch seine Hand gelingen.

Nachdem er vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die Vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich.

Predigt

Wie schon vor einigen Wochen haben wir gerade wieder einen Abschnitt aus dem Propheten Jesaja gehört, den wir eher aus der Passionszeit kennen. Es handelt sich um einen Auszugaus dem „Vierten Gottesknechtslied“ in Deuterojesaja. Damit ist ein zeitli­cher Rahmen abgesteckt, wann dieser Text vermut­lich ent­stan­den ist: im babylonischen Exil.

Der HERR hat Gefallen an dem von Krankheit Zermalmten“ (Jes 53,10). Das dürfen wir nicht missverstehen. Nein, Gott gefällt es nicht, wenn ein Mensch leidet. Aber es ist ebenso falsch zu den­ken, Leiden sei eine Strafe Gottes und wer leidet, sei aus Gottes Wohlwollen gefallen. Da sind manche ja schnell dabei. Auch uns selber kommt schon mal dieser Gedanke, wenn einfach nichts gelingen will... Nein, ganz im Gegenteil. Der Pro­phet Jesaja wagt die Aussage, dass der von Krankheit Zermalmte dennoch Gottes Gefallen findet.

Gott könne das geschundene Leben eines Menschen quasi als Schuldopfer nehmen, damit Zukunft möglich wird, damit Leben sich neu eröffnen kann. Ja, dieser Mensch wird sogar zum Koope­ra­tor Gottes, wenn Gottes Plan durch seine Hand gelingt. So kann Gott auch das Schlimmste noch zum Guten wenden, aus Nichts Etwas machen (vgl. Meister Eckhart), das Leben und Zu­kunft bedeutet.

Nicht erst dann handelt Gott, wenn Er Not und Leid verhindert, diesen härtesten „Fels des Atheismus“ – so drückt es der Schrift­steller Georg Büchner im 19. Jahrhundert aus. Gott steht dem leidenden Menschen bei. Er nimmt ihn in Dienst und macht ihn zum Mitarbeiter der Erlösung für „die Vielen“ – und das sind potenziell alle: Gottes Licht scheint ihm auf und er wird satt von der Erkenntnis Gottes und seiner Weisheit. Gott nennt ihn „mein Knecht“ und „der Gerechte“, der die Schuld der Vielen trägt und erträgt... (vgl. Jes 53,11).

Wer ist dieser leidende „Gottesknecht“? Man muss wohl meh­re­re Möglichkeiten in Betracht ziehen. Die „Gottesknechts­lieder“ bleiben offen für unterschiedliche Antworten.

Eine Möglichkeit ist, dass Gottes Knecht das Volk Israel selbst ist. Jerusalem ist zerstört, die judäische Oberschicht deportiert nach Mesopotamienn(heute Irak); wir nennen das die Babylonische Gefangen­schaft. Das Volk Israel hat diese Katastrophe selbst als Strafe Gottes für den Ungehorsam vor allem seiner Könige und der bezahlten Propheten gedeutet.

Am absoluten Nullpunkt aber gibt Israel nicht auf, sondern deutet seine Beziehung zu Gott ganz neu. Geschunden, ja zer­malmt erfährt das Volk Gottes, dass der HERR nicht im zerstör­ten Jerusalem geblieben ist. Er hat sein Volk ins Exil begleitet!

Dort gibt es keinen Tempel, in dem manJom Kippur, den großen Versöhnungstag, begehen könnte (erst kürzlich wurde er wieder von den Juden gefeiert), an dem alljährlich alle Schuld vergeben wird: Man lädt die Sünden auf einen Bock und treibt den dann hinaus in die Wüste. – Jetzt aber trägt Israel die Schuld und erweist sich so als Knecht Gottes. In der Fremde und am Boden zerstört erfährt es: Der HERR setzt unser Leben ein als Schuldopfer. Es braucht keinen Tempel, an dem man das große Sündenbock-Ritual vollziehen könnte. Gott handelt an uns. Er eröffnet in der Katastrophe eine neue Zukunft.

Im Exil ist diese neue Erkenntnis der Lichtblick. Man studiert die Heiligen Schriften neu. Ausgerechnet im Exil erkennt das Volk Gottes: Es gibt nicht die vielen Götter! Es gibt nur den einen Gott und HERRN, der Herr ist über die ganze Welt. Zu diesem strikten Monotheismus findet Israel ausgerechnet im Exil, am äußer­li­chen Nullpunkt – und schenkt diesen Glauben der Welt und uns bis heute. Das Volk Gottes „sättigt sich an [dieser] Erkenntnis“ (vgl. V. 11).

Bereits damals blitzt auf, dass diese Erkenntnis für „die Vielen“ Bedeutung hat. Für die ganze Welt. Freilich nicht in einem Automatismus, der alle erfasst. Diese Erkenntnis wird getragen in zerbrechlichen Gefäßen. So steht sie allen zur Verfügung, die sich ihr öffnen.

Die schreckliche Erfahrung der Shoah wurde im 20. Jahrhundert auch theologisch zur Herausforderung. Angesichts des Plans Hitlers, die Juden zu vernichten und ihre Leichen in den Kre­matorien der Lager zu verbrennen, spricht man ja auch vom „Holocaust“, was Brandopfer bedeutet. Das mag an Jes 53 erin­nern, bleibt aber problematisch. Juden verwenden eher das Wort Shoah. Dennoch haben auch jüdische Theologen diese Katastrophe als Hingabe für die Welt verstanden. Damit stellten sie sich in die Tradition, wonach das priesterliche auserwählte Volk sich für diese Welt und ihre Erlösung hingibt.

Im Deutschen geraten wir mit dem Begriff Opfer schnell auf Abwege. Viele andere Sprachen differenzieren viel stärker. Eng­lisch „victim“ bedeutet etwa, dass jemand zum Opfer gemacht wird. Unschuldig erleidet er Unrecht, gegen das er sich nicht wehren kann. – Dagegen deutet das Wort „sacrifice“ oder lat. „sacrificium“ an, dass es auch ein Opfer gibt, das jemand freiwillig bringt: Eltern etwa für ihre Kinder, oder Verliebte füreinander. Durch dieses Opfer der freiwilligen Hingabe entsteht „Heiliges“, ein Sakrament, wenn man so will, durch das Gottes Handeln hindurchscheint. Auf diese Opfer kann die Welt nicht verzichten. Davon leben wir alle.

Früh haben die Jünger den Kreuzestod Jesu vor allem als Selbst­hin­gabe gedeutet. Im Opfer Jesu am Kreuz wird die Macht des Todes, des Egoismus und Herrschen­wollens überwunden. Chris­tus lernt durch Leiden den Gehorsam, deutet der Hebräer­brief das Erlösungsgeschehen. Der gehorsame Jesus überwindet Adams Ungehorsam. In Tod und Auferweckung Christi erweistsich Gottes Kraft; sie ist stärker als Unrecht, Leid und Not: „Nie­mals vergessen – es wird regiert!“, sagte der sterbende (ev. Dogmatiker) Karl Barth.

Am Gehorsam und an der Selbsthingabe Jesu muss die Gemein­de immer wieder Maß nehmen. Mit Petrus gehören Jakobus und Johannes zum „Dreigestirn“ besonderer Beziehung zu Jesus. Aus dieser Nähe mag die Bitte, der Wunsch entsprungen sein, eine bedeutende Stellung im Reich Gottes einnehmen zu dürfen. Karrieredenken, Imponiergehabe, Erfolgsaussichten besetzen allzu leicht das Herz des Menschen. Aber es gibt auch die Lebens- und Schicksalsgemeinschaft der Christen mit Jesus im Leiden. Das werden wir nachher im Evangelium hören.

Uns mag trösten, dass Gott uns auch im Leid nahe bleibt. Und dass er auch aus dem scheinbar sinnlosen Leiden Gutes wirken kann. Amen.

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October

2021

"Daher betete ich - und der Geist der Weisheit kam zu mir" (Weish 7,7)

Bruder Jeremias OSA

Predigt von Br. Jeremias OSA am 10.10.2021 in der Brunnenkirche zu Erfurt
(28. Sonntag im Jahreskreis B)

Schrifttext: Weish 7,7-11

Daher betete ich und es wurde mir Klugheit gegeben; ich flehte und der Geist der Weisheit kam zu mir. Ich zog sie Zeptern und Thronen vor, Reichtum achtete ich für nichts im Vergleich mit ihr. Einen unschätzbaren Edelstein stellte ich ihr nicht gleich; denn alles Gold erscheint neben ihr wie ein wenig Sand und Silber gilt ihr gegenüber so viel wie Lehm. Mehr als Gesundheit und Schönheit liebte ich sie und zog ihren Besitz dem Lichte vor; denn niemals erlischt der Glanz, der von ihr ausstrahlt. Zugleich mit ihr kam alles Gute zu mir, unzählbare Reichtümer waren in ihren Händen.

Predigt

Eigentlich müsste man dieses siebte Kapitel des Weisheitsbuches wirklich ganz von vorne lesen. Der Verfasser bekennt nämlich zu­nächst seine Sterblichkeit und „in Windeln und Sorgen wurde ich aufgezogen“, wie alle Menschen, vom Bettler bis zum König. „Alle haben den gleichen Eingang zum Leben, gleich ist auch der Ausgang“ (Weish7,6).

Wir werden an Psalm 90 erinnert, aus dem wir vorhin einige Verse gesungen haben: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz“ (Ps 90,12). Noch deutlicher über­setzt Luther: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Der Tod mag erschrecken. Wir halten ihn so lange es geht auf Distanz. Und doch lohnt es sich, nein, macht es uns weise, das Sterbenmüssen im eigenen Leben zu akzeptie­ren. Denn aus dieser Perspektive bekommt alles seinen Platz und relativiert sich manches „Müssen“, das uns vor sich hertreibt.

Jetzt erst setzt unser heutiger Textabschnitt ein. Das erste Wort wurde wie die ersten sechs Verse weggelassen: „Daher betete ich...“ Die eigene Endlichkeit lässt erkennen, wie wenig wir aus eigener Kraft vermögen. Die Lebensklugheit, nach der wir uns ausstrecken – wo soll man sie finden? Gott allein kann und muss uns eine Klugheit, ja den Geist der Weisheit schenken, der unsere Beschränktheit weitet.

Oft leben Menschen sehr gut ohne nach Gott zu fragen. Es gibt ja genügend Angebote, das Leben in eigener Regie zu meistern: gute und weniger gute. Da muss man doch nicht immer gleich nach Gott fragen! Und wenn doch, dann ist das manchmal wie ein Sahnehäubchen oder die Kirsche oben drauf. Beiwerk, aber nicht sooo wichtig?

Na, besser, man fragt nicht zu viel nach Gott, denn wenn ER die Regie meines Lebens übernähme....? Wollte ich das wirklich? Der alte Wurm beginnt wieder zu nagen: Gönnt Gott mir die Lust am Leben? Ist er nicht doch eher der Spielverderber, bei dem vor allem verboten ist, was Spaß macht? Vorsicht, dass er dich nicht in seine Nachfolge ruft!

Vielleicht denkst du gar nicht so, und ich übertreibe mal wieder maßlos! Vielleicht hast du eine gute Beziehung zu deinem Gott, und er gibt dir Kraft. Er bestärkt dich auf deinem Weg, und ja, wenn es mal eng wird, dann würde er sicher ein Halt für dich sein.

Wirklich? – Machen wir Gott da nicht zum Sahnehäubchen, damit unser selbstbestimmtes Leben an seinen Brüchen und Rändern doch noch etwas abzurunden ist?

„Hauptsache gesund!“, sagen wir, wenn wir uns zum Geburtstag gratulieren – oder nun auch verstärkt in der Pandemie. Hauptsache gesund, sagen die Leute, wenn sie zur Geburt eines Kindes gratulieren. Meine Nichte kam mit dem Down-Syndrom zur Welt. Hauptsache gesund!? – Ist das wirklich die Hauptsache?

Schön wollen wir sein, und etwas Glanz sollte schon auf uns fallen! Dafür betreiben wir einigen Aufwand. Ich staune, was man alles auf Haut und Haare auftragen kann, um jünger und zarter auszusehen... Schönheit oder Fitness kann zur Ersatzreligion werden. Hauptsache schön und jung, fit und gesund?!

Ich bin froh, dass ich derzeit keine Geldnot habe. In meiner Fa­mi­lie musste ich schon andere Zeiten erleben. Aber selbst mit dem Gelübde der Armut – finanziell hat unsere kleine Kommunität ihr Auskommen. Wir können auch mal etwas großzügiger spenden, und werden doch kaum etwas von dem einsparen müssen, was wir uns gerne gönnen. Darüber bin ich froh.

Ich bin aber auch froh, dass mich diese relative Sicherheit ruhig macht. Es gibt auch andere Menschen, die immer noch mehr Sicherheit brauchen – und deshalb immer weiter verschie­ben, wofür sie doch eigentlich leben wollten. Wie will man getrieben vom Erfolg und beruflichen Aufstieg dem HERRN nachfolgen? Später mal, wenn die Rente kommt? Wirklich?!

Der Verfasser des Weisheitsbuches weiß, dass die wahre Lebens­könner­schaft Gott schenken muss. Und Gott schenkt seinen Geist der Weisheit denen, die ihn darum bitten. „Zugleich mit ihr (der Weisheit) kam alles Gute zu mir, unzählbare Reichtümer“ (Weish 7,11).

Das kann der Mann, der Jesus nach Ewigen Lebens fragt, nicht glauben. Dabei umarmte ihn Jesus so liebevoll... Können wir begreifen, dass Jesu Umarmung uns schon so reich beschenkt hat? Fehlt noch etwas? Meine Antwort? Vielleicht zuerst meine Bitte, dass Gott mir seinen Geist der Weisheit schenken möge. Amen.

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October

2021

"Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei" (Gen 2,18)

Dorothea Höck

Predigt am 2. und 3. Oktober 2021 über Gen 2,18-25 in Erfurt in der Brunnenkirche

(Angermuseum Erfurt)
Gen 2, 18-25 (Text)

Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. Und Gott der HERR machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, „dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen". Und der Mensch gab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen; aber für den Menschen wurde keine Hilfe gefunden, die ihm entsprach. Da ließ Gott der HERR einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch. Und Gott der HERR baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. Da sprach der Mensch: Die ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden ein Fleisch sein. Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht.

Liebe Gemeinde,

wir hörten von den paradiesischen Urzuständen der Geschichte Gottes mit uns Menschen. Es ist ein Mythos, in dem wir zeitlos gültige Wahrheiten finden. Ich möchte mich mit Ihnen auf Spurensuche begeben.

Ich beginne noch etwas weiter vorn in unserer Erzählung: „Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen“ (Gen 2,7). Heute werde ich einige hebräische Worte einführen: „Da machte Gott der Herr den Adam aus Staub von Adamah“.1 Adamah ist die rotbraune Erde des Mittelmeerraumes. Adam ist ein Erdling, ebenso alle Tiere, die wie Adam aus Adamah geschaffen werden. Adam und die Tiere der Schöpfung sind aus dem gleichen Stoff gemacht. Doch zunächst sind sie nur Figuren. Dann bläst Gott ihnen seinen Odem in die Nase, das erst macht sie zu beseelten Lebewesen. Hebräisch „Nefesch“ bedeutet Seele, Lebenskraft, Lebenshauch, ja alle unsere Lebensäußerungen: Sie hungert oder ist satt, sie freut sich und ist verbittert, sie liebt und hasst und hofft, sie macht uns zu einzelnen, von anderen verschiedenen Personen.

Mit dem Einhauchen göttlicher Lebenskraft ist der Menschen vom buchstäblich ersten Atemzug an unmittelbar auf Gott bezogen. Ohne Gott – kein Leben. Unsere Seele, unsere Lebensenergie – Nefesch – ist das Göttliche in uns. Weil auch Tiere diese von Gott eingehauchte Seele haben, sind sie engste Verwandte des Menschen. Deshalb ist im Paradies das Töten und Verzehren von Tieren tabu. Erst später wird Gott dem Menschen das Zugeständnis machen, sich von Fleisch zu ernähren.

Von Anfang an ist der Erdling sterblich: Gott kann ihm die ihm verliehene Lebenskraft jederzeit wieder nehmen, wie den Tieren. Das schien den Menschen des ersten Testaments kein Problem gewesen zu sein. Als sichtbares Zeichen göttlichen Segens galt ihnen, alt und lebenssatt zu sterben, an Unsterblichkeit dachten sie nicht.

Dieser Erdling, Adam, saß nun im Paradies, und Gott kümmerte sich um ihn. Und Gott sah, dass er einsam war und Gesellschaft braucht. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“ Wir kennen diesen Satz aus den Predigten zur Trauung. Ja klar, der Mensch braucht einen anderen Menschen als Gegenüber. Doch was steht inunserem Text? Gott probiert es erst einmal mit der Vielfalt anderer Erdlinge und „machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen.“ Ich finde es schön, mir Gott dabei vorzustellen, wie er auf verschiedenste Weise versucht, dem Menschen das Leben zu verschönern, ihm Gesellschaft zu verschaffen, wie er eins um andere herbeibringt und vielleicht aus Adams Gesicht herauszulesen versucht, wann er denn endlich das Richtige für ihn trifft. Auch ermuntert er ihn, von der Schöpferkraft der Sprache Gebrauch zu machen: Er soll allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel Namen geben. Das war der erste Auftrag an den Menschen als künftigen Hüter der Schöpfung: Er soll sich vertraut machen mit allen Lebewesen in ihrer unendlichen Vielfalt. Die Namensgebung begründet eine Beziehung (so wie Eltern ja auch zu allererst ihrem Kinde einen Namen geben) und damit auch eine Verantwortung.

Doch mit der Erschaffung der Tiere war noch „keine Hilfe gefunden, die dem Menschen entsprach“. Er blieb trotz der göttlich-fantasievollen Fürsorge einsam. Wir können das spätestens nachvollziehen, seit wir im andauernden Lockdown mit den unterschiedlichsten Ersatzlösungen für menschliche Nähe und Gespräche experimentierten, als wir, schlimmer noch: miterleben mussten, wie diejenigen litten und verkümmerten, die in dieser Zeitvon unmittelbarer menschliche Zuwendung und Berührung vollkommen abgeschnitten wurden. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“: Es ist für den Menschen tödlich, wenn er allein bleibt. Gott musste etwas anderes einfallen, damit sein Erdling nicht starb. Und ihm fiel etwas ein.

Wir sind hier mitten im Mythos. Gott ist ein Handwerker, vielleicht auch ein Goldschmied. Und natürlich der Meister aller Meister. „Gott senkte auf den Menschen Betäubung, dass er einschlief, und nahm von seinen Rippen eine und schloss Fleisch an ihre Stelle. Gott baute die Rippe, die er vom Menschen nahm, zu einer Frau, und brachte sie zum Menschen.“ Wieder bringt er dem Erdling ein Geschenk: Ein Frau.

Viel ist geschrieben und auch gelästert worden, dass die Frau ja nur aus einer Rippe Adams gemacht wurde. Die beste Geschichte zur Rippe fand ich in einem Midrasch, einer alten jüdischen Auslegung unserer Erzählung2: „Unsere Weisen sagen dazu …, die Frau sei nicht aus dem Kopf des Mannes erschaffen, damit sie nicht über ihn herrsche, auch nicht aus seinen Füßen, dass sie ihm untertan sei, sondern aus seiner Seite, auf dass sie ihm eine gleichberechtigte Partnerin sei, seinem Herzen nahe.“

Das wird auch dem biblischen Bericht gerecht. Wir lesen: „Der Mensch sprach: Diesmal ist sie’s! Bein von meinem Gebein, Fleisch von meinem Fleisch! Die sei gerufen ´ischah, Frau, denn von `isch, vom Mann ist die genommen. Darum lässt ein Mann seinen Vater und seine Mutter und haftet seiner Frau an, und sie werden zu einem Fleisch.“

Martin Luther, der für gendergerechte Sprache nicht gelobt wird, findet als Entsprechung zum „Mann“ die „Männin“. „Isch – Ischa“. Die Ischa – wir kennen umgangssprachlich in Mitteldeutschland Ische – ist nun endlich diejenige, die die Einsamkeit Adams beendet, die ihm eine Gehilfin ist, die ihm entspricht. Wohlgemerkt: Sie entspricht ihm. Sie ist nicht seine Dienerin.

Ab sofort ist Adam ein Mann – vorher war er ein geschlechtsloser Erdling. Das Wort für Mann – „Isch“ – taucht erst zusammen mit der Ischa auf. Man kann also sagen: Das gibt es nur als Wortpaar, ein Erdling allein ist noch kein Mann. So lesen wir es auch im ersten Schöpfungsbericht Genesis 1: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ Erst Mann und Frau zusammen sind Gottes Ebenbild.

Hier füge ich jetzt noch ein kleines hebräisches Wortspiel mit vier Buchstaben ein. Es drückt den Geist der Schöpfungserzählungen aus: Alles, alles, was ist, wird auf Gott ausgerichtet gesehen. Erzählt hat mir das vor vielen Jahren ein Rabbiner aus Budapest.

Wo Gott nicht dabei ist in der Beziehung zwischen Frau und Mann, da ist die Hölle zwischen ihnen.

So bewegt sich die Ehe zwischen Himmel und Hölle!

Die Freude des Erdlings ist riesig: „Diesmal ist sie’s! Bein von meinem Gebein, Fleisch von meinem Fleisch!“ Ein Freudenschrei.

„Fleisch“ meint hier nicht nur das rein Körperliche, das lebendig gewordene und vergängliche Erdmaterial, sondern auch Vitalität und Lebensfreude. Gott hat dem Menschen ein Herz aus Fleisch gegeben, kein Herz aus Stein: Das Herz aus Fleisch kennt den Willen Gottes. Mann und Frau werden sein ein Fleisch – aber auch: Ein Herz und eine Seele.

Erst im Anderen kann ich mich selbst erkennen. „Der Mensch wird am Du zum Ich. Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ Martin Buber hat die beste Begründung für den Freudenschrei des ersten Menschen gefunden.

Und noch etwas ist mir an unserer Geschichte aufgefallen: Wir lesen: „Darum lässt ein Mann seinen Vater und seine Mutter und haftet seiner Frau an.“ Das ist das pure Gegenteil von dem, was Eva als Schicksal nach dem Sündenfall auferlegt bekommt, nach Gen 3,16: „Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.“ Die Herrschaft des Mannes über die Frau beginnt erst nach der Vertreibung aus dem Paradies. Sie ist Ausdruck des Zerwürfnisses zwischen Menschen und Gott und der Menschen untereinander. Im Paradies, ursprünglich von Gott gewollt, waren Mann und Frau einander ebenbürtig, sie entsprachen einander. Ich finde es erstaunlich, dass das die Menschen vor 3000 Jahren schon wussten, als sie sich erzählten, wie alles begann und warum unsere Welt so ist, wie sie ist.

Der paradiesische Zustand ist vorbei, und hinter dieses Wissen können wir nicht mehr zurück. Der letzte Satz unserer Erzählung markiert schon den Übergang: „Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht.“ Dass sie sich nicht schämten, kann nur sagen, wer Scham kennt. Im Paradies hatten die Menschen nichts voreinander zuverbergen, sie waren mit sich und miteinander im Reinen. „Glücklichsein heißt, ohne Schrecken seiner selbst innewerden zu können“, schreibt Walter Benjamin. Aber das gilt nicht für die Menschen im Paradies. Denn solches Glück ohne Schrecken setzt das Wissen um die Schattenseiten, um die Dunkelheit des menschlichen Herzens voraus. Auf diese Weise glücklich sein kann also nur der Mensch außerhalb des Paradieses. Eine Folge des Sündenfalls war mit der Scham auch die Geburt des menschlichen Gewissens. Wir können uns in die beiden im Paradies nicht wirklich hineindenken, die Unschuld im Garten Eden lässt sich nicht zurückholen. Dennoch ist es gut, die Sehnsucht nach dem Glück zu pflegen, mit sich und seinen Nächsten im Reinen zu sein, einander als ebenbürtig zu behandeln und damit sozusagen ein Stück Himmel auf Erden zu leben.

Mark Twain, der literarische Vater von Tom Sawyer,schildert in den „Tagebüchern von Adam und Eva“ auf äußerstvergnügliche Weise, wie sich das erste Paar der Menschheit einandernähert, wie gegenseitige Anziehung und auch immer wieder Abneigungschon im Paradies Chaos stiften. Wie zum ersten Mal das Wort „Wir“seinen Anspruch auf Geltung erhebt. Nach ihrer Vertreibung aus demParadies beklagen sie das Verlorene, doch: sie haben einander undihre Liebe, die in nichts anderem begründet ist, als: dass er er undsie sie ist. Dieses literarische Meisterstück endet mit demGrabspruch, den sich die gealterte Eva von Adam wünscht: „Wo immerSIE war, da war das Paradies.“ 1 Es ist uns also nicht ganz abhanden gekommen.

1 Einige der Hinweise zur biblischen Anthropologie fand ich in: Silvia Schroer, Thomas Staubli: Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 1998

2 https://www.juedische-allgemeine.de/religion/mann-und-frau-zwei-haelften

1 Mark Twain: Aus Adams Tagebuch / aus Evas Tagebuch. In: Ders.: Meistererzählungen, Manesser-Verlag Zürich 1998, S. 7-49

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October

2021

Abundance: Tanzgottesdienst in der Brunnenkirche

Franzi & Sascha