Elisabeth hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Sie wusste, dass es so bleiben würde, mit den mitleidigen Blicken und dem Getuschel, wenn sie mit Zacharias irgendwo hinging. Die diskreten oder indiskreten Nachfragen, die immer gleiche Frage: Wollt ihr nicht oder könnt ihr nicht. Ihre Antwort war immer schmerzhaft und eindeutig: Natürlich wollen wir, aber es soll wohl nicht sein. In der Gegenwart und später in der Vergangenheit: es sollte nicht sein.
Für uns gibt es keine Zukunft, bloß das bisschen Gegenwart und irgendwann viel Vergangenheit. So ist das ohne Kind.
Maria hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Sie wusste, dass es so bleiben würde, mit den mitleidigen Blicken und dem Getuschel, wenn sie irgendwo hinkam, unterwegs war. Sie kannte die diskreten Nachfragen: Musste das sein? Du hast doch das Leben noch vor dir...
Und das ist erst der Anfang, noch sieht es ja keiner, aber bald werden es alle sehen, dann kann sie es nicht länger verstecken und muss es zeigen. Ihr Gesicht, das Gesicht eines Mädchens und darunter der schwangere Bauch einer Frau. Mitleidige Blicke, Getuschel und manchmal ein leises Kopfschütteln.
Sie ist doch selbst fast noch ein Kind.
Elisabeth und Maria begegnen sich. Zwei Frauen, die das Allerschlimmste kennen. Eine Frau ohne Kind zu sein, damals das Allerschlimmste. Ein uneheliches Kind zu bekommen, damals das Allerschlimmste. Die eine hatte es schon hinter sich, ein ganzes Leben voller Enttäuschung und Leere.
Die andere noch vor sich, eine Zukunft voller Ungewissheit und Fragen.
ZweiMenschen treffen sich, zwei Mütter, zwei werdende Mütter. Die eine ist richtig alt! Die andere fast zu jung! Elisabeth und Maria.
Die eine hat schon ganz viel Geschichte hinter sich – die andere noch ganz viel vor sich.
Ich weiß nicht, wie viele Generationen zwischen den beiden wohl lagen. Darauf kommt es auch nicht an, worauf es ankommt sind doch die Kinder;
Was von Ihnen zu sehen und zu erfahren ist.
Erst einmal gewölbte Bäuche. Wir können uns vorstellen, wie die beiden Frauen ausgesehen haben. Ob es damals auch schon Umstandskleidung gab?
Und da sind Gespräche, Lachen und sichert auch Zweifel.
In solch einer Situation sind alle gleich und alle auch gleich voller Hoffnung.
Schön, dass wir das erfahren dürfen, sehen dürfen.
Lukas erzählt von dieser Begegnung, dieser einmaligen Begegnung. Es gab keine Wiederholung, nur die beiden Kinder haben später immer wieder miteinander zu tun.
Die beiden Frauen nehmen sich in den Arm – Elisabeth und Maria.
Und Lukas erzählt weiter – woher er das wohl weiß – dass das Kind im Bauch Elisabeths hüpfte.
Gut, so etwas kann man sehen, spüren. Das sind Glücksmomente junger werdender Eltern. Man kann damit spielen und mit jeder Bewegung – wenn sie nicht zu schmerzlich ist – wächst die Freude: bald!
Ja, eigentlich erzählt Lukas ja nur eine Geschichte von zwei schwangeren Frauen.
Ihr Mütter und Väter, ihr kennt das. Erzählt euren Kindern, wie schön das war, die Bewegungen zu spüren und wie glücklich ihr wart.
O.k., Lukas will schon mehr erzählen, es ist schon ein bisschen anders:
Elisabeth freut sich jetzt ja nicht über das Kind, was in ihr wächst – ihre Freude ist überschwänglich über das Kind, das in Maria darauf wartet, das Licht der Welt zu erblicken.
Sie nennt es sogar ihren Herrn! Das noch nicht geborene Kind nennt Elisabeth: Herr!
Da scheinen sich große Dinge anzukündigen, von denen wir noch wenig wissen. Aber was weiß Elisabeth?
Maria ist ja ganz still! Außer dem Gruß, als sie das Haus betritt, sagt sie kein Wort. Aber sie hört etwas! Sie hört etwas von ihrem Kind!
War da nicht schon mal etwas mit dem Engel, der eigens zu ihr gesandt war?
Wir haben es eben gehört, Lukas erzählt es:
„Sei gegrüßt, Du Begnadete...(bis) ...seine Herrschaft wird kein Ende haben“.
Und Elisabeth... das Geheimnis lüftet Lukas auch:
Der Heilige Geist hat die Fäden in der Hand, sagen wir mal, er spielt hier die Hauptrolle. Was wir nicht wissen können, wird uns von IHM gesagt.
Ja, hat das Hüpfen des Kindes im Bauch von Elisabeth vielleicht noch eine andere Bedeutung als eine natürliche Bewegung eines Babys, das sich schon mal streicheln lässt?
Johannes freut sich. Er freut sich auf Jesus. Er freut sich, dass die alten Verheißungen Gottes in Erfüllung gehen.
Dabei ist Johannes nicht einmal geboren!
Eine schöne Geschichte: Bevor nur ein Wort gesagt wird, wandert die Freude über den Bauch der Elisabeth. Nicht ein Gesicht lacht, auch nicht die Augen, der Bauch ist es!
Lukas hat schöne Geschichten, die hat die Welt noch nicht gesehen, das ist einmalig: dass ein Bauch vor Freude lebt.
Doch, hat sie, die Welt, damals im judäischen Bergland, wo sich eigentlich Fuchs und Hase, Schakal Gute Nacht sagen!
Gott fängt in der Einöde Neues an. Unbemerkt. Wenn da nicht der Bauch wäre.
Du, Bethlehem -Efrata, bist zwar klein unter den Sippen Judas, ausdir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll.
So Micha der Prophet
Die Menschen werden in Sicherheit wohnen; denn nun wird er groß sein bis an die Grenzen der Erde. Und er wird der Friede sein.
Eine alte Prophezeiung – es sei Zeit für solch eine Hoffnung, große Worte.
Vielleicht ist es besser, wir schauen noch einmal bei Elisabeth und Maria vorbei:
Eine intime Szene, die Lukas darstellt, die er wie ein Maler so malt, dass doch die ganze Welt zusehen soll.
In dieser Begegnung der beiden Frauen treffen Welten aufeinander: die „alte Welt“, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat und die „neue Welt“, die Schalom, Frieden, Heil bringt.
In der Begegnung dieser beiden Frauen treffen Hoffnungen aufeinander.
Sehr merkwürdig: mehr als zwei Schwangerschaften haben wir gerade nicht.
Dass Gott aber auch so klein anfängt – oder so klein weitermacht.
Ja, es passt tatsächlich in einen Bauch.
Es gibt ein interessantes Bild zu dieser Szene – neben so vielen wie sie unterschiedlicher nicht sein können.
Aber der Holzschnitt von Käthe Kollwitz von 1929, der ist etwas Zutreffendes.
Dunkel wie die Zeit, sowohl der Hintergrund, als auch die beiden Frauen.
Zwei Frauen, eine ältere, eine jüngere, beide schwanger. Die Jüngerewendet sich etwas ängstlich aber vertrauensvoll an die Ältere. Diese legt ihren Arm behütend um sie und die rechte Hand schützend auf ihren Bauch. Es scheint so, als sagt sie ihr vertraulich etwas ins Ohr.
Ja, Maria sieht traurig aus. Oder ist es gar nicht Maria? Die Maria? Unsere Maria?
Vielleicht ist es ein junges Mädchen, ungewollt schwanger, alleine.
Allein, wie viele Mädchen und Frauen. Irgendwo. Nicht nur 1929. Weltwirtschaftskrise ist – überall. Wenn auch nicht bei jedem.
Marias Hände sind wie abgehoben. Sie hat nichts in der Hand. Auch ihr Leben nicht.
Elisabeth dahinter, ganz nah an ihrem Ohr, eine zärtliche Nähe. Wärme, der Haut, des Atems. Leise Worte. Die Hand Elisabeths, sie liegt auf dem Bauch der jungen Frau. Ob sich das Kleine bewegt?
Zwei Menschen in einer Geschichte.
Der dunkle Hintergrund – er ist wie ein schützender Raum.
Nur soviel Licht, wie wir brauchen, um etwas zu sehen.
Wir sehen das Dunkle, wir sehen aber auch die Geborgenheit.
Eine Hand liegt auf der Schulter, die andere auf dem Bauch.
Schon faszinierend, oder?
Elisabeth freut sich, ihr Kind freut sich – in diesem Bild von Käthe Kollwitz schenkt sie einem Mädchen Nähe und Wärme, das traurig und hilflos einfach da steht. Ob sie sich kennen? Muss man sich kennen?
Dass Menschen in Sicherheit wohnen und glücklich sein können, ist eine Hoffnung von einem Ende der Erde zum anderen.
Manchmal braucht der Frieden – nur einen Menschen.
Lukas beendet sein Evangelium mit den Worten:
„Und selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“
Diesen Glauben drückt Maria in einem alten Psalmlied aus, wohl das älteste Adventslied, was wir haben und von dem Dietrich Bonhoeffer 1933 in London, als er entschied, das sichere England zu verlassen und nach Deutschland zurückzukehren, wo ihn der Tod erwartete:
„Dieses Lied der Maria ist das älteste Adventslied. Es ist zugleich das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen worden ist. Es ist nicht die sanfte, zärtlich verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern dargestellt sehen, sondern es ist die leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte Maria, die hier spricht.“
Und Martin Luther sagt es so: Maria- „lehrt uns mit dem Exempel ihrer Erfahrung und mit Worten, wie man Gott erkennen, lieben und loben soll“
Sie singt also nicht für sich allein.
Mit ihr ist Elisabeth, mit ihr sind Abraham und Sarah, Rahel und Jakob, Ruth und Naomi – eingeschrieben in den Stammbaum des großen Königs David. So geht es zu bei Gott.
Das wissen Maria und Elisabeth. Sie sind nicht die einzigen, sie sind wie ein Chor von Frauen, die das Allerschlimmste kennen, die es schon hinter sich haben oder noch vor sich.
Sie alle sind in dem Lied, das sie singt, und auch vorsingt, damit wir mitsingen können.
Sie lässt uns die Frage stellen: wer oder was in unserem Leben wichtig ist, wen oder was wir „erheben“, wen oder was wir hoch heben.
Eine Frage, die lebenswichtig ist – überlebenswichtig, für jede und jeden von uns, Tag für Tag, immer wieder neu.
Ein Lied, Marias altes Lied – ein ganz persönliches Magnifikat:
(Chor und Band der Edith-Stein-Schule Erfurt)
"Freut euch im HERRN zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich euch: Freut euch! Denn der HERR ist nahe.“ (Phil 4,4.5)
+ Der HERR, der kommt und der unsere Freude ist, sei mit euch!
Der HERR kommt wieder! Er steht schon vor der Tür und ist uns ganz nahe. Zählbar sind die Tage bis Weihnachten.
Gott ist im Kommen! IHN zu verkünden, ist unsere erste und wichtigste Aufgabe. Es braucht dafür zuerst unsere eigene Bereitschaft, den HERRN nahe an mich herankommen zu lassen. Vielleicht muss ich mich manchmal auch der Furcht stellen, die mich befällt, wenn mir bewusst wird: Gott kommt?!
Doch glauben wir immer wieder neu: Da kommt Gutes auf uns zu, da kommt einer auf uns zu, dessen Fülle wir in diesem Leben nie ausschöpfen können. Schon Seine Ahnung macht froh: Gaudete – freut euch im Herrn zu jeder Zeit!
Das ist keine sentimentale Gefühlsduselei. Wir freuen uns, weil Gott auf dem Weg zu uns Menschen ist; weil wir Seine Nähe erfahren dürfen; weil ER in unser Leben kommen will. Mit dieser Freude im Herzen bestehen wir den AlltagBitten wir den HERRN um Vergebung für unser Versagen. Begrüssen wir unseren Erlöser mit dem Kyrieruf in unserer Mitte.
Johannes der Täufer zitierte in seiner Predigt den Propheten Jesaja: Bereitet dem HERRN den Weg! – Vielleicht denkt manch einer: Das ist nicht zu mir gesprochen. Für den frommen Straßenbau gibt es sicher Spezialisten! Doch hätte der Täufer draußen am Jordan so gesprochen, wenn es ihm nicht um genau die Menschen gegangen wäre, die da draußen gerade vor ihm standen?
Der Ort scheint mit Bedacht gewählt; darauf hat Dorothea Höck bereits am letzten Adventssonntag hingewiesen: Hier hatte das Volk Israel endlich den Jordan überschritten und das gelobte Land betreten – nach 40 Jahren Wüste. Hier hatte Elija (ist nicht gar der Täufer Elija, fragen sich einige...) den Jordan geteilt und war trockenen Fußes hindurchgegangen. Nun steht wieder ein großes Ereignis der Befreiung an: Gott greift ein. ER kommt! Der Christus steht vor der Tür!
Was sollen wir dann aber tun? – Die Menschen damals jedenfalls hatten das Zeichen des Johannes begriffen, wenn sie ihm genau diese Frage stellen: „Was sollen wir tun?“ – Die Antwort ist denkbar einfach: „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso“ (Lk 3,11).
Salopp formuliert heißt „Straßenbau für den Herrn“ also: „Lass dich anrühren von fremder Not. Schau nicht weg! Gehe nicht gleichgültig vorüber, wo du gefordert bist und helfen kannst mit dem, was du hast. Sei da, wenn jemand dich braucht! Du musst nicht die ganze Welt retten, aber wage Empathie!“
Christus hat die Not der anderen nicht gleichgültig gelassen. Sie muss uns ebenfalls berühren, tragen wir doch seinen Namen. Es darf uns nicht kalt lassen, wenn jemand bloßgestellt und ihm quasi das Hemd ausgezogen wird. „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat.“
Es darf uns nicht kalt lassen, wenn auf unserer Erde immer noch Millionen Hunger leiden. Dabei könnte die gegenwärtige Lebensmittelproduktion deutlich mehr als die aktuelle Weltbevölkerung ernähren. Es gibt ein Verteilungsproblem, kein Produktionsproblem! Was für ein Wahnsinn!
Die Not dieser Welt rückt uns immer wieder auf die Pelle. Die Flüchtlingsströme werden nicht eher abreißen als bis diese Erde von Gerechtigkeit geprägt wird. Abschottung funktioniert immer weniger. Hinschauen und Umkehr, ja Weg-kehr von einer Politik des „Wir zuerst“ ist nötiger denn je. Lasst uns also solidarisch zusammenstehen. Diese eine Erde gehört allen Menschen!
„Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso.“ – So klar und einfach benennt das der Täufer! Keiner muss Außergewöhnliches leisten oder selber in Not geraten. Aber wenn in deiner Hand liegt, womit dem Nächsten und Fernsten geholfen ist, dann kannst du damit dem Herrn den Weg bereiten. Wenn wir uns anrühren lassen von fremder Not, verspricht Gott uns Seine Nähe.
Auch Zöllner und Soldaten stellten Johannes die Frage: „Was sollen wir tun?“ Bedenkt, dass die Zöllner damals als unverbesserliche Betrüger galten; und Soldaten heißt für diese Zeit keineswegs „Bürger in Uniform“, sondern brutale Söldner, denen man besser aus dem Weg ging. Kaum vorstellbar, aber offenbar kamen auch von denen welche und ließen sich von Johannes taufen. Was bedeutet für Menschen dieses Kalibers Umkehr? „Was sollen wir denn tun?“, fragen sie – und damit wohl auch: „Wovon sollen wir leben, wenn...? Nicht jeder kann einfach den Beruf wechseln...“
Die Antworten des Täufers klingt beinahe banal: „Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist.“(Lk 3,13b), sagt er zu den Zöllnern. Und zu den Soldaten: „Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold!“ Die eigene Gier zügeln... Auch das sollte jeder leicht auf sich und seine Situation übertragen können.
Wir bereiten dem Herrn den Weg nicht durch das Außergewöhnliche und noch nie Gehörte, sondern wenn wir im Alltag unser Bestes geben; wenn wir treu unsere Arbeit tun, wie es sich gehört; wenn wir ehrlich und freundlich mit den Menschen umgehen; wenn eine Verkäuferin etwa die Kunden gut berät, weil sie will, dass sie mit ihrem Einkauf zufrieden sind; wenn Angestellte sich auch im kleinsten vor Unterschlagungen hüten und das Wohl der Firma fördern; wenn Arbeitgeber gerechte Löhne zahlen und ihren MitarbeiterInnen Respekt zollen; wenn Schüler ihre Aufgaben gut machen; wenn Kinder und Eltern immer wieder aufeinander zugehen; wenn Ehepartner in Konflikten mit der Brille des anderen zu sehen versuchen; wenn wir in allen zuerst den Menschen sehen und uns hüten vor diffamierenden Etiketten wie Asylmissbrauch, Schmarotzer, Flüchtlingsschwemme usf. Wenn wir in der Pandemie aufeinander Rücksicht nehmen und auch denen, die anders denken, nichts Schlechtes unterstellen – weil dann sind Gespräche und die gemeinsame Suche nach dem Besten unmöglich... So einfach ist das. So schwer ist das oft...
Gott sei Dank, uns ist Hl. Geist geschenkt, der Beistand und Tröster. Wir taufen wie Johannes nur mit Wasser. Aber Jesus schenkt Geist und Feuer! In der Feuertaufe der Entscheidung erfahren wir, dass Christus unser tiefster Halt wird. Dann bin ich Christ nicht mehr (nur) aus Tradition. Dann kann ich mich ganz entschieden Gott überlassen, IHM, dem Herrn der Ernte, der das Gute sammeln wird, auch wo ich nur Spreu wahrnehme.
Wir torkeln nicht mehr nur durch diese kurze Zeit, die wir auf Erden haben. Gott wandelt unsere Zeit in den Kairos, den rechten Augenblick, IHM zu begegnen. Diese Begegnung, dieses „Heilige Feuer“, kann uns durch und durch wandeln. Dazwischen mag uns hoffentlich eine heilsame Unruhe erfüllen. Erfüllen und trösten mag uns das „schwarze Feuer“ der Heiligen Schrift, in der wir Orientierung suchen. Erfüllen auch das „weiße Feuer“ der Tradition, in der wir stehen und die sich dynamisch entwickelt, wenn wir mit der Welt, in der wir leben, im Gespräch bleiben – und auch das Gespräch miteinander pflegen, die Communio: Denn wir brauchen einander, um Gott zu finden.
Liebe Schwestern und Brüder, wir bereiten dem HERRN den Weg. Das ist eine große Aufgabe, aber wir brauchen uns nicht vor der Überforderung zu fürchten. Jede und jeder von uns kann in seinem ganz normalen Alltag Möglichkeiten finden, dem HERRN den Weg zu bereiten: Treue in den kleinen Dingen, die uns aufgegeben sind, nicht die außergewöhnlichen, die wir uns erst noch krampfhaft suchen müssten.
Der heutige Adventssonntag heißt „Gaudete“ – „freut euch“. Wegbereiter des HERRN wird man nicht mit dem Bierernst der Wichtigtuer. Christen sollten eher die frohe Gelassenheit üben, weil der HERR uns beisteht auch schon dann, wenn wir ihm den Weg bereiten wollen, da, wo wir hingestellt sind.
Der HERR schenke uns diese frohe Gelassenheit gerade dann, wenn wir wenig zu lachen haben, vielleicht auch gerade jetzt in den langen Monaten der Pandemie. ER schenke uns, dass wir im Alltag nicht bitter werden – regelrecht verbittern. Freut euch – und bereitet dem HERRN den Weg! Amen.
Gestern sah ich zwei Männer auf Straße vor der Reglerkirche: Sie riefen den Passanten laut zu: Kehrt um! Bekehrt Euch zu Jesus Christus! Das Reich Gottes ist nahe
Viele Menschen gehen vorbei, manche schauen befremdet. Niemand bleibt stehen und lässt sich auf die beiden ein.
Ich musste sofort an Johannes denken. So stelle ich ihn mir vor: Lang und hager – wie einer der beiden Männer gestern. In fast jeder orthodoxen Kirche findet sich eine Ikone des Johannes Prodromos, des Wegbereiters, wie er heißt. Immer ist er als Bewohner der Wüste erkennbar: barfüßig und asketisch, knochendürr, mit einem Umhang aus Kamelhaar, mit sehr langen zerzausten Haaren und Bart, oft mit Flügeln, die ihn von anderen Heiligen unterscheiden.
Würde ich stehenbleiben, wenn ich irgendwo unterwegs so einem wie Johannes begegnete?
Vielleicht, wenn ich damals gelebt hätte. Manche frommen Jüdinnen und Juden, die den Jordan an der Stelle querten, wo Johannes predigte, erinnerten sich bei seinem Anblick an eine Prophezeiung von Maleachi (3,23f): „Siehe, ich will euch senden den Propheten Elija, ehe der große und schreckliche Tag des HERRN kommt. Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Kindern und das Herz der Kinder zu ihren Vätern, auf dass ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann schlage.“
Nach biblischer Überlieferung (2. Kön 2, 8-11) hatte Elija dort, wo Johannes taufte, mit seinem Mantel das Wasser des Jordan geteilt und war trockenen Fußes hindurchgegangen. Dann entriss ihn ein feuriger Wagen den Augen seines Schülers Elisa. Seitdem glaubte man, dass Elija eines Tages wiederkommt und das Ende der Zeiten anbricht. Vielleicht hielt sich Johannes sogar selbst für den Elija der letzten Tage, viele seiner Anhänger glaubten es.
Und noch viel früher hatte der Richter Josua das Volk Israel nach langer Wüstenwanderung an eben dieser Stelle trockenen Fußes durch den Jordan in das gelobte Land geführt (Jos 3).
Jetzt also erscheint hier Johannes im Gewand der Propheten und ruft zu Buße und Umkehr. „Das Wort Gottes geschah an ihm“, schreibt Lukas. Wie Elija und andere war er vom Geist Gottes ergriffen, die Rede kam nicht allein aus ihm, er wurde zum Mund Gottes. Johannes macht seine Bußpredigt mit starken Bildern dringlich. „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ (Lk 3,9)
Diese prophetische Rede steht in starkem Kontrast zur trocken-sachlichen Einführung in unsere Geschichte. Da spricht der akribische und bestens informierte Historiker Lukas mit politischem Durchblick: "Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren..." (Lk 3,1-2a).
Im Bibelgespräch am Dienstag gab es die Einsicht, dass Lukas hier einen bewussten Gegensatz von politischer Situation und Heilsgeschichte setzt. Was auch die jüdische Geschichtsschreibung bestätigt: Johannes war eine historische Person, ein Wanderprediger mit einer Schülerschaft. Jesu Wirken beginnt erst nach seiner Gefangennahme. Alles an dem, was Johannes tut, ist zeichenhaft und gleichzeitig wirklich. Deshalb beschreiben die Evangelisten so genau die Umstände seines Auftretens.
Der Täufer bleibt östlich des Jordan und verkündet: Das Gericht Gottes steht unmittelbar bevor, und ihm entgeht nur, wer wie damals das Volk Israel unter Josua noch einmal neu in das Heilige Land einzieht. Dieser Neubeginn vollzieht sich mit der Taufe im Jordan. Johannes ist der Prodromos, der Wegbereiter Jesu Christi. Auch Jesus lässt sich von ihm taufen, und es wird berichtet, dass in diesem Moment der Geist Gottes auf ihm sichtbar wird (Lk3,21f). Vieles weist darauf hin, dass Jesus ursprünglich Schüler des Johannes war. Von Johannes kommt die Taufe, das Sakrament, das alle großen christlichen Konfessionen eint.
Johannes ist der Rufer in der Wüste. In der Wüste begann in alter Zeit die gemeinsame Geschichte von Gott und Menschen, dort zeigt sich Gott den Menschen, die er erwählt und durch die er handelt. Abraham, Mose, Elia, Johannes. In der Wüste offenbart sich Gott seinem Volk, stellte es auf die Probe, dort musste es sich bewähren.
In der Wüste sind wir auf uns selbst zurück geworfen, mit einem arabischen Sprichwort: „Die Wüste ist der Ort der Wahrheit, der Ort, wo alle schönen Worte enden und kein Reden stört.“1 Sie wird zum Ort der Versuchung und der Buße, zum Symbol der inneren Ungebundenheit und Freiheit, des Geheimnisvollen und Unfassbaren, aber man kann in ihr auch verloren gehen.
Was wir heute beispielsweise mit der Sahara verbinden, die sich unablässig ausbreitet, deren Sand in noch fruchtbares Land treibt und dieses nach und nach versteppen lässt– das entstand teilweise erst durch menschlichen Raubbau an der Natur. Schon die alten Römer schufen Wüstenlandschaften durch Abholzung.
Die Wüste am Jordan war eine lebendige Landschaft, keine tote Einöde. Im Frühjahr grünte und blühte sie und erschien als fruchtbares Land. So konnten die Propheten die Verheißung Gottes verkünden: „Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde“ (Jes 43,19).
Doch auch tote Wüste gab es schon, als ebenso große Gefahr für alles Lebendige wie die chaotischen Wassermassen der Urfluten. Deshalb ist die Wüste zur Metapher, zum Sinnbild für den Zustand unserer Welt und unserer Seelen geworden.
Die tote Einöde gibt es auch in übertragenem Sinne. Heute sprechen manche von der Wüste in uns, die sich ausbreitet und uns selbst zu Wüstenwesen macht.
Doch wir dürfen uns dieser Wüste nicht anpassen. Auf keinen Fall, mahnt die Philosophin Hannah Arendt: „Dies nimmt uns unsere einzige Hoffnung, und zwar dass wir in der Lage sind, die Wüste in eine menschliche Welt zu verwandeln. (Wer dagegen meint, wir müssten uns den Wüstenbedingungen anpassen,) stellt die Dinge auf den Kopf; denn solange wir unter den Wüstenbedingungen leiden, sind wir noch menschlich. Die Gefahr liegt darin, dass wir wirkliche Bewohner der Wüste werden und uns in ihr zu Hause fühlen.“2
Johannes erwartet uns in der Wüste, in unseren Wüsten, und ruft zur Umkehr auf. Wir sollen die Wüsten in Orte verwandeln, wo Leben gedeihen kann und dem Reich Gottes den Weg bahnen. Johannes in der Ödnis ruft uns:
Bereitet den Weg des Herrn; macht gerade seine Straße.
Jedes Schlucht werde aufgefüllt, jeder Berg und Hügel niedrig gemacht, das Verquere werde zu Geradem,
die holprigen zu ebenen Wegen.
Und jedes fleischliche Wesen schaue das rettende Tun Gottes. (Übers.: Fridolin Stier)
Johannes mahnt uns zu Buße und Umkehr; auch in der jetzigen, verrückten Zeit. Wir verlieren uns in den Wüsten der verqueren Wege. Alles ist so kompliziert. Wie oft denke ich, dass ich vieles nicht mehr verstehe. Mich erreichen regelmäßiglange Texte und Videos mit unglaublich viel Zahlenmaterial und Expertenzitaten. Die wollen mir einreden, dass die Wirklichkeit doch ganz anders ist, als ich sie erlebe und wahrnehme. Das Verquere lähmt mich und hält mich vom Tun ab. Wie kann all dieses Hochkomplizierte und Undurchschaubare gerade und einfach werden? Nicht durch einfache Erklärungen, sondern durch einfaches Tun.
Johannes zeigt es mir. Erlädt uns ein, Wegbereiter und Bahnbrecherinnen des Gottesreiches zu werden.
Was sollen wir denn tun? fragt die Menge Johannes. Er antwortete: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso. Es kamen auch die Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: was sollen denn wir tun? Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Da fragten ihn auch die Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold! (Lk 3,7ff.)
Die eigene Habe teilen, nicht aus der Not anderer Gewinn ziehen, auf verbale und physische Gewalt verzichten: Was zu tun ist, ist so einfach wie eine gerade Straße in der Ebene. Simone Weil hat es auf den Punkt gebracht, indem sie von der einzigen menschlichen Pflicht sprach, auf die es ankommt: den anderen nie hungern zu lassen, „wenn man Gelegenheit hat, ihn zu speisen“. Das betrifft nicht nur die körperlichen, sondern auch die seelischen Bedürfnisse der Menschen.
Ausreden gelten nicht: Keine noch so komplizierte Weltlage darf uns davon abhalten, das Nötige zu tun. Oft braucht es allerdings Mut wie derzeit bei den polnischen Frauen und Männern, die ihre eigene Freiheit riskieren, wenn sie nachts in den Wäldern an der Grenze zu Belarus Geflüchteten Erste Hilfe leisten.
Der mahnende Ruf zur Buße kann auch eine Verlockung sein: In ein neues Leben, das noch aussteht, das wir noch nicht kennen. In der Adventszeit können wir uns für dieses neue Leben bereitmachen. Vor uns leuchtet das Licht, das uns vom Neuanfang Gottes mit der Welt und jedem einzelnen Menschen kündet. Lassen wir uns darauf ein. Amen.
1 Daniel Hell, Wüste als Symbol, Ort des Zu-sich-Kommens, https://archiv.echter.de/inspiration/2008/08_04/Meditation-Leseprobe-2008-4-02.pdf
2 Hanna Arendt: Von der Wüste und den Oasen, in: Was ist Politik? München 2007, S. 181. Wörtlich: „Dies nimmt uns unsere einzige Hoffnung, und zwar die Hoffnung, dass wir, die wir nicht der Wüste entstammen, aber in ihr leben, in der Lage sind, die Wüste in eine menschliche Welt zu verwandeln. (Wer dagegen meint, wir müssten uns den Wüstenbedingungen anpassen, d.h.) stellt die Dinge auf den Kopf; denn genau deshalb, weil wir unter den Wüstenbedingungen leiden, sind wir noch menschlich, sind wir noch intakt. Die Gefahr liegt darin, dass wir wirkliche Bewohner der Wüste werden und uns in ihr zu Hause fühlen.“
Lesung aus dem Buch der Offenbarung (Offb 21, 1-7)
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die Heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.
Predigt von Dorothea Höck
Liebe Gemeinde, das Christentum ist eine eigenartige Religion: Es beginnt mit der Gewissheit, dass es mit unserer Welt zu Ende geht. Im Zentrum der Verkündigung Jesu steht das nahe Reich Gottes. Das letzte Buch der Bibel beschreibt, wie sich prophetische Verheißungen von der Erschaffung eines neuen Himmels und einer neuen Erde in nächster Zukunft erfüllen. Am Anfang unseres Glaubens steht die sehnliche Hoffnung auf ein Ende der derzeitigen Welt und den Beginn von etwas radikal Neuem durch die Wiederkunft des auferstandenen Christus.
Fast zweitausend Jahre sind seither vergangen, ohne dass sich diese Hoffnungen erfüllt haben. Wir sind, könnte man sagen, immer noch in der alten Welt. Oder?
Vielleicht können wir die Offenbarung des Johannes anders lesen, sogar mit einigem Gewinn? Ich versuche es, ohne damit zu einem Ende zu kommen.
Wir verdanken das letzte Buch der Bibel dem Judenchristen Johannes, der wohl aus der Gemeinde in Ephesus in der heutigen Türkei stammt und wegen seines Glaubens auf die nahegelegene Insel Patmos verbannt war. In der biblischen Forschung ist man sich heute darüber einig, dass seine Schrift weniger als Apokalypse, als Enthüllung einer bis dahin verborgenen Zukunft, sondern als prophetische Vision zu lesen ist. Sie ist voller Zitate aus den prophetischen Büchern und Psalmen der Bibel. Dabei ist die Blickrichtung von Johannes eine besondere: Er deutet seine Gegenwart vom, wie er glaubt, unmittelbar bevorstehenden Ende unserer Welt her. Sein Buch schildert nicht weniger als das Drama der gesamten Weltgeschichte als Kampf zwischen Gott und seinem Gegenspieler bis zur Vollendung. Es endet siegreich für Christus, den Fürsten aller Könige, und seine Gemeinde.
Die Welt, in der die ersten christlichen Gemeinden am Ende des ersten Jahrhunderts leben, ist der Horror. Wenige Jahre vor der Abfassung unseres Buches brannte Rom. Die Christen wurden der Brandstiftung beschuldigt und viele von ihnen auf unvorstellbar grausame Weise getötet. Dieses Ereignis und die Verfolgung der jungen Gemeinden durch die römischen Kaiser sind der Hintergrund der Bilder vom endzeitlichen Kampf in der Vision des Johannes.
All diese Schrecken werden ein Ende haben, schreibt er: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.“
Auf der neuen Erde wird das Meer fehlen. Die Freundinnen und Freunde sonnenverwöhnter Küsten mögen sich das gar nicht vorstellen. Doch für die Menschen der Bibel verkörperte das Meer das alles verschlingende unberechenbare Chaos, das durch den Schöpfungsakt gebändigte Tohu wa Bohu. Irrsal und Wirrsal konnten jederzeit auf der Erde einbrechen und alles vernichten wie bei der Sintflut.
Auch unsere Sprache ist von solchen Bildern geprägt: Ist nicht gerade allerorten die Rede von einer vierten Welle? Auch wurden wir erst vor wenigen Monaten Zeugen entfesselter Fluten, die in unsere eigene scheinbar sichere Welt Tod und Zerstörung brachten. Das Gefühl einer steten Bedrohung unserer Welt ist uns nicht fremd. In manchen Momenten erscheint sie uns womöglich als Alptraum. Manchmal sehnen wir uns auch nach einer anderen Wirklichkeit. Johannes hat sie gesehen: Gott sprich zu ihm von seinem Thron aus: „Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! … Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.“ A und O meint den ersten und letzten Buchstaben des griechischen Alphabets, Alpha und Omega.
Gott verheißt nichts weniger, als dass er die Beständigkeit der Heilsgeschichte garantiert und die Versprechen einlöst, die er den Menschen gab.
In der neuen Welt werden wir vor nichts mehr Angst haben müssen. Sie erscheint als neues Jerusalem: Nicht das wieder aufgebaute alte, sondern ein Jerusalem, das keinen Tempel braucht, weil die ganze Stadt Wohnstätte Gottes ist. „Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“
Doch ist das nicht eine von der Menschheitsgeschichte überholte Illusion?
In der Evangelischen Kirche haben wir an diesem Wochenende Ewigkeitssonntag. Das 21. Kapitel der Johannesoffenbarung ist für diesen Sonntag vorgeschrieben. Nicht nur im Hinblick auf eine ferne Zukunft soll er zu uns sprechen, sondern in die Gegenwart. Am Ewigkeitssonntag halten die Gläubigen inne und erinnern sich angestorbene liebste Angehörige und Weggefährten. Sie bringen Trauer und Schmerz und manche Frage vor Gott und suchen Trost. Gott wird alle Tränen abwischen, heißt es – aber die Tränen dürfen sein. Trauer kann uferlos sein und ist nicht messbar – wir trauern ja nicht nur um Menschen, die gestorben sind, sondern auch über den Verlust von Freundschaften und über die Fragilität der vertrauten Welt. Der Ewigkeitssonntag erinnert daran, dass Trauern in unserem Leben einen Raum braucht, dass ich nicht eines Tages ausgetrauert haben muss, weil das vielleicht andere Menschen stören könnte oder ungeduldig macht. Einen Verlust tragen wir ein Lebenlang mit, die Trauer kann sich allenfalls verwandeln, die Lücke bleibt.
Mit Worten von Mascha Kaleko:
Bedenkt: Den eignen Tod, den stirbt man nur, /
Doch mit dem Tod der andern muss man leben."
So ist das, und gleichzeitig sehnen wir ein Ende der Traurigkeit, der Schwere herbei, die unserem Leben oft eine dunkle Grundierung verleiht. Unser Glaube verleiht dieser Sehnsucht Ausdruck, wie im 126. Psalm:
Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.
Solche Worte geben unserem Leben in mancher gegenwärtigen Dunkelheit einen Ausblick ins Helle. Und das nicht in einem fernen Jenseits.
Gott ist ja nicht in ferner Zukunft wirklich, sondern jetzt und immer.
Dazu lohnt es sich, eine uns eher fremde Vorstellung von der Zeit anzusehen.
Nach der Bibel ist die begrenzte Zeit unseres Erdenlebens überwölbt von der anderen Wirklichkeit Gottes. Die Redewendung: „1000 Jahre sind bei Gott wie ein Tag“ versucht das auszudrücken. Doch fällt es uns schwer, uns die Zeit als etwas anderes als eine Linie vorzustellen, die von der Vergangenheit zu uns läuft über den Jetztpunkt der Gegenwart und dann weiter in die Zukunft. Wir gehen mit der Zeit, sagen wir manchmal. Doch die Zeit geht gar nicht mit uns, sie kommt uns aus der Zukunft entgegen. Gottes Zeit ist anders.Wir behelfen uns mit dem Wort Ewigkeit. Das meint die ganze Fülle der göttlichen Zeit, die gleichzeitig in einem Moment und immer gegenwärtig ist. Zum schwindlig-werden. Der Mystiker Meister Eckhart, spricht vom „Ewigen Nu“ als der Wirklichkeit Gottes in unserer Seele. Gott wohnt bei den Menschen, aber nicht an einem konkreten Ort in dieser Welt, sondern in der menschlichen Seele. In einer Predigt sagt Eckhart: „Ich habe auch schon oft gesagt, dass die Seele eine Kraft ist, … die weder mit der Zeit noch mit der Vergänglichkeit in Berührung kommt; … In dieser Kraft lebt Gott und grünt und blüht dort voller Freude und in ganzer Pracht, …Gott ist ... in dieser Kraft wie in einem ewigen Nu. … Deshalb gibt es in ihm kein Leid und keine Zeit, sondern nur unveränderliche Ewigkeit.“1
Nach Meister Eckhart ist Gott A und O, Anfang und Ende in unserer Seele. Da rückt die Vision des Johannes näher an uns heran. Gott grünt und blüht in unserer Seele, wenn wir ihn lassen, jetzt, nicht in ferner Zukunft.
Aber ermuntert uns Eckhart damit nicht zur Weltflucht, wie es heute Menschen tun, die vieles in unserer Gegenwart nicht mehr ertragen wollen oder können? Nein. Einer der für mich wichtigsten Merksätze von Eckhart ist: „Wer Gott recht in Wahrheit hat, der hat ihn an allen Stätten und auf der Straße und bei allen Leuten ebenso gut wie in der Kirche oder in der Einöd oder in der Zelle.“ Es geht hier nicht ums private Seelenheil.
Gott hat sich der Welt angenommen, und darin sollten wir ihm nachfolgen. Nach jüdischen Überlieferungen geht Gott mit seinem Volk ins Exil und teilt sein Schicksal. Nach christlicher Überlieferung erleidet der menschgewordene Gott alles, was Menschen Schlimmes widerfahren kann. Gott weiß, was Leiden heißt.
Eine jüdische Geschichte erzählt vom Mitleid Gottes: „Als Gott die Leiden seiner unter den Völkern zerstreuten Kinder sieht, vergießt er zwei Tränen, die in den Ozean tropfen; beim Fallen machen diese Tränen einen solchen Lärm, dass man es vom einen Ende der Welt zum anderen hört.“2 Ich glaube, dass Gott auch in unserer Zeit manche Träne vergießt. Das ist manchmal wie ein Trost für mich.
Gott will unser Trost sein – und wir sollen einander Trost sein. Von Thomas von Aquin sind uns sieben Tröstungen, sieben Heilmittel gegen die Leiden der Seele überliefert: Weinen, Mitleid der Freunde, Einsichten und Erkenntnis, Schlaf, Bäder und jede Freude.3 Gott hat uns so geschaffen, dass wir einander trösten können. Er gab uns eine liebende Seele, in der er grünt und blüht. Wir können einander Zuwendung und Schutz geben und uns als vertrauenswürdig erweisen - Das kann ein Vorgeschmack der Ewigkeit sein. So wird die Vision des Johannes Gegenwart und bleibt gleichzeitig Gegenstand unserer Sehnsucht. Wir sind über unseren Tod hinaus aufgehoben bei ihm, so wie es der Spruch auf jüdischen Grabsteinen verheißt: „Ihre Seele wird eingeschrieben sein im Buch des Lebens.“ Wir fallen nie aus Gottes Hand.
Amen.
1 Von der Stadt der Seele Predigt Nr. 2, in: Dietmar Mieth: Meister Eckhart, Übers. der Predigt über Luk 10, 38, S. 117f
2 Eli Wiesel: Macht Gebete aus meinen Geschichten, Freiburg 1986, S. 64.
3 Vgl. Dt Thomasausgabe, Bd 10, Quaestio 38, zitiert in: Rudolf Walter (Hg): Lob der sieben Tröstungen, Freiburg 1982, S. 10
Predigt von Br. Jeremias am 33. Sonntag B in der Brunnenkirche zu Erfurt; Fotos: unsplashed.com
In jener Zeit tritt Michael auf,
der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes eintritt.
Dann kommt eine Zeit der Not,
wie noch keine da war, seit es Völker gibt, bis zu jener Zeit.
Doch zu jener Zeit wird dein Volk gerettet,
jeder, der im Buch verzeichnet ist.
Von denen, die im Land des Staubes schlafen,
werden viele erwachen,
die einen zum ewigen Leben,
die anderen zur Schmach,zu ewigem Abscheu.
Die Verständigen werden glänzen wie der Glanz der Himmelsfeste
und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben,
wie die Sterne für immer und ewig.
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
In jenen Tagen, nach jener Drangsal,
wird die Sonne verfinstert werden
und der Mond wird nicht mehr scheinen;
die Sterne werden vom Himmel fallen
und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
Dann wird man den Menschensohn
in Wolken kommen sehen,
mit großer Kraft und Herrlichkeit.
Und er wird die Engel aussenden
und die von ihm Auserwählten
aus allen vier Windrichtungen zusammenführen,
vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.
Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum!
Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben,
erkennt ihr, dass der Sommer nahe ist.
So erkennt auch ihr,
wenn ihr das geschehen seht,
dass er nahe vor der Tür ist.
Amen, ich sage euch:
Diese Generation wird nicht vergehen,
bis das alles geschieht.
Himmel und Erde werden vergehen,
aber meine Worte werden nicht vergehen.
Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand,
auch nicht die Engel im Himmel,
nicht einmal der Sohn,
sondern nur der Vater.
„Wo liegt hier die Frohe Botschaft?“, könnte man aus einem ersten Impuls heraus fragen. Ich gebe zu, dass ich kein besonders „eschatologisch denkender Mensch“ bin – also einer, der das Ende gerne in den Blick nimmt – und Hoffnung und Kraft für die Gegenwart schöpfe ich daraus auch eher nicht. Als Priester sollte ich das eigentlich. Als Christen sollten wir das alle können und so Christus auch vom Ende her bezeugen.
Aber meine Reaktion auf die Texte des vorletzten Sonntags im Kirchenjahr sind nun mal gedämpft: Mir wird immer etwas mulmig. Und: Ich will keine Angst machen vor dem Weltuntergang!
Auf den zweiten Blick entdecke ich: Jesus will das vielleicht auch nicht, Angst machen. Eher im Gegenteil. Woher also meine erste Reaktion?
Ich lebe ein Leben, in dem es mir (sehr) gut geht. Ich kann meinen Glauben frei leben. Mein Beruf macht mir Spaß. Ich erlebe jede Woche so Vieles, was mir kostbar ist. Viele Beziehungen werden mir geschenkt, nicht zuletzt durch meinen Beruf. Oft habe ich das Gefühl, die Tage sind zu kurz. Ich kann leider nicht allem und allen gerecht werden. Aber wenn mich jemand fragt: Für mich könnte dieses Leben gerne ewig so weitergehen.
Anders die Gemeinde, in der dieses Evangelium entstanden ist. Sie entdeckt in den Bildern der Daniel-Apokalypse – einen Auszug daraus haben wir heute als Lesung gehört – die Folie, eigene Sorgen und Hoffnungen zu beschreiben. Der Erzengel Michael tritt auf und rettet das Volk Gottes aus größter Not. Und die war zur Zeit der Entstehung der Daniel-Apokalypse (also etwa um 150 vor Christus) enorm. Nur mit Mühe hatte das jüdische Volk die Herrschaft des hellenistischen Königs Antiochus IV überstanden, der sich selbst „Epiphanes“ nannte, sich als göttliche Manifestation verehren ließ.
Da wurde kein Widerspruch geduldet. Antiochus IV Epiphanes versuchte mit brachialer Gewalt, die griechische Kultur seinem gesamten Reich aufzudrücken, um einer Vereinheitlichung willen: gemeinsame Götter, sportliche Wettkämpfe, eine einheitliche Sprache... So sollte sein Viel-Völker-Reich besser zu regieren sein.
Den Widerspruch aus dem Jüdischen Volk kennen wir durch den Makkabäeraufstand – eben auch seine brutale Niederschlagung. War damit alle Hoffnung verloren, als Volk Gottes überhaupt noch leben, überleben zu können?
Das Buch Daniel sieht nur den Ausweg, dass Michael auftritt und eingreift, der einst sogar Satan in die Schranken weisen konnte. Es gibt einen Plan Gottes. Im Buch des Lebens sind die Namen derer verzeichnet, die gerettet werden. Und falls sie schon gestorben sind – oder ermordet wurden – werden sie erwachen zu ewigem Leben. Das wird aber auch Gericht sein: Die Abtrünnigen werden erwachen zu Schmach und ewiger Abscheu.
Die wahren Stars sind die Verständigen, die an Gottes Gebot festhielten und andere entsprechend lehrten. Sie glänzen mit den Sternen um die Wette – nach alter Vorstellung Lichtfenster der Himmelsfeste. Sie sind also bereits mit der Wohnung Gottes eng verbunden.
Und nun die Kirche Jesu Christi, die Gemeinde des Markus. Wir müssen sie uns als kleines, verstreutes Häufchen vorstellen: Ausgrenzung, Verlust an Anerkennung und Lebensmöglichkeiten, Einschränkungen bis hin zur Verfolgung, die nackte Not...
In den Ohren dieser Gemeinde klingt das Evangelium sicher ganz anders als in den meinen: „In jenen Tagen, nach der großen Not....“ (Mk 13,24). Die Not hat einmal ein Ende! Gott sei Dank! Es ist ein Trost, dass es so nicht ewig weitergehen wird. Es gibt ein Ende, und da steht Jesus sichtbar über dem Chaos dieser Welt. So undeutlich seine Stimme oft zu hören ist - dann wird er alle seine Auserwählten laut rufen und „aus allen vier Windrichtungen zusammenführen“, wo immer sie verstreut sein mögen, „vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels“ (Mk 13,27).
Gottes Wort wird dann auch den Einsamsten und Verlassensten erreichen. Wir kommen ans Ziel, das Gott uns bereitet. Er führt aus der Diaspora heraus in die Gemeinschaft der Heiligen. Bedrohliches Chaos, Hoffnungslosigkeit und Zweifel haben ein Ende.
„Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Mk 13,31), sagt Jesus. Der erste Teil des Satzes wird auch von den Naturwissenschaften bestätigt. Alles – das gesamte Universum, wie es jetzt existiert – ist bereits im Untergang begriffen. Möglicherweise gab es einen Urknall, sicher wird alle Masse des Weltalls einmal ineinander stürzen. Das mag noch sehr lange dauern und für uns persönlich weit weg sein.
Ganz individuell und für jeden zu seiner Zeit wird der Zusammenbruch der eigenen Welt geschehen, wenn wir uns im Tod von hier einmal verabschieden – früher oder später; aber ganz sicher. – Das ist alles, was wie mit den Wissenschaften sagen können.
Der zweite Satz Jesu ist das große Plus unseres Glaubens: „Meine Worte werden nicht vergehen“. Das ergänzt Jesus zu dem, was wir auch mit den Wissenschaften einsehen müssen. Seine Worte... Zum Beispiel: „Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben, und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Das ist eines der großen „Ich-bin-Worte“ Jesu im Johannes-Evangelium. „Ich bin der gute Hirte – die Tür (zu den Schafen)...“ - „Ich bin“, sagt Jesus. „Ich bin der ich bin“, sagt Gott im brennenden Dornbusch. Genauer übersetzt heißt das vielleicht am ehesten so: „Ich bin der Seiende“. Der ohne Werden und Vergehen. Der ist und der war und der kommen wird... Im Festhalten an Jesu Wort halten wir uns fest an dem, der einzig ist.
Alles, worum ich mir jetzt so viele Sorgen mache, all der Stress, den ich mir aufbürde, all die Hast und Hetze auf dieser Erde, ja sogar die Vorstellungen vom Himmel und himmlischen Glückssehnsüchten, denen wir nachjagen – sie werden vergehen. Was wirklich bleibt, ist der HERR, der mich ruft: der mich in dieses Leben rief und der mich seit der Taufe schon ins ewige Leben rief.
Das ist die große Freiheit, die wir Gläubigen uns immer wieder nehmen dürfen. Wir brauchen die Sorgen unseres Alltags nie zu hoch hängen. Sie sind und bleiben höchst vorläufig. Wir dürfen unseren Alltag Sonntag für Sonntag relativieren lassen durch das Wort des HERRN, das uns begegnet und uns zum Leben ruft.
Auch heute kommt er uns entgegen. Das Evangelium erzählt also nicht nur die Vision vom Ende aller Tage. Wir nehmen durch Gottes Wort in der Eucharistie die Vision der großen Sammlung schon vorweg, als Vorwegbild der großen Sammlung der Gemeinschaft der Heiligen am Ende. Aus der Zerstreuung des Alltags hat der HERR uns hierher zusammengerufen. Er kommt uns hier und heute entgegen in seinem lebendigen Wort. Er sagt uns: „nehmt und esst – nehmt und trinkt – tut dies zu meinem Gedächtnis“: Ich bin schon immer unterwegs zu euch, damit ihr das Leben habt, und es in Fülle habt.
Das relativiert alles. Daran darf ich alles messen. Eucharistie wird so wirklich zum Dank aus ganzem Herzen, dass das letzte Wort über mein Leben der rettende Gott hat und nicht das, worum ich mir ständig (zu viele) Sorgen mache. „Dein Volk wird in jener Zeit gerettet“ (Dan 12,1), haben wir aus dem Buch Daniel gehört. Das ist keine Vertröstung auf irgendwann, das ist schon Wirklichkeit, hier und jetzt. Wir sind und bleiben Gottes Erlöste. Amen.