Der Herr wurde mein Halt.
Er führte mich hinaus ins Weite,
erbefreite mich, denn er hat an mir Gefallen.
Jesus Christus, Gottes JA zu uns Menschen, sei mit euch!
Tod, wo ist dein Sieg?
Tod, wo ist dein Stachel?
Der Stachel des Todes aber ist die Sünde,
die Kraft der Sünde ist das Gesetz.
Gott aber sei Dank,
der uns den Sieg geschenkt hat
durch unseren Herrn Jesus Christus.(1 Kor 15,55-57)
Das sagt Paulus im Ersten Korintherbrief; und das feiern wir jetzt: Christus hat den Stachel des Todes gebrochen. ER hat uns mit Gott versöhnt und die Sünde, das NEIN zum Willen Gottes, unser Misstrauen in Gottes Willen... überwunden. Christus ist das JA Gottes zu uns. IHN, unser Leben und unser Ziel, feiern wir in dieser Stunde. Er hat uns um sich versammelt.
27 Aber ich sage euch, die ihr zuhört: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; 28 segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. 29 Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar; und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht. 30 Wer dich bittet, dem gib; und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück. 31 Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch! 32 Und wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen. 33 Und wenn ihr euren Wohltätern wohltut, welchen Dank habt ihr davon? Das tun die Sünder auch. 34 Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr etwas zu bekommen hofft, welchen Dank habt ihr davon? Auch Sünder leihen Sündern, damit sie das Gleiche zurückbekommen. 35 Vielmehr liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen. So wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Kinder des Höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. 38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.
Liebe Gemeinde,
Wenn uns jemand fragen würde: Worin unterscheidet sich denn der christliche Glaube von anderen Religionen? Dann würden wir vielleicht antworten: durch die Aufforderung zur Feindesliebe.
Am vergangenen Dienstag beim Bibelgespräch stand bald die Frage im Raum: Ist das denn überhaupt umsetzbar? Kann ich diesem Anspruch gerecht werden, den Jesus an die Seinen stellt?
Doch was würde es denn bedeuten, wenn wir diese Fragen verneinen, weil der Anspruch uns überfordert? Wenn wir meinten, so habe ich es einmal von einer Kanzel sagen hören: So wörtlich und ernst ist es nicht gemeint, jedenfalls nicht mehr heute?
Kommen wir zur Feldpredigt des Lukas: Jesus hat gerade begonnen, Jünger und Jüngerinnen um sich zu sammeln. Es spricht sich herum, dass er Kranke heilt und Menschen von ihren Dämonen befreit. Aus einem Umkreis von 100 km kommen die Menschen, um an der Kraft teilzuhaben, die von ihm ausgeht. Eine große Volksmenge ist zusammengekommen auf einer weiten Ebene. Jesus beginnt, ihnen das Zentrum seiner Botschaft zu verkündigen, die neue Lebensordnung für die, die ihm nachfolgen wollen. Es ist das Grundgesetz des Gottesreiches. Wo Menschen durch ihren Glauben und ihrem Handeln diese neue Ordnung zur Geltung bringen, kann sich das Reich Gottes ausbreiten.
Jesus spricht dringlich: „Euch, die Ihr zuhört, sage ich!“ Nur wer ihm mit allen Sinnen und Kräften zuhört, ist für seine Botschaft empfänglich. - Wann hören wir denn wirklich zu und lassen uns vom Gehörten in Bewegung bringen? Meistens sind wir ja nur mit halbem Ohr dabei, während unsere Gedanken schon wieder woanders sind.
„Euch die ihr zuhört, sage ich: Liebt Eure Feinde!“
In seinen Reden ist Jesus immer sehr konkret. Liebt Eure Feinde – von Agape ist die Rede, nicht von Eros; Agape ist die Liebe, die sich im Handeln, im Tun des Guten erweist, nicht in einem schönen Gefühl. Über unsere Gefühle haben wir keine Macht. Wir können weder uns noch anderen befehlen: „Liebe!“ oder: „Hasse!" Auf unsere Gefühle ist kein Verlass.
Agape meint die Liebe, die nach 1 Kor 13 größer und verlässlicher ist als Glaube und Hoffnung, sie umfasst Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Jesus umschreibt mit einem Katalog, was Feindesliebe ist:
Vier Formen von Gewaltanwendung werden aufgezählt: verfluchen, beleidigen, schlagen, rauben. Solcher Gewalt sollen wir nicht mit Gegengewalt antworten. Aber wir sollen sie auch nicht wehrlos hinnehmen. Paulus bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: (Röm 12,21): „Lass Dich nicht vom Bösen besiegen, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“
Jesus nennt Beispiele, wie das gehen kann.
Mir sind diese Sätze aus der Feldpredigt lange rätselhaft geblieben, bis ich vor einigen Jahren in einem jüdischen Kommentar zum Gebot der Feindesliebe fand, was es beispielsweise mit der Aufforderung auf sich hat: „Wer Dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch das Hemd nicht.“ Wenn im damaligen Israel jemand verschuldet war, durften ihm die Gläubiger alles nehmen, nur nicht seinen Mantel. Denn den benötigte jedermann, um sich in der Nacht vor der Kälte zu schützen. Das war eine frühe Form des Schutzes des Existenzminimums. Wenn nun ein Gläubiger diese Regel bricht, indem er seinem Schuldner auch den Mantel nimmt, und dieser ihm daraufhin auch noch sein Hemd überreicht: dann setzt er den Gläubiger ganz offensichtlich ins Unrecht. Heute nennen wir das vielleicht „paradoxe Intervention“. Was meinen Sie, geschieht mit jenem, der auf diese Weise überrumpelt wird?
Oder nehmen wir den nächsten Satz: „Wenn Dich jemand auf die eine Wange schlägt, dann biete die andere auch dar.“ Wir kennen wohl alle das Gefühl, eine Ohrfeige verpasst zu bekommen. Es schmerzt nicht nur, es demütigt. Auch damals war die Ohrfeige eine Art von Entehrung, gegen die man sich unbedingt zur Wehr setzen muss. Was macht es mit dem Schläger, wenn der Geschlagene, statt sich zu wehren oder davonzuschleichen, die andere Seite hinhält? Im besten Falle verpufft die Wirkung des ersten Schlags. Wer nach einer Ohrfeige die andere Seite hinhält, nimmt die Demütigung gerade nicht an. Er stellt das Handeln des anderen grundsätzlich infrage: „Was tust Du da eigentlich?“
Der jüdische Theologe Pinchas Lapide beschreibt Jesu Gebot der Feindesliebe als einen Weg der „Ent-feindungsliebe“1: Vielleicht gelingt es durch den Verzicht auf Gegengewalt, einen Gewalttäter dahin zu bringen, sein eigenes Tun zu überdenken? Es geht nicht darum, zu einem Menschen, der mir nicht wohl will, ein liebevolles Gefühl zu entwickeln. Indem ich auf Vergeltung verzichte, schaffe ich eine neue Situation.
Paradoxe Intervention ist aber nicht alles, denn sie berechnet ja ihre Wirkung. Jesus verlangt mehr: Was ich tue, muss von Herzen und aus Überzeugung kommen, ohne Erwartung einer bestimmten Reaktion.
Auch soll ich mein eigenes Handeln nicht vom Wohltun des anderen abhängig machen. Uns ist ja fast in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir erst einmal prüfen, ob der andere unsere Wohltaten verdient. Doch Jesus widerspricht dem entschieden:
32 Und wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen. 33 Und wenn ihr euren Wohltätern wohltut, welchen Dank habt ihr davon? Das tun die Sünder auch.
Lieber sichern wir uns ab als einseitig Zugeständnisse zu machen. Ein jüdischer Witz beschreibt es trefflich:
Treffen sich zwei in Feindschaft verbundene Juden am Versöhnungstag in der Synagoge. Sagt der Eine: „Ich wünsche Dir, was Du mir wünschst!“ Antwortet der Andere: „Fängst Du schon wieder an?“
Das Gebot der Feindesliebe bewährt sich in einer Haltung, die ich mir mühsam aneignen muss: Ich wende mich dem anderen zu, ich bin bereit zur Vergebung ohne Erwartungen und Absicherungen.
Damit bringt Jesus einen neuen Aspekt menschlicher Freiheit in die Welt:
Wo das Gebot der Feindesliebe zum Grundgesetz des Zusammenlebens von Menschen wird, muss ich nicht warten, bis der andere anfängt. Ich kann selbst anfangen! Das verlangt unendlich viel Mut und Vertrauen. Ich muss die Angst überwinden, mich als Narr oder Närrin lächerlich zu machen.
Dieses Vermögen, einen Anfang zu setzen, ist Freiheit, die uns von Gott geschenkt ist. Gott hat schon vor allem mit uns einen Anfang gemacht: Durch seine Barmherzigkeit und Gnade. Die Kraft und die Fähigkeit zum Anfangen können kommen nicht aus uns selbst.
In diesen Tagen wird uns oft schwindelig, wenn wir uns vor Augen führen, welche Gefahren sich gerade zusammen ballen. Seit sechzig Jahren stand die Welt nicht mehr vor einer so großen Kriegsgefahr. Und als wäre das nicht genug, spüren wir auf Schritt und Tritt die Zerwürfnisse, die der Umgang mit der Corona-Pandemie in unsere Beziehungen, auch zu nächsten Menschen, in unseren Alltag und in unsere Gesellschaft bringt.
Sind wir machtlos dem allen ausgeliefert?
Jesus zeigt uns einen Weg zur Überwindung der Ohnmacht, die uns oft befällt: in unserer Macht steht, wie wir anderen Menschen begegnen. Geben wir jemandem, der uns Gewalt antut, uns hasst, betrügt, bestiehlt, die Macht über uns, aus uns Hassende, Lügende, Gewalttätige zu machen, indem wir Gleiches mit Gleichem vergelten? Oder bekennen wir uns zu einer anderen Ordnung und leben nach der Verfassung des Gottesreiches, und damit in der Nachfolge Christi?
Feindesliebe ist kein frommer Wunsch. Schauen Sie nach Beispielen, wo Menschen die Spirale von Gewalt und Hass durchbrechen. Wir können sie täglich entdecken. Wir finden sie nicht nur unter Christen, auch unter Juden und Muslimen. Es ist ein Vorurteil zu meinen, die Christen hätten die Feindesliebe für sich gepachtet. Wussten Sie zum Beispiel, dass die Familie des 2018 auf grausame Weise in der saudischen Botschaft ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi zwei Jahre später den Mördern vergeben hat? Das ist das größte, was Menschen tun können – und es schafft Frieden zwischen Feinden, vor allem aber in den Herzen derer, die vergeben können.
Wir sind aufgefordert, die Muster der Gewalt, der Erniedrigung und der beiderseitigen Verhärtung zu durchbrechen. Damit zeigen wir der Welt, was möglich ist, um Frieden zu schaffen.
Jesus weist uns einen Weg, dem Bösen durch Gutes zu widerstehen und damit zu einem würdigen Umgang miteinander, auch mit Menschen, die sich von Bosheit, Hass und Gewalt leiten lassen. Wenn wir dem Bösen keine Macht über uns zugestehen, handeln wir im Geist der göttlichen Liebe. Bitten wir Gott, dass er uns die Gottesreichbürgerinnenwürde verleiht.
Amen.
1 4) P. Lapide. Die Bergpredigt – Friedensutopie oder Realpolitik? Eine jüdische Auslegung. In: Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (Hg.): Christen im Streit um den Frieden. Beiträge zu einer neuen Friedensethik. Positionen und Dokumente. Freiburg 1982.
Wenn Sie sich jetzt erinnern, wann war das zuletzt oder überhaupt? Ach, ich bin einfach selig. Ach, war das ein seliger Augenblick, Moment.
Vermutlich hatte das gar nicht soviel mit Glauben und Christsein und Bibel und einer Begegnung mit Jesus zu tun, ob nun direkt – in der Begegnung – oder mit einem Text so wie heute: mit der „Feldrede Jesu“.
Nach einer Umfrage ist der Durchschnittsmensch „selig/ glücklich“, wenn er Folgendes hat oder erlebt:
als Kind: Liebe, Essen, Spielzeug, Weihnachtsbaum
alsJugendlicher: Liebesbeziehung, Motorrad, Auto, Fete mit Freunden, Disko
Erwachsene: gutes Gehalt/ Einkommen, Reisen, Statussymbol(e)
Alte Menschen: Gesundheit, Familie, Enkel
Bei Astrid Lindgreen gibt es den Begriff „Seligkeitssache“, da klingt etwas Ursprüngliches an von glücklich und selig, wie eine Verbindung von glücklich und selig und meint doch das e i n e, ein Geschenk, wovon ich hin und weg bin, womit ich nie gerechnet hätte, das, was ich mir sehnlichst wünschte. Manchmal ist es vielleicht auch etwas, worauf man gar nicht gekommen wäre.
Auf meiner ersten Reise nach Israel und Palästina zusammen mit Polizistinnen und Polizisten, von der Direktorin bis zum Streifenpolizisten kam es zu folgender Situation. Wir waren auf dem Berg der Seligpreisungen bei super Wetter und nach der üblichen Besichtigung und Erklärung sollte uns der Bus hinunter nach Kapharnaum bringen, nächstes Ziel, und danach zum Petrifisch essen und Baden im See Genezareth (was ich nur empfehlen kann).
Es gab nun die einhellige Meinung, doch zu Fuss zu gehen, statt klimatisiert zu fahren. Gesagt getan, die Polizeipfarrerin sagte noch zu mir, sie müsse jetzt etwas umplanen. Unterwegs, bei sengender Sonne und trockenem Gras und fast ohne Schatten, Pause, hinsetzen und sie las uns die Feldrede Jesu vor und sagte dazu, dass es s o gewesen sein könnte mit Jesus und seinen Jüngerinnen und Jüngern. Und da saßen wir, die wenigsten der Polizisten waren christlich sozialisiert, hörten und ließen uns erklären, und wir begannen uns auszutauschen.
Und Sie hier, da sitzen Sie nun und haben gehört, was Lukas aufgeschrieben hat - oder anders: Wie nahe er wohl Jesus bei diesem Thema war und wie brisant es wahrscheinlich damals in der Gemeinde war, mit Armut und Reichtum, dass er sie an Jesu Worte erinnerte.
Oder eher vermitteln wollte, Jesus hat ja selbst arm gelebt, nicht nur davon geredet.
Von Palästen in denen er gelebt hat, gibt es keine Berichte, aber von einem Futtertrog bei der Geburt, der jemand Fremdes gehörte, und am Ende von einem Grab, in das er gelegt wird, das auch jemand anderem gehörte. Sein Leben durchzieht, was uns berichtet wurde, dass ihm die Armen besonders am Herzen lagen, nahe gingen und waren.
Siehe Lk vor 2 Wochen, Jesu erste Predigt: gesandt zu den Armen, Ihnen die Frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen, besonders ihnen zu bringen. Bei seinem Vater ist niemand ausgeschlossen. Deshalb spricht er zu ihnen auch anders als zu den Reichen.
„Selig“- verheißungsvoll, annehmend, wohlmeinend - „Wehe“- warnend, drohend. Reichtum ist für ihn eben kein Zeichen von besonderer Erwählung oder göttlicher Herkunft.
Oder im Magnifikat, was wir vor einiger Zeit erinnert haben: „Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen“. Bei ihm gibt es „erste“ und „letzte“ Plätze. Davon werden wir im Lauf der Sonntage noch oder wieder hören.
Und es ist eben nicht so, wie es in einem Lied im Gotteslob (477,2) heisst: „In göttlichem Erbarmen liebt Christus alle gleich. Die Reichen und die Armen beruft er in sein Reich“.
Auf welcher Seite steht, wer danach sich christlich/kirchlich ausrichtet?
FürJesus ist es so, dass, und er kann nicht anders, als hervorzuheben, dass das Land, auf dem das Gottesvolk lebt, allen gegeben, geschenkt ist. Das ist die Verheißung des Bundes, den Gott mit den Menschen geschlossen hat. Und da ist es doch nur logisch, dass es nicht sein, kann, dass bestimmte Menschen ausgeschlossen sind und werden, deren Anspruch keinesfalls geringer ist, als der Anspruch anderer. Und wenn nicht, dann muss ihnen zu Ihrem Recht verholfen werden. Dazu sei er gekommen, wird er nicht müde zu betonen und unermüdlich ist dies seine Botschaft, sein Auftreten, sein sich kümmern. Um Ausgegrenzte, Ausgesetzte, für kranke und eingeschränkte, was auch immer für einem Tod nahe Menschen.
Selig.... glücklich... das kann er ihnen zusagen und persönlich vermitteln. Seine Solidarität mit ihnen stellt ihn in die Reihe der Propheten wieAmos und Jesaja.
Deshalb scheut er sich eben nicht, den Reichen zu sagen, dass sie auf dem falschen Weg sind. O.k. Es ist hart, ja irgendwie bedrohlich, ja abweisend, ausschließend formuliert. Es meint doch wohl: wer sich selbst genug ist, sich mit seinem Besitz, seinem Vermögen sichert oder meint somit auf der sicheren Seite zu sein; nach Jesu Einlassung leben diese Menschen am Leben vorbei. Sie sind schon bedient und brauchen sich – von ihm – auch nicht mehr dienen, bedienen zu lassen. Oder anders gesagt: Wer doch schon alles hat, der hat doch auch nichts mehr zu erwarten.
Wer sich wie ein Gott gebärdet, göttlich, für den ist – nach Jesu Rede – in der Herrschaft Gottes kein Platz.
Es kann schon eine Gefahr darin liegen zu glauben, je mehr ich habe, umso mehr bin ich auch. Und wenn ich noch mehr habe, dann bin ich schließlich noch mehr.
Besessen sein kommt nicht allein von Besitzen, sondern davon, dass so manche und mancher hat, aber eben nicht nur, sondern es hat ihn. Abhängigkeit gibt es eben nicht nur bei Alkohol und Drogen usw. Da ist man nicht mehr Herr oder Frau seiner selbst, man ist nicht mehr frei, man ist unfrei. Nicht Knechte sollen wir sein, also Unfreie, nicht Sklaven von irgend etwas, Freie sollen wir sein, so ist es die ursprüngliche Botschaft und der Wille Gottes.
Eine Würde wollte Jesus den Armen verkünden, weil man sie Ihnen genommen hatte oder nicht zugestand. Leider hat sich daran bis heute nicht viel geändert.
Welchen Stellenwert hat die Solidarität mit den Armen? Sind sie Subjekt, also nehmen wir sie wahr, auch in unseren Gemeinden, wenn sie dennnoch da sind. Oder als Objekte der Versorgung durch Caritas und Diakonie in ihren Einrichtungen.
Wenn 1% Steuer auf das Vermögen der Reichsten dieser unserer Erde ausreichen würde, um allen Kindern eine Grundbildung zu ermöglichen... bekommen Jesu Haltung und Worte doch eine mehr als aktuelle Bedeutung. Und die Theologie der Befreiung der 80er Jahre wäre auch auf anderen Kontinenten angekommen.
Doch die Frage ist nicht nur, was änderbar ist, auch, wie w i r Jesu Botschaft verstehen und verinnerlichen und leben. Es geht nicht darum, demnächst eine neue Mutter Theresa von Kalkutta oder ein neuer Charles de Foucauld zu werden und mit und unter den Ärmsten oder Armen zu leben. Das ist Berufung, ja und wenn dem so ist, müssen wir sehen, was wir daraus machen.
Gabriele Wohmann schreibt in ihrem Buch „Schönes Gelingen“: Ichhabe wirklich vor, ständig an der Ermöglichung von irgendetwas Gutem, Richtigem, Schönem zu arbeiten, an diesen winzigen Anstiftungen zum Glück“
Anstiftungen – was für ein Wort.! Das wir eher negativ kennen, gefährlich klingend: Anstiftungen zu Diebstahl, zu Brandstiftung, zur Revolte, zur Revolution und Umsturz. Und das muss natürlich bekämpft werden. Die Rädelsführer und Anstifter müssen zur Verantwortung gezogen werden, usw.
Es ließe sich auch positiv sehen: an– stiften, eine Stiftung machen, ist ja meist etwas Gutes. Sind wir nicht alle als Glaubende von Jesus aufgerufen, angestiftet, das Gute zu tun. Jede und jeder, die von Wohlstand und Reichtum ausgeschlossen sind – systematisch - ausgeschlossen werden, besitzen dennoch Würde und sollen eben nicht von Glück und Seligsein ausgeschlossen sein. Ihnen steht es zu, dass solidarisch gehandelt wird. Dass Solidarität eben keine Gefahr und kein Fremdwort werden darf und dass Teilen keine Rechenaufgabe ist.
Dafür einzutreten, dem Raum zu geben, dass Seligkeit, Glücklichsein, jetzt schon möglich und sichtbar ist, nicht erst als himmlische Seligkeit. Das musste Lukas damals seiner Gemeinde sagen und er sagt es uns als christlichen Kirchen auch heute und jedem einzelnen von uns.
„Habe acht auf dich selbst und auf die Lehre, beharre in diesem Stück. Denn wenn Du solches tust wirst du dich selbst selig machen und die dich hören.“ (Übersetzt Luther 1 Timotheus 4,16).
5. Sonntag | Lesejahr C - am 6.2.2022 in der Brunnenkirche | Erfurt
Es geschah aber: Als die Volksmenge Jesus bedrängte und das Wort Gottes hören wollte, da stand er am See Gennesaret und sah zwei Boote am See liegen. Die Fischer waren aus ihnen ausgestiegen und wuschen ihre Netze.
Jesus stieg in eines der Boote, das dem Simon gehörte, und bat ihn, ein Stück weit vom Land wegzufahren. Dann setzte er sich und lehrte das Volk vom Boot aus.
Als er seine Rede beendet hatte, sagte er zu Simon: Fahr hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
Simon antwortete ihm: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Doch auf dein Wort hin werde ich die Netze auswerfen.
Das taten sie und sie fingen eine große Menge Fische; ihre Netze aber drohten zu reißen. Und sie gaben ihren Gefährten im anderen Boot ein Zeichen, sie sollten kommen und ihnen helfen. Sie kamen und füllten beide Boote, sodass sie fast versanken.
Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sagte: Geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr! Denn Schrecken hatte ihn und alle seine Begleiter ergriffen über den Fang der Fische, den sie gemacht hatten; ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, die mit Simon zusammenarbeiteten.
Da sagte Jesus zu Simon: Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.
Und sie zogen die Boote an Land, verließen alles und folgten ihm nach.
+ Der HERR, der uns anspricht, der uns kennt und der uns dennoch in seine Nachfolge ruft, sei mit euch!
Wer bin ich? Das kann ich nicht erfahren, wenn ich mich vergrabe und grüble. Dem kann ich allenfalls auf der Spur bleiben, indem ich der Wirklichkeit begegne; vor allem, indem ich den anderen begegne, also mich auf mehr einlasse, als auf oberflächliche Kontakte. „Das Ich wird am Du.“ So hat es der Religionsphilosoph Martin Buber formuliert.
Vielleicht gilt das ja auch für die Kirche insgesamt. Sie ist für die Menschheit da. Deshalb muss sie die Menschen in den Blick nehmen, denen sie zu dienen hat. In ihnen begegnet sie Christus, dem Herrn.
Die Kirche wird vor allem in der Begegnung mit Christus, was sie ist und immer mehr werden muss: Leib Christi. Dazu sind wir auch heute wieder eingeladen in der Feier der Eucharistie. Christus verwandelt. Das geschieht nicht an der Oberfläche, und so ist es gut, wenn der HERR uns in den Krisen zur Tiefe führt. Gehen wir mit ihm. Er ist unser Leben!
Vielleicht erkennen wir dann auch unsere Schatten, unser Versagen, Schuld und Sünde noch deutlicher. Aber erst recht mögen wir erkennen, dass uns seine Liebe trägt und ganz machen kann. Folgen wir also IHM, unserer Mitte: ER schenkt uns Sein Erbarmen.
(Kyrie)
„Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen“ (Lk 5,5) – Immer bleibe ich an diesem deprimierten Satz des Simon hängen. Er spricht mir voll aus dem Herzen. Denn es ist die bittere Erfahrung, die ich mit Petrus teile. Wie euphorisch war ich in meiner Jugend: Die Kirche wird wieder jung und attraktiv, wenn wir sie aktiv mitgestalten und das Evangelium voll Dynamik neu sagen. Es braucht neue Formen und Weisen, den Glauben zu leben. Und ich muss sagen: Ich hatte viele Möglichkeiten, als Jugendlicher genau das zu probieren und zu leben.
Ich bin voll Freude Augustiner geworden. Das Studium der Theologie hat mir ganz neue Welten eröffnet. Das wollte ich mit anderen teilen. Nein, es ist nicht wahr – und ich ärgere mich immer über diese Erklärungsversuche auch von Ordensleuten: Ich war und bin gerne Ordensmann und Priester. Ich finde Erfüllung in meiner Lebensform, so dass ich heute sagen kann, dass ich nichts anderes möchte. Und dennoch ist wegen mir und meiner Freude an dieser Lebensform wahrscheinlich kein Einziger Augustiner oder Priester geworden. Lebe ich also zu unfroh und biestig meine Berufung, so dass sie nicht ausstrahlen und fruchtbar werden kann?
Menschen, die ich mag und von deren Glauben ich immer überzeugt war, kehren der Kirche den Rücken. Ich spüre auch nicht, dass sie aus ihrem Glauben wirklich weiter lebten. Anderes scheint wichtiger geworden zu sein. Es geht auch ohne Religion...
Trotz aller Anstrengung kein Erfolg! Nur im Trüben fischen, ohne Orientierung, wo es lang gehen könnte. Ich bin müde wie Simon, der resigniert von der Arbeit in der Dunkelheit der Nacht zurückgekehrt ist. Dabei ist Simon Petrus Experte: Er weiß, wie man fischt. Da macht ihm so schnell keiner was vor.
Auch ich bin bestens ausgebildet und mache regelmäßig Fortbildungen. Wahrscheinlich sind Priester noch nie so gut ausgebildet gewesen wie in unseren Tagen. Aber immer wieder wird gesagt, diese Ausbildung versage – und wirklich: Erfolg scheint unserer Pastoral nur eingeschränkt beschieden. Die Zahl derer, die Gottes Wort hören wollen, wird kleiner. Anders als Jesus am See Genezareth umdrängt mich zumindest selten jemand, weil er oder sie begierig nach Gottes Wort wäre. Ob sie es anderswo finden? Ich zweifle.
Bei meiner Weihe habe ich dem Bischof in die Hand versprochen, der Gemeinde des HERRN das Wort Gottes zu verkünden und auszulegen. Ja, ich habe das Glück, hier sein und mit euch feiern zu können. Da spüre ich viel Wertschätzung, Mitwirken und Freude am Glauben. Es gibt derzeit keinen besseren Ort für mich! Doch euch und Ihnen geht es ja auch nicht anders: Wir bleiben die Minderheit.
Eltern geht es kaum besser: Wenn sie von ihrem fruchtlosen Mühen erzählen, ihren Kindern den christlichen Glauben weiterzugeben, habe ich keine Antwort, die ihnen eine Lösung verraten könnte. – Wie können wir jemand klar machen, was uns der Glaube an Jesus Christus bedeutet? Wie mich seine Botschaft immer wieder neu fesselt? Wie nah am Leben das ist, was Christus uns heute sagt? Ist das so abartig, was ich verkünde, dass es gar nicht mehr ankommen kann?
Ich mühe mich bis heute, Kirche glaubwürdig zu vertreten – und dann der Skandal des Missbrauchs: Kirche als Ort von Verbrechen, Täter, die geschützt wurden, statt der Opfer. Schlimm. Kann man (weiter) zu dieser Kirche stehen?
Im Evangelium des heutigen Sonntags wurde Jesus nach dem Wort Gottes und dem Kern seiner Botschaft gefragt. Ich bin nur selten danach gefragt worden, wohl aber nach den Sünden der Kirche heute und im Lauf ihrer Geschichte (ist das nicht auch die Geschichte derer, die mich damit bombardieren?), nach der Weltferne des Klerus, nach der Doppelmoral der Christen allgemein und meiner Mitbrüder im Priesteramt im besonderen. Es ist also so weit gekommen, dass die Makel und Flecken der Kirche die Frage nach der Botschaft Jesu überflüssig machen.
„Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ – Resignation. Sie überkommt auch mich immer wieder. Der Satz des Simon geht allerdings noch weiter: „Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen.“
Danke, Simon, danke, du Felsen der Kirche, Petrus, dass du diesen zweiten Satz noch dazusagst: gegen deine eigene Resignation und gegen meine Resignation. Auf Jesu Wort hin werfe ich weiter die Netze aus!
Fast hätten wir ein Wort des HERRN überhört. „Er sagte zu Simon: Fahr hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“ (Lk 5,4) – Wo es tief ist. Die Krise fordert uns heraus, mehr denn je. Und zugleich ist sie eine Einladung: Es geht darum, dorthin zu rudern, wo es tief ist. Eine Einladung in die Tiefe zu gehen. Gott auf den Grund zu gehen.
Das versuche ich mit euch / Ihnen. In jedem Gottesdienst. In den Dingen, die wir gemeinsam hier anbieten. Wir versammeln uns um die Mitte, die Christus ist. Wir schöpfen hier aus den Quellen des Heils. Wir trinken gemeinsam vom Strom lebendigen Wasser, in den wir hineingetauft wurden...
Gemeinsam. Christinnen und Christen unterschiedlicher Konfession. Die Berufungsgeschichte des heutigen Evangeliums gilt nicht nur dem Simon Petrus. Er hat Cooperatores, das heißt sein Fischereibetrieb arbeitet eng mit dem Familienbetrieb Zebedäus zusammen. Gemeinsam heben sie die Schätze aus der Tiefe.
So können auch wir als Angehörige unterschiedlicher Glaubensfamilien die Schätze der Heiligen Schrift und des Glaubens besser heben, wenn wir kooperieren. Es geht nicht darum, alles zu vermischen. Aber in unseren unterschiedlichen Kompetenzen und auf Grundlage der gemeinsamen Taufe sollte es funktionieren, dass wir einander helfen, die Schätze des Glaubens zu heben.
So kann ich auf Petrus schauen und wie er stammeln: „Wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen“– mit der Geduld eines Fischers, der die Fische nicht selber ins Netz treiben kann. Genauso will ich geduldig warten, bis du, der HERR, mir selbst das Netz füllst. Wir alle dürfen voll Geduld darauf vertrauen: der HERR wird endlich unsere Netze füllen – übervoll! - „Fürchte dich nicht, Simon! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.“ Amen.
Vergangene Woche bekam ich als Beratungsraum in einem Landratsamt den Teamtreffpunkt und auf dem großen Tisch lauter Behältnisse mit Weihnachtssüßigkeiten - übrigens sehr verführerisch und nicht wenig.
Wenn es das ist, was von Weihnachten bleibt, übrig bleibt und irgendwann doch noch entsorgt wird, weil man satt ist, es satt hat... Ein Weihnachtsgedicht endet auch so: „ganz am Rande Gottes Sohn“
So kann man, wird auch, der Eintritt Gottes in diese Welt gefeiert: Jesus am Rand. Aber so ist es ja auch wirklich, so war es von Anfang an, und so ist es bis zum Ende, so widerfuhr es diesem Jesus wirklich: Jesus am Rand. So steht es wortwörtlich im Evangelium: Eben haben wir es gehört.
Der Evangelist Lukas erzählt vom ersten Auftritt Jesu in seiner Heimatstadt. Die Leute hatten freilich von ihm gehört - schließlich konnte er faszinierend predigen und erst die außergewöhnlichen Taten anderswo.
Und nun kommt er nach Hause. Zunächst tut er am Shabat beim Gottesdienst das, was jedem erwachsenen Juden zu tun erlaubt war: Er liest einen Abschnitt aus der Thora und legt ihn aus.
Es sind Prophetenworte. Sie verheißen das ersehnte Kommen eines von Gott gesandten Retters – eines, der allem beschädigten Leben aufhelfen, von einem, der endliche Freiheit schenken, ermöglichen wird. Das ist doch etwas Großartiges, etwas Unvorstellbares und tiefste Sehnsucht.
Und was macht Jesus in seiner Auslegung, die aus einem einzigen Satz besteht: Heute hat es sich erfüllt dieses Schriftwort, was ihr eben gehört habt. Heute!
In dieser Erstpredigt in Nazareth wird das Gotteswort des Alten Bundes zum Evangelium, zur Proklamation einer guten Nachricht.
Und wir hörten, die Leute haben irgendwie auf eine solche Ansage geradezu gewartet: seine Rede fand Beifall, schreibt Lukas. Ist ja auch logisch, dass sie staunen und auch irritiert sind: Woher hat er das alles? Wie kommt er dazu so zu reden? Das ist doch einer von uns? Hier groß geworden, wir kennen den noch als Kind. Der Sohn vom Zimmermann. Dieses Erstaunen ist seltsam zweideutig: gespannt/neugierig/offen und zugleich irritierend. Das ist schon ein Empfang zu Hause, in der Heimatgemeinde, eine Situation:
Und Jesus, er entlarvt das Erstaunen: Dieser Beifall ist weiter nichts als die Erwartung, dass er jetzt für sie, seine Leute auch Wohltätigkeiten tut. So nach dem Motto: Was Du rund um Kafarnaum getan hast: Brot vermehren, Kranke heilen, Dämonen austreiben, das wirst – wirst!!!! du jetzt auch für uns tun, bitte sehr, das ist doch wohl mehr als klar.
Daher kommt der Applaus, der Gefallen an der so seltsamen Predigt. Wenn Du uns nicht heilst, dann bist Du auch kein Arzt. So kommen ihm seine Landsleute, so begegnen sie ihm.
Und was macht Jesus? Statt darauf einzugehen, es in Erwägung zu ziehen, erinnert er sie mit Bezug auf Elija und Elischa daran, dass gerade die Wunder Gottes immer schon die erfahren haben, die niemals den Gedanken gehabt hätten, dass sie darauf einen Anspruch hätten.
Und weiter, dass denen, die darauf pochen, das es doch eben nur recht und billig wäre, dass Sie es bekommen, das Wunderbare verschlossen bleibt.
Jesus beschämt seine Leute, er stellt ihr Zweckmäßigkeitsdenken bloß, dass sie sich das Heilige – Gott selbst – irgendwie dienstbar machen wollen.
Und auf einmal schlägt alles um, der Beifall, das Wohlwollen, daraus Enttäuschung, wird blinde Wut gegen ihn, der das aufdeckt, ausspricht. Ihnen muss doch ihre Erbärmlichkeit und ihr ganzer Egoismus ihres alltäglichen Lebens, ihres gelebten Alltags, plötzlich so deutlich, spürbar geworden sein, das es weh tat, irritierend, verunsichernd war.
Und er ist daran Schuld, der muss weg, raus aus unserer Mitte, unserer Stadt.
Jesus am Rande! Unglaublich: nach wenigen Sätzen (7) seiner Antrittspredigt, wird das Evangelium (Frohe Botschaft) zur Passionsgeschichte.
Undwas passiert jetzt? Wenn sich die Einladung zur Frohen Botschaft nicht mehr zum Nutzen der eigenen Lebenspläne benutzen lässt, wird der Bote, der Überbringer der Nachricht an den Rand weg-, rausgedrängt.
Also ist, 3 Jahre später, der Tod Jesu am Kreuz auf Golgotha – draußen, außerhalb des Tores (Hebr. 13,12-13) eigentlich nichts Überraschendes, sondern wirklich die Vollendung von dem, was mit der Predigt in Nazareth angefangen hat.
Es gehört zu Jesu Geschick, immer dort, wo er sein Herzensanliegen auch nur auszusprechen wagt, auftritt mit seiner Botschaft, wird er an den Rand gedrängt, verdrängt, zum Schweigen gebracht.
Jesu Worte in der Synagoge, sie sind Prophetenworte, er benennt absolut und unzweideutig sein Anliegen, stellt es in die Mitte seiner Sendung: eine gute Nachricht für Arme zu bringen, Entlassungden Gefangenen, Freiheit den Zerschlagenen.
Also allem, was kurz gehaltenes und zu kurz kommendes Leben, dem ist aufzuhelfen, sich zu widmen, alles Leben seiner unentwindbaren Würde, seines Selbstandes, seiner Freiheit zu versichern, weil sie sie von Gott her besitzt.
Also ist es schon logisch, dass eine solche Ansage eine unsägliche Provokation überall dort wirkte, wo Oben und Unten, Treten und Getretenwerden gilt. Wo die einen raffiniert getarnt auf Kosten der anderen leben, wo Kosten und Nutzen und Macht allein den Ton angeben.
Aber Evangelium/Euangelion, heißt nun mal: Mensch, Du bist. Das genügt. Das hab ich gewollt. Lebe.
Und Jesu Auftreten ist die definitive, göttliche Inkraftsetzung dieser Zusage. He u t e hat sich dieses Schriftwort erfüllt.
Kein Wunder, dass es in diesem Heute zum ersten Rauswurf Jesu kommt, ja kommen muss, in einer Welt (Weltzeit), die weiß Gott viel von Würde und Freiheit schwätzt, nicht nur redet, es aber umso weniger gewährt.
Heute hat es sich erfüllt! Heute ist immer heute! Auch heute!
Lukas hat uns weiter nichts, als den Normalfall der Konfrontation von Welt (Weltzeit) und Evangelium erzählt. Das Heute von Nazaret ist immer noch heute.
Auch heute ist heute:
Als in der Südamerikanischen Theologie und Kirche die "Theologie der Befreiung" entstand, wurde sie nicht nur kritisch beäugt, sie wurde verboten, Lehrerlaubnisse wurden entzogen, es kam zu Amtsenthebungen und den Armen wurde die Frohe Botschaft des Jesus von Nazareth madig gemacht, zum Erhalt von ausbeuterischen Systemen und Machtstrukturen, politischer und klerikaler.
Wenn Christinnen und Christen mit Berufung auf das Evangelium ein anderes Auftreten der Mächtigen in der Kirche besprechen und umgesetzt haben wollen, als Getaufte, also Gesalbte und Gesandte ernst genommen werden wollen, dann, ja dann, Rückzug in die Bastion Amtskirche, nichts als die Gefahren heraufbeschwören, die eintreten könnten, würden, werden, wenn...
Wo kämen wir hin, wenn wir dem Wort Jesu in seiner Kirche Raum gäben? Nicht zu denken!
Und wo sind wir als Kirche, als Kirchen hingekommen, vor was für einem Scherbenhaufen stehen wir? Wenn in kirchlicher Amtsführung die Würde eines Bistums in die Tonne getreten wird und es uns Katholiken gegenüber anderen Christen und Nichtchristen die Schamröte ins Gesicht treibt. Wenn auf Pressekonferenzen nur Worthülsen und Verklausulierungen kommen, statt Verantwortungsübernahme und Buße.
Wohin ist das jesuanische Heute aus dem Evangelium?
Wenn menschliche Freiheit und Würde mit Füßen getreten werden, mit Parolen, wie „Ausländer raus“ auf Wände gesprüht oder auf Plakaten durch die Strassen getragen, dann ist das jesuanische Heute angesagt.
Wenn gegen Asylbewerber gehetzt und sie verunglimpft werden, als Sozialschmarotzer, dann ist auch jesuanisches Heute.
Und auch wenn sich Politiker hinreissen lassen, in dieses Stammtisch-Horn blasen zu müssen, dann wird es so absurd, wie damals in Nazareth, wo akkurat die Frommen die Botschaft, die Frohe Botschaft Gottes sich handgreiflich vom Leibe schafften.
Wenn, koste es, was es wolle, die Güter dieser Erde verschwendet werden, weil manche Bewohner dieser Erde nicht mehr recht wissen, wie sie noch irgendwie ihren Größenwahn, ihre Sucht nach Reichtum und Luxus, ausleben und befriedigen sollen, obwohl es schon längst auf Kosten der jetzt Armen geht, dann ist auch jesuanisches Heute angesagt.
Das Heute, dass Würde und Selbstbestand von Gott – von Gott – für a l l e in Geltung gesetzt sind.
Und wo immer eine oder einer – aus welchen Gründen auch immer – sich gedrängt weiß, Jesu Heute der frohen Botschaft anzusagen, wird es ihm nicht anders gehen können, als Jesus damals in Nazareth.
Aber es sollte dann auch noch Trost sein: Gott selbst hat gerade den hinausgeworfenen Jesus, den zum Schweigen gebrachten Gekreuzigten bestätigt, er hat, den Getöteten als Lebendigen bezeugt und zum Erfahren gegeben. Wir sagen dazu Auferweckung.
Ostern heisst als: Jesus hat Recht gehabt. Seine Botschaft vom in Gott festgemachten, also glaubenden und darum freien Menschen ist wahr.
Jede und jeder Getaufte ist – egal wo – befähigt und berufen jesuanisches Heute von Nazareth zu leben und all denen anzusagen, die seiner bedürfen. Das ist unser aller Kompetenz und Lehramt als Christinnen und Christen.
Wenn wir dabei rausfliegen, ist das durchaus normal. Ganz am Rand: Gottes Sohn.
Erst wenn ich Jesu Erfahrung von Nazareth teile und bejahe, wird das erlösende Heute von Nazareth mein eigenes Heute.
Oder mit Nelly Sachs:
Wenn die Propheten aufständen
in der Nacht der Menschheit
wie Liebende, die das Herz des Geliebten suchen,
Nacht der Menschheit,
würdest du ein Herz zu vergeben haben?
Auch du
bist Prophetin, Prophet
in dir
tanzt das Licht
und machtvoll
erklingt uns dein Lied
Aus dir
singt der Traum
vom Sturz aller Täter
vom Aufstand aller Opfer
zur Freundschaft
und Lebenslust
Auch du
bist Prophetin, Prophet
ausgespannt
zwischen Himmel und Erde
in deinen Händen
liegt Licht und Wahrheit
und du erzählst
von Unrecht und Schmerz
und vom kommenden Leben
das leise
unaufhaltsam
unter uns
Gestalt annimmt.
(Lisianne Enderli)