Predigt: Br. Jeremias M.Kiesl OSA; Musik: Sabine Lindner
in der Brunnenkirche zu Erfurt am 17. August 2023
Fotos: Matthias (Montefalco, Münnerstadt), Franka, Sabine
© Augustinerkonvent St. Martin von Tours | Erfurt 2023
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
als Vorgeschmack auf das heutige Evangelium, konnte ich vor einigen Jahren im Urlaub eine Seefahrt nach Helgoland miterleben: Eine Fahrt auf dem offenen Meer – mit einem eher kleinen Schiff. Und das bei Windstärke sieben.
Hohe Wellen schlugen gegen das Schiff, ließen es immer wieder durchsacken und überspülten das Deck. Fast alle Fahrgäste waren seekrank.
Kaum jemand sprach noch. Die meisten waren ganz tief in sich versunken. Wohl nicht aus Angst um das eigene Leben. Doch eine starke Beklommenheit, ein tiefes Unwohlsein – nicht nur äußerlich, auch innerlich – spiegelte sich auf den Gesichtern der Menschen.
Dann ein kurzer Aufenthalt auf der Insel. Die anschließende Rückfahrt dauerte endlose drei Stunden.
Liebe Mitchristen, wer einmal mit dem Boot über den See Genezareth gefahren ist, und an diesem Ort das Evangelium vom Seesturm hört, der macht sich nicht so leicht ein Bild von der Angst der Jünger.
Vielleicht muss man zuvor den Kibuzz Ginnosar am Westufer des Sees besucht haben, wo 1986 aus dem Uferschlamm ein Holzboot ausgegraben wurde. Archäologen datieren es auf die Zeit 50 vor Chr. bis 50 nach Chr.
Mit einer solchen Nussschale „vieleStadien“ (Mt 14,24) – eine Stadie misst 185 Meter – alsomehrere Kilometer vom rettenden Ufer entfernt zu sein und dann vom Sturm überrascht zu werden, bedeutet, pure Angst um das eigene Leben. Von Windstärke 9 oder gar 10 sprechen wir dann, ohne uns ein Bild davon machen zu können, wie sich die tückischen Fallwinde von den Golanhöhen herab auf den See auswirken.
Schwestern und Brüder, die Angst um das eigene Leben ist eine der tiefsten Selbsterfahrungen des Menschen. Sie kann ungeahnte Kräfte freisetzen. Ohne den Selbsterhaltungstrieb wären wir in vielen Situationen hoffnungslos verloren. Die Angst der Jünger aber ist eine ohnmächtige Angst, denn aus eigener Kraft können sie sich nicht mehr befreien. Sie sind dem Seesturm ausgeliefert – auf Leben und Tod. In dieser Situation gibt es nur eine Kraft, die weiterhilft, die innerlich befreit: Das Vertrauen auf die Hilfe Gottes.
Das ist etwas anderes als das, was die Psychologen das „Urvertrauen“, das Grundvertrauen im Menschen nennen: Das Vertrauen in die soziale Umwelt des Menschen. Einer lebensbedrohlichen Situation nicht allein ausgesetzt zu sein, das mag beruhigen, doch retten kann allein der Glaube. Wie gut, wenn der Glaube der anderen dann den eigenen Glauben stärkt.
Der langjährige Leiter von Missio Aachen, Bernd Kauth, berichtet von einer Bootsfahrt in Kenia an der Grenze zu Tansania. Wie er nach einem Gottesdienst auf dem Rückweg mit einem kleinen Aluminiumboot in einen Gewittersturm gerät. Und dann fällt auch noch einer der beiden Motoren aus. Er schreibt: „Ich habe Angst. Ich fühle, wie ich das Boot nicht mehr in der Gewalt habe. Es wird von Brechern hin- und hergeworfen, und ich hoffe nur, dass es sich nicht querstellt...
Ich versuche meine Angst vor den anderen zu verbergen. Auch vor mir... Mitten im Tosen glaube ich Stimmen hinter mir zu hören: leisen, harmonischen Singsang.
Ich werfe einen hastigen Blick zurück. Birgitta, Elisa und Michael stehen hinter mir. Sie stehen wie eine schützende Wand, halten sich aneinander fest und stemmen sich gegen das Schleudern des Bootes. Wie eine Wand, an die ich mich anlehnen kann... Vater unser im Himmel.
Sie beten, als ob sie auf dem sicheren Zementboden unserer Kirche stehen würden: keine Panik, keine trostlose Ergebenheit. Es klingt so selbstverständlich, denn es gibt ja nichts anderes, als in einer solchen Situation zu beten. Es ist nicht blinde Verzweiflung, die sie das Beten lehrt, es ist das Vertrauen, der Glaube. Das Wissen, dass einer da ist, der uns hält.
Ich fühle, wie ich ruhig werde, wie dieses Gebet mich ermutigt: ich bete.“ (Bernd Kauth, Spuren unterdem Lebensbaum, Aachen 1989, S.28f.)
Und als der 16jährige Michael ihm zulacht, fragt ihn der Missionar: „Hast Du gar keine Angst, Michael?“ Und lachend bekommt er zu hören: „Ah Jaduong, Priester, hast Du uns nicht erst vor drei Wochen vom Seesturm erzählt und darüber gepredigt? Nun, da haben wir´s.
Und dann fügt er verschmitzt hinzu, die Arme gestikulierend, wie ich es wohl vor drei Wochen getan habe. ‚Oh, ihr Kleingläubigen!‘ und lacht mich an. Ich lache zurück, ich Kleingläubiger. Ich bin froh und dankbar, nicht allein zu sein. Dieses Lachen, das beruhigende Gemurmel der Frauen inmitten des Seesturms – kann man sich eine eindrucksvollere Predigt vorstellen?“ (ebd. S. 29)
Schwestern und Brüder, solche Erfahrungen und Berichte sie können uns helfen, die Worte Jesu immer tiefer zu begreifen, wenn er zu einem Menschen sagt: „Dein Glaube hat dich gerettet“ (Mt 9,22; Mk 5,34; Lk 8,48 (Heilung einer blutflüssigen Frau); Mk 10,52; Lk 18,42 (Heilung des Bartimäus); Lk7,50 (Heilung einer Sünderin im Hause eines Pharisäers); Lk 17,19 (Heilung der 10 Aussätzigen)).
Amen.
+ Jesus Christus, der geliebte Sohn des himmlischen Vaters, sei mit euch!
Nicht klug ausgedachten Geschichten machen das Geheimnis Gottes aus. Im Gegenteil: Gott offenbart sich. ER ist es auch, der uns Jesus als Seinen geliebten Sohn zeigt, auf den wir hören sollen. Jesus Christus kam in diese Welt, damit wir Gottes Größe und Güte lernen. Dabei stützen wir uns auf die Verkündigung der Apostel, die sich keine klugen Geschichten über Gott und Jesus Christus ausdachten, sondern „Augenzeugen seiner Macht und Größe“ waren.
Letzten Endes sind auch wir eingeladen, nicht einem göttlichen Mythos zu folgen. Wir sollen vielmehr IHM nachfolgen: Jesus, dem Sohn Gottes. Nicht Lehre und Theorie retten uns, sondern die Beziehung zum lebendigen Christus, Gottes geliebten Sohn.
Er hat uns (auch heute) hier zusammengeführt. IHN begrüßen wir in unserem Kreis.
Eigentlich beginnt das 17. Kapitel bei Matthäus – und damit das Fest-Evangelium von der Verklärung – ein mit den Worten: „Sechs Tage danach“. Die Vorgeschichte ist meines Erachtens nicht unwichtig.
Das vorangehende 16. Kapitel erzählt nämlich von der (vergeblichen) Zeichenforderung der Gegner Jesu, von der Sorge der Jünger, dass der Proviant nicht reichen könnte, dann vom Christus-Bekenntnis des Simon Petrus bei Cäsarea Philippi, hierauf von der ersten Leidensankündigung – mit der barschen Zurechtweisung des Petrus „Tritt hinter mich, du Satan!“ – und schließlich mit dem Aufruf Jesu zu Nachfolge und Selbstverleugnung. Uff! Dieses Kapitel hatte es wirklich in sich. Wie soll das ein Mensch in der Nachfolge Jesu das alles verkraften?
Es braucht eine Pause. Nach sechs Tagen erst mal eine kleine Bergtour. Die drei wichtigsten Apostel sind dabei. Da können wir uns schon mal gefasst machen, dass nun Wichtiges passiert.
Auch die Zahl 6 ist symbolisch aufgeladen. In sechs Tagen schuf Gott Himmel und Erde, am sechsten Schöpfungstag erst wird der Mensch kreiert, der seinerseits (nur) sechs Tage lang arbeiten soll. Am siebten aber darf er wie Gott selbst die Ruhe genießen: den Sabbat. Die Christen werden den Tag darauf als Tag des HERRN feiern, den Auferstehungstag Christi. Auf ihn übertragen sie dann auch die göttliche Ruhe des Schöpfers und allen Lebens, denn mit der Auferstehung Christi ist eine neue Schöpfung geworden, mit der Perspektive der Ewigkeit in der Ruhe Gottes.
Sechs ist die Zahl dessen geworden, was ein Mensch von sich aus schaffen kann. Am siebten Tag aber, in der Ruhe, wird Gott das Verständnis hinzu schenken, das nicht zu machen ist. Und die Dankbarkeit und die Zufriedenheit mit dem, was von Gott kommt.
Die eigene Unvollkommenheit im Rücken, das Unverständnis über die Wege Gottes und seines Gesalbten in den Kleidern, wird den drei Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes ein Bild der Vollkommenheit geschenkt, das Petrus gern festhalten möchte, wenn er vorschlägt, drei Hütten zu bauen. Jetzt erst macht für ihn Sinn, was er wenige Tage vorher, kurz hinter Caesarea Philippi, partout nicht akzeptieren wollte: Dass der Sohn des lebendigen Gottes leiden müsse.
Das könnte auch das Bild unserer sonntäglichen Praxis sein, wenn wir uns nach sechs Tagen hier versammeln mit all den Fragen und Nöten und Unvollkommenheiten, die uns an Kleidern und Leib hängen, um vor dem HERRN zu sein und auf den „geliebten Sohn des Vaters“ zu hören: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ (Mt 17,5b).
Das gilt ja mindestens seit der Taufe auch für uns: Du bist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter, die ich erwählt habe. Gottes Worte umhüllen uns mit Seiner Liebe. Der „Schatten der leuchtenden Wolke“ soll auch auf uns fallen, aus der wir die Stimme des Vaters hören.
Im Evangelium sind Jesu Jünger damit aber noch nicht am Ende. Das Neue erzeugt „große Angst“, und die Drei „fielen nieder auf ihr Gesicht und fürchteten sich sehr“ (Mt 17,6). Umwerfend! Doch das „tremendum“ dieser Erfahrung fasziniert gleichzeitig. Gottes Größe blitzt auf, und die Jünger fallen zu Boden und beten an.
Petrus und wohl alle Menschen wollen Augenblicke des Glücks festhalten: Hütten bauen! Aber es hilft nicht: Am Endes dieses Gottesdienstes werden auch wir wieder in die Niederungen des Alltags gesandt. Augustinus formuliert: „Steig herab, Petrus, steig ab, um auf der Erde zu arbeiten und zu dienen, um verachtet und gekreuzigt zu werden auf der Erde. Das Leben [gemeint ist Jesus], steigt ab, um getötet zu werden, das Brot steigt ab, um auszugehen, der Weg steigt ab, um unterwegs müde zu werden, die Quelle steigt ab, um dürr zu werden. Und du, Petrus weigerst dich, zu arbeiten?“(zitiert nach: Luz Ulrich in: EKK ½ S 516f).
Die Erfahrung der Nähe und der Klarheit des Lichtes Gottes sind nicht von Dauer, solange wir unterwegs sind. Vor dem ewigen Ostern liegt der Karfreitag. Petrus und die Urgemeinde erfahren Gericht und Verfolgung, Ausgrenzung, sogar das Martyrium. Aber sie tragen die Klarheit im Herzen, die sie auf dem Berg schauen durften.
Wie sollte man denn diese Welt aushalten, die so voller Not und Widersprüche uns umfängt, wenn wir nicht diese von Gott geschenkte Klarheit wenigstens hin und wieder erfahren dürften? Wie könnten wir hinsehen auf das schier unerträgliche Leid so vieler Menschen? Wie sollte man die Orientierung finden, wenn unsere Sicherheiten so krass wanken und infrage stehen?
Der Festtag der Verklärung des HERRN ist mein Kloster-Eintritts-Tag. Das wird nicht groß gefeiert. Aber durch sein Evangelium wurde mir sozusagen ins Stammbuch geschrieben, die Klarheit auf dem Berg im Herzen zu bewahren. Dann wird sie zur Verheißung, dass auch die Niederungen des Alltags zu überwinden sind.
Die Jugendlichen machen jetzt beim Weltjugendtag eine Gipfelerfahrung. Für mich waren jedenfalls die vier Weltjugendtage, die ich erleben konnte, solche besonderen Erlebnisse. Man kann das nicht festhalten, was da in einem vorgeht. Man kann es nicht mal richtig erzählen. Aber es ist ein Schatz, der Kraft gibt für den Weg. Hoffentlich erfahren das auch diesmal ganz viele Jugendliche!
Menschen, die den größeren Deutungshorizont Gottes in ihr Leben einlassen, die in die Unbehaustheit hinaustreten wie Abraham und die wie Petrus, Jakobus und Johannes wieder hinabsteigen vom Berg der Verklärung werden bis heute zum Segen für diese Welt, die sozusagen im sechsten Tag stecken bleiben müsste. Als Getaufte müssen wir Hoffnungträger über den sechsten Tag hinaus sein! Denn auch für uns gilt doch: „Diese Stimme, die vom Himmel kam, haben wir gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren“(2 Petr 1,18).
Was kostbar ist, das darf auch etwas kosten. Manche geben richtig viel für das, was ihnen wirklich kostbar ist. Wofür würde ich viel geben? Wofür würde ich vielleicht sogar alles geben?
Im heutigen Evangelium begegnen uns Menschen, die vor Freude alles geben, weil ihrer tiefsten Sehnsucht Erfüllung geschenkt wird. Sie werden beide fündig: Der eine stößt eher zufällig auf einen Schatz im Acker, der andere findet nach langer Suche die besonders kostbare Perle. Der Reichtum des Evangeliums ist genau das, was sie ersehnt haben, ist „alles Gute“, was ein Mensch braucht, was ihn glücklich und froh macht.
Möchte auch ich den Schatz meines Lebens heben? – Rufen wir den HERRN in unsere Mitte.
Noch einmal hören wir an diesem Sonntag aus dem „Gleichniskapitel“ des Evangelisten Matthäus, aus dem 13. Kapitel: Vom Schatz im Acker, von der kostbaren Perle und vom Fischnetz.
„Mit dem Himmelreich ist es wie...“, sagt Jesus. Es sind Bildworte, keine dogmatischen Festlegungen, die sich wasserdicht und eins zu eins übertragen ließen. Das funktioniert ja schon bei den sechs Gleichnissen des genannten 13. Kapitels nicht. Das Himmelreich ist bunt und vielfältig schon mitten unter uns.
Entsprechend sind auch die Umstände sehr verschieden, wie ein Mensch das Himmelreich findet uns sich von ihm packen lässt. Das lässt sich nicht auf einen einzigen Nenner bringen. Es ist vielmehr wie so oft, wenn wir wichtiges zur Sprache bringen wollen: Da müssen wir analog reden, wir brauchen mehrere Anläufe und Bilder, Symbole, die erst in ihrer Gesamtheit dem Eigentlichen nahe kommen.
Ganz unterschiedlich lässt sich Gottes Reich finden. Da ist von einem Mann die Rede, der in einem Acker gräbt – der ihm noch nicht einmal selbst gehört, wie wir später erfahren. Seltsam. Wie geht das?
Ich könnte mir vorstellen, dass die Tagelöhner unter den Zuhörern Jesu hier besonders die Ohren spitzten. – Du bist bei deiner alltäglichen, anstrengenden und manchmal vielleicht sogar stupiden Arbeit. Alltagsroutine eben. Eigentlich erwartest du nichts Besonderes. Eher zufällig wie dem Mann im Gleichnis fällt dir unversehnes reichlich Himmel zu. Weil du deine alltägliche Arbeit gut machst, weil du keine Angst vor dem Schmutz des Alltäglichen hast und dich nicht scheust, dir beim Graben die Hände schmutzig zu machen, bleibst du nicht an der Oberfläche. In der Tiefe findest du den Schatz. Im treuen und zuverlässigen Erfüllen deiner Aufgaben darfst du einen tieferen Sinn entdecken.
Das Himmelreich ist nichts Abstraktes und Fernes. Es ist uns jederzeit nahe. Du kannst es mitten im Alltag finden – in der Treue zu deinen alltäglichen Aufgaben wird es plötzlich sichtbar.
Und es ist verbunden mit unbändiger Freude! Mit Blick auf das Himmelreich kann ein Mensch nicht mehr streng verbissen sein. Er wird frei, alles hinzugeben, um den Acker zu besitzen, in dem er den Schatz gefunden hat. Oder hat der Schatz ihn gefunden? Du bist bestimmt für das Himmelreich! Was brauchst du mehr?
Andere Menschen sind eher wie der Mann im zweiten Gleichnis. Es erzählt von einem Experten, der systematisch nach schönen Perlen sucht. Sein Forschen und Suchen ist aufwändig, akribisch; es braucht eine gewisse Ausdauer. Aber dieser Mensch weiß: die schönste Perle ist es wert, sie zu besitzen, auch wenn ich dafür alles andere hingeben muss.
Wieder: Es ist letzlich die Freude, die ihn antreibt. Keine verbissenes „Du musst!“ - Mich erinnert das an einen Rat des hl. Ignatius von Loyola. Bei Entscheidungen ist es wichtig darauf zu achten, wo die größere Freude entsteht. Diese Freude ist ein Indiz dafür, dass die Entscheidung richtig ist. Damit ist nicht der billige Spaß gemeint, der mich im Moment überfällt. Gemeint ist die Freude über das Kostbare, das ich gewinnen kann. Und das darf dann auch etwas kosten, darf sogar sehr viel kosten! Die Freude über die kostbare Perle wiegt die Mühen spielend auf.
Suche das Himmelreich! Nutze deinen Kennerblick! Du weißt längst, die kostbare Perle von den billigen Modeklunkern zu unterscheiden. Bete um ein „hörendes Herz“, wie es Salomo in der heutigen Lesung tat. Dann hast du den rechten inneren Kompass.
Das dritte Gleichnis handelt von Fischern, die ihr Netz in den See werfen und alles an Land ziehen. Dieses Bildwort lässt den Fischen und Beifang keinen Spielraum, sich für oder gegen das Himmelreich zu entscheiden. Das Entscheiden und Sortieren ist Sache der Fischer respektive der Engel. Das sollte uns – wie schon bei vorhergehen-den Gleichnissen – Grund genug sein, nicht selber zu urteilen, wer unter welchen Vorraussetzungen zu den Guten gehört und wer nicht. Das ist und bleibt Sache Gottes.
Ja natürlich gibt es Kriterien, was gut und was böse ist. Das weißt du sehr wohl! Handle danach. Punkt. Aber hüte dich, selber dich als Richter oder Richterin aufzu-spielen. Das darfst und musst du getrost dem wahren Richter dieser Welt überlassen.
Mich erinnert der Feuerofen an die großen Bilder aus dem Buch Daniel, mit dem wir uns im vorigen Jahr im Januar während der Bibelwoche ausführlich beschäftigt haben. Mit einigem Recht können wir davon ausgehen, dass Jesus und auch Matthäus sehr von diesen frühjüdischen Denkbildern geprägt waren. Dann aber wäre der Feuerofen der Ort der Läuterung, an dem Gott sein Volk und die ganze Welt reinigt. Das Böse wird verbrennen wie Spreu und Abfall. Das Gute wird wie Gold geläutert. Das ist ein schmerzhafter Prozess, aber Gott hat die Fäden in der Hand. Die Gerechten sollen strahlen und leuchten.
Das kann auch ein Prozess in einem jeden Menschen sein. Sicher hat die Antike eher in der Summe gedacht, wir sind heute individualistischer gestrickt. Aber auch für unsere Denkweise kann es ein Trost sein, wenn das Dunkle und Böse nicht ewig an mir haften bleibt. Gott selbst wird mich von der Schlacke des Bösen befreien. Endgültig. Gott sei Dank!
Die Netze, die ausgeworfen werden, erinnern mich an den Auftrag Jesu an seine Jünger, die Netze auszuwerfen. Wir wissen nicht, wen wir ansprechen mit der Botschaft des Evangeliums. Das ist auch letztlich nicht unsere Sache. Unser Auftrag ist und bleibt, die Netze auszuwerfen. Man wird sehen, wen die Jesu Botschaft ergreift, wer IHM nachfolgen wird. Manches wird in unseren Netzen auch mitgezogen, das keinen bleibenden Wert hat. Aber nicht immer ist es in unserer Macht, uns davon zu trennen. Oft können wir nicht gut entscheiden, was dem Reich Gottes wirklich dient. Überlassen wir es Gott und seinen Engeln, am Ende zu sortieren. Das Gute wird von Gott gesammelt werden.
Lass du dich vielmehr fragen:
+ Der HERR, der unserem Leben Wachstum und Gedeihen schenkt, sei mit euch!
DieKirche ist eine „massa permixta“ – eine Mischung ausguten und weniger guten Eigenarten und Unarten, ja sogar ausguten und schlechten Menschen. Das wird uns immer wieder bewusst –gerade weil ich zumindest mir oft eine starke, feste, eine„reine“ Kirche wünschte, die besser zum Zeugnis in derWelt fähig wäre...
AberWeizen und Unkraut stehen auf demselben Acker. Die Kirche Gottesbesteht aus Sündern und Heiligen. Wo verläuft die Grenze?Wo ziehen wir die Grenze? – Gott hat uns nicht zu Dammwächternoder Grenzziehern bestellt. Er ruft uns zur Nachfolge, trotz unsererSchuld. Lasst uns also hoffen und lieben – wie ER!
DenHerrn der Ernte, der jedem Einzelnen in der großen Gemeinschaft derKirche Wachstum schenkt, uns aber zum Aufbau des Gottesreiches ruft,bitten wir um sein Erbarmen.
Was sind denn guter Same, Weizen oder Unkraut?
Vor einigen Jahren war ich mit Jugendlichen in der Dübener Heide unterwegs. Auf dieser Wanderung trafen wir etliche Menschen auf der Suche nach besserer Lebensqualität. Unter anderem einen Waldbauern, der seit einigen Jahren bei der Wiederaufforstung auf das berühmt-berüchtigte Round-up (Glyphosat) verzichtet. Dafür zahlt er einen hohen Preis: Denn nun wuchern auf den gerodeten Flächen Brombeeren und Wicken. Sie drohen die kleinen Setzlinge zu ersticken und müssen statt durch Gift per Hand in Zaum gehalten werden. Das ist äußerst anstrengend. Zwar waren wir an die 30 Leute, konnten aber binnen einer Stunde nur wenige Quadratmeter Unkraut frei machen. Vermutlich ist alles schnell nachgewuchert, weil wir nicht alle Wurzeln erwischt haben...
Macht das Sinn, so zu wirtschaften? Der Waldbauer erzählte, dass der Boden durch Glyphosat wie tot sei. Kaum Würmer und Käfer, kaum Bakterien. Er vertraut darauf, dass ein gesunder Boden langfristig doch den Schaden wett machen wird, den er jetzt wegen seines Verzichts auf das Gift in Kauf nimmt.
Ist Jesu Gleichnis praktikabel, alltagstauglich? Ziemlich sicher geht es hier nicht um Garten-Tipps. Der heutige Textausschnitt ist bei Matthäus in das 13. Kapitel eingebettet. Letzten Sonntag haben wir das Gleichnis vom Sämann gehört, der unverdrossen aussät, obwohl er weiß: Nicht jedes Saatkorn fällt auf fruchtbaren Boden. Vieles verdirbt. Aber es wird dennoch reiche Ernte geben.
Gleichnisse sind keine fest definierte Dogmatik. Sie sind und bleiben deutungsoffen! Sie führen uns ins Nachdenken: Was dient dem Reich Gottes? Wie wächst es? Welche Rolle spielen wir, wenn wir mitarbeiten an der Verkündigung dieses Gottesreiches? Wo stoßen wir an Grenzen? Wo tun sich andererseits Spielräume auf? Matthäus hat im 13. Kapitel eine ganze Sammlung von Gleichnissen über das Reich Gottes angelegt. Nur in der Gesamtheit der Aspekte erschließt sich für uns der Raum, in dem Gottes Wirken begreifbar oder zumindest zu erahnen ist.
Der Ackerbesitzer im Evangelium sagt ein klares Nein, als man ihn fragt: Sollen wir das Unkraut ausreißen oder nicht? - „Nein, [...] lasst beides wachsen bis zur Ernte.“ (Mt 13,29f.) Weiß er nicht, wie schlimm Unkraut wuchert? Doch. Trotzdem: Beides darf wachsen, weil sonst auch der Weizen Schaden nimmt. Beides darf wachsen, weil wir nicht immer unterscheiden können zwischen Weizen und Unkraut. Wir dürfen eine gute Ernte erwarten, wenn wir geduldig reifen lassen, statt verfrüht ans Ausreißen zu gehen.
Das war immer die „katholische“ Antwort der Kirche – wenn sie denn wirklich allumfassend, weltweit oder (frei übersetzt) „bunt“ geblieben ist. Sicher, es gab zu oft die Versuche, das „Unkraut“ aus dem „Weizen“ herauszureißen, und da nahm die Kirche immer selber Schaden. Die eigentlich „katholische“ Lösung ist eine integrative. „Einheit in Vielfalt“ könnte man dieses Konzept nennen. Notwendig ist Einheit im Glauben an den einen Gott und den auferstandenen HERRN – ohne faule Kompromisse!
Vielfalt braucht es aber im Reichtum der Formen, den einen Herrn zu loben und zu preisen. Das sollte auch der Ökumene Impulse geben können. Denkt nur: Neben dem „lateinischen“ Teil der katholischen Kirche gibt es noch 22 weitere Teilkirchen mit je eigenem Ritus und Recht, aber in voller Gemeinschaft mit dem Papst. Der Zölibat gilt da nur für Bischöfe, nicht für den niederen Klerus.
Im Kongo, wo sich meine Ordensprovinz stark engagiert, gibt es neben dem Ordentlichen Ritus auch den „Rite Zairoise“. Eigene Liturgieformen benutzen die Ortskirche von Mailand oder auch der Dominikanerorden. Die Benediktiner und etliche andere Orden haben ihr eigenes Stundenbuch, während wir Augustiner genau dasselbe Buch benutzen wie der Weltklerus.
Verwirrend? Vielleicht eher ein Widerhall der Größe und Weite Gottes, der von so vielen Völkern und Nationen erkannt wird. Starre Uniformität ist eigentlich undenkbar. Wir erkennen ja in Gott selbst bereits Vielfalt: GOTT trägt keinen bestimmten Artikel („der Gott“). Das würde GOTT zu sehr auf ein Geschlecht einengen oder suggerieren, wir könnten ihn genau definieren. GOTT ist – als unbegreifliches Geheimnis – in sich bereits Vielfalt. Zugleich ist GOTT engste Gemeinschaft: ein Gottin drei Personen.
Diese Andeutungen können uns auch heute Mut zur Gelassenheit schenken. Vieles von dem, was leidenschaftlich hoch gekocht wird, könnte sich am Ende doch als hohle Nuss erweisen. Nicht alles Neue ist wertvoll, bloß weil es neu ist. – Umgekehrt gilt: Sich gegen jede Veränderung abzuschotten, hieße die Zeichen der Zeit zu ignorieren. Jede Zeit braucht ihre eigenen Formen und Sprechweisen, um das Gottesgeheimnis heute lebendig zu halten. Wenn wir nur eine Sprache für Insider benützten – wie könnten wir da Verkünder der Frohen Botschaft in dieser Welt sein?
„Lasst beides wachsen bis zur Ernte.“ (Mt 13,29f.) Dann wird sich durch Gott selbst entscheiden, was Weizen ist und was überflüssiger Wildwuchs. Gott hat anscheinend keine Bedenken, dass die Ernte durch das Unkraut gefährdet würde. ER nicht!
Lassen deshalb auch wir beides wachsen: das Bewahrende und das Erneuernde! Die Ernte wird es erweisen, wiewertvoll oder wertlos es war. Oder anders: Wir brauchen das nicht für Gott entscheiden! Ernten und unterscheiden werden Seine Engel!
Man spricht so oft von der Krise der Kirche: Unter der Asche jedoch glimmt noch immer die Glut des göttlichen Geistes. Das führt uns doch zusammen, das stärkt uns für unsere Aufgaben im Alltag. Oder warum haltet ihr fest am Glauben? Warum seid ihr dieser Kirche nicht überdrüssig geworden?
Seien wir Sauerteig mitten in der Welt, in der wir leben! Wenn es sein muss, auch als kleine Minderheit! Das Reich Gottes wächst aus dem Kleinen. Langsames Wachstum bewirkt „Nachhaltigkeit“. Der Sauerteig durchsäuert alles, ist Ferment des Besseren: ohne Getöse, doch wirkungsvoller als manche „heiße Luft“, mit großer Geste produziert. Round-up macht dem Unkraut den Garaus. Man darf aber nicht fragen, was dadurch noch alles vergiftet wird...
Lasst uns als Menschen des Gottesreiches demütig die Glut der Werte nähren, die unser Gemeinwohl aufgebaut und gefestigt haben – Toleranz, Menschenrechte, Verantwortung, Solidarität ... alles zutiefst christliche Werte! Dieses Bewusstsein tragen wir weiter, unbeirrt – manchmal auch gegen den tagesaktuellen Trend.
Christus trägt uns auf, Geduld miteinander zu haben und auch mit uns selber. Geduld ist nicht gerade unsere Stärke. Wir finden zu ihr nur in der Gewissheit, dass Gott selbst für die gute Ernte sorgen wird. Darauf dürfen wir getrost vertrauen!
Wenn wir in dieser Klarheit zu leben beginnen, dann gilt schon jetzt: „Die Gerechten werden im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten“ (V. 43). Zu dieser Klarheit kann nur Gott uns führen, nicht erst bei der Ernte, wenn die Spreu getrost verbrennen darf. „Wer Ohren hat, der höre!“