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September

2023

"... dann weise ihn zurecht!" - Die Gemeinderegel des Matthäus (correctio fraterna)

Bruder Jeremias OSA

23. Sonntag | Lesejahr A - 09./10.09.2023
Einleitung

+ Jesus Christus, der HERR, der uns um sich versammelt, sei mit euch!

Alles,was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“(Mt 18,19f). Dieses Versprechen des HERRN hören wir heute im Evangelium. Gerade haben wir es auch schon besungen. Wir haben viel zu bitten ange­sichts unserer friedlosen und geplagten Welt. Wir haben zu bitten, wenn wir an das noch frische Schuljahr denken und an etliche junge Leute, die neu in Ausbildung und Uni beginnen. Wir haben in vie­len per­sönlichen Anliegen um die Kraft von oben zu bitten. –  

Und wir haben allen Grund zu danken. Denn er ist ja mit­ten unter uns. Lassen wir uns in dieser Eucharistie den Weg von Gott „recht weisen“.

Im Augustinerorden denken wir heute auch an den ersten Heiligen unseres Ordens, Nikolaus von Tolentio in den italienischen Marken. Er verkündete in schlimmen Zeiten den „Guten Jesus“ in der Begeg­nung mit den Armen und Kranken und gerade auch mit Men­schen, die sich von der Kirche entfernt hatten. Zum Trost reichte er ihnen oft ein Stück gesegnetes Brot, damit sie sozusagen mit allen Sinnen die Liebe und Fürsorge Christi spüren sollten. Deshalb segnen wir bis heute an seinem Tag Brötchen. Allein oder in Gemeinschaft gegessen sollen sie uns an den erinnern, der uns wahrhaft nährt und Leben schenkt.

Kyrie
Predigt

Misch dich nicht ein, das geht dich schließlich nichts an!“ So re­agieren wir oft, wenn jemand zu deutlich über unser Ver­halten urteilt. So raten wir auch denen, die sich bei uns über Dritte be­klagen: „Misch dich nicht ein! Halte Distanz!“ – Der private Raum ist uns heilig. Da lassen wir niemand hinein, schon gar nicht Kriti­ker und Nörgler. Wir verteidigen ihn mit Zähnen und Klauen.

Das Evangelium scheint für unsere moderne Denkweise nichts übrig zuhaben. Ich muss zugeben, dass dieser Abschnitt in mir viel Widerstand hervorruft. Zu schnell kommt dieses: „Wenn dein Bruder sündigt...“(Mt 18,15a) Ja wenn die Dinge im­mer so einfach wären! Wann „sündigt“ denn mein Mitchrist? Und wann trennt uns schlicht eine Meinungsverschiedenheit, über die man disku­tieren kann? Darf ich jemand aburteilen, wenn ich über sei­ne Motive gar nicht so genau Bescheid weiß?

...dann weise ihn zurecht“ (Mt18,15a). Kann ich jemand zurecht­weisen, den ich (noch) nicht verstehe? Soll das wirklich der ers­te Schritt sein? Müsste es nicht besser heißen: „Dann gehe zu ihm und sprich mit ihm. Versuche ihn zu verste­hen, bevor du dein Ur­teil fällst. Erkläre ihm ohne Rechthaberei deine Sicht. Findet so gemeins­am den richtigen Weg!“

Aber nichts davon steht da. Als wäre von vornherein ganz klar, wer der Sünder ist und wer das Recht hat zurechtzuweisen. Die Ausein­andersetzungen, die ich kenne, sind selten so klar in gut und böse zu unterscheiden. Sind wir nicht alle oft nur Tastende, die um Klarheit ringen müssen? –

Das 18. Kapitel bei Matthäus, aus dem das heutige Evangelium entnommen ist, wird „Die Rede über das Leben in der Gemein­de“ genannt. Diese „Rede“ beginnt mit einem beschämenden Streit der Jün­ger: „Wer von uns ist der Größte?“ (vgl.Mt 18,1-5) Je­sus stellt dem Größenwahn seiner Jünger ein kleines Kind gegen­über: Die Ohnmacht eines Kindes ist der Maßstab Jesu für den Umgang mit Macht!

An diese klare Zurechtweisen Jesu schließt sich seine eindringlic­he Warnung an, die Kleinen und (scheinbar) Geringen zu veracht­en oder gar auf Abwege zu führen (vgl. Mt 18,6-11). Ganz hart wird das formuliert: „...für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt wür­de.“ (Mt18,6b) Dann erzählt Jesus das Gleichnis vom verlorenen Schaf (Mt 18,12-14), das der Hirte so lange sucht, bis er es voll Freude wie­der findet: „So will auch euer himmlischer Vater nicht, dass einer von diesen Klei­nen verlorengeht“(Mt 18,14).

Erst jetzt kommt das Evangelium des heutigen Tages. Es wird ab­geschlossen von der Petrusfrage: „HERR, wie oft muss ich mei­nem Bruder vergeben [...]?“(Mt 18,21b) Antwort: „Grenzen­los!“ Das Kapi­tel schließt mit einem Gleich­nis, das allen droht, die nicht verge­ben wollen (Mt 18,23-35).

Im größeren Zusammenhang scheint für mich die Bot­schaft Jesu deutlich durch. Jesus, der den Sündern nachgegangen ist, will dasselbe von seiner Gemeinde. Wir dürfen nicht gleichgül­tig bleiben und schweigen, wenn wir Unrecht spüren. Keiner darf sich entschuldigen, man dürfe sich halt in die privaten Angele­genheiten der anderen nicht einmischen. Wir haben Verantwor­tung füreinander. Und ja: Ich bin der „Hü­ter meines Bruders“(Gen 4,9e) Wir sind verpflichtet, einander Hüter und gute Hirtin zu werden, die nachgehen und sich gerade nicht schweigend weg­drehen, wenn einer fehlt.

Unter vier Augen soll das zuerst geschehen, empfiehlt das Evan­gelium. Der andere darf nicht beschämt werden. Unter vier Au­gen kann vieles leichter geklärt werden: schonend und ohne Bloßstellung. Erst dann sollen noch mehr dazu geholt werden. Mehr Augen und Herzen(!) sehen und spüren mehr als zwei bzw. vier. Allein kann ich mich täuschen und Wichtiges überse­hen. Deshalb braucht es die Rückversicherung der anderen.

Danach soll noch ein dritter geschützter Raum eröffnet werden: die Gemeinde, die als Ganze die Aufgabe hat, in großer Achtsam­k­eit vor dem Kleinen und Zerbrechlichen nachzugehen und auf Umkehr hinzuarbeiten. Scheitert auch dieser Schritt, muss die Gemeinde loslassen: Muss sie den freilassen, der meint, nicht bleiben zu können.

Der heilige Augustinus hat diese Gemeinderegel des Evangelis­ten Matthäus in seiner Ordensregel (Kapitel4) übernommen – nicht ohne immer wieder eindringlich darauf hinzuweisen, dass brüderliche Zurechtweisung das Wohl des Bruders zum Ziel hat. Pointiert formuliert Augustinus, die Brüder sollten immer mit Liebe zum betreffenden Menschen handeln, aber mit Hass (nur) gegen die Sünde (Cap 4,10).

Gibt es Fehler, die man keinesfalls dulden darf, wo sofort alle Be­mühungen abgebrochen werden müssen? Das heutige Evange­li­u­m sagt nein. Denn: „Alles was ihr auf Er­den binden/lö­sen wer­det, das wird auch im Himmel gebun­den/gelöst sein“ (Mt 18,18). Das erinnert an die Binde-und Lösegewalt, die Jesus dem Simon Petrus übertra­gen hatte (vgl. Mt 16,19). Heute dehnt er diese Vollmacht auf die ganze Gemein­de aus, auf jeden von uns. In dieser Parallele dürfen wir durch­aus auch mithören, was Jesus ausdrücklich Petrus aufgetra­gen hat: „Stärke deine Schwestern und Brüder!“(Lk 22,32c) Das gilt auch für uns. „Zurechtweisen“ heißt dann niemals „je­mand kleinma­chen“, sondern immer nur „jemand den rechten Weg weisen und ihn darin bestärken – also stark machen“.

Ablassen von einem Menschen, der auf dem falschen Weg ist, dürfen wir erst, wenn wir ihm lange nachgegangen sind. Will er trotzdem diese Wege weitergehen, dürfen wir ihn freigeben. Aber auch dann fällt er nicht aus unserer Sorge. Dann wird ihn immer noch unser Gebet begleiten. Und das mag vor allem auch für die unter uns ein Trost sein, deren Kinder oder Freun­de dem Glauben den Rücken gekehrt haben. Wir beten als Ge­meinde auch für alle, die meinen, nicht mehr mit uns gehen zu können. Und wir beten im Vertrauen: „Alles, was (auch nur) zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmli­schen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versam­melt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,19b-20). Amen.

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September

2023

"Tritt hinter mich!" (Mt 16,23)

Pfr. i.R. Martin Möslein

Predigt von Pfr. i.R. Martin Möslein am 03.09.2023 in der Brunnenkirche zu Erfurt

22. Sonntag im Jahreskreis | Lesejahr A

27

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August

2023

Augustinus- und Monikafest 2023

Kurt Herzberg

19

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August

2023

Die Begegnung Jesu mit der kananäischen Frau

Monika Rohs-Dressel


Die Begegnung Jesu mit der kananäischen Frau

oder: mit der Syrophönizierin | Mt 15,21-28 | 20. Sonntag im JahreskreisA

Predigt: MonikaRohs-Dressel; Musik: P. Pius Wegscheid OSA; Lektorin: Ursula Arnold

in der Brunnenkirche zu Erfurt am 19. August 2023

Einführung (zu Röm 11)

+ Der HERR, die Wurzel, die uns trägt, sei mit euch!

Paulus vergleicht uns Christen mit Reisigen, die am Ölbaum aufgepfropften wurden. Wir wurden aufgepfropft und gehören nun nicht durch Geburt, sondern aufgrund des Glaubens zum auserwählten Volk.

Darauf können wir uns sich nichts einbilden. Es ist nicht unser Verdienst, dass wir auserwählt wur­den. Paulus sagt: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“ (Röm 11,18b).

Glauben können ist ein Geschenk.
Glauben heißt: getragen werden von der Wurzel, die Gott ist.
Glauben dürfen heißt: aus dem Erbarmen Gottes leben zu dürfen.

Das feiern wir auch heute wieder. Das dürfen wir jeden Sonntag neu feiern. Unter Sein Erbarmen stel­len wir uns jetzt erneut, um in dieser nun beginnenden Woche auch Sein Erbarmen verkünden zu kön­nen.

Lesung aus dem Brief an die Römer (Röm 11).

Euch, den Heiden, sage ich:
Gerade als Apostel der Heiden preise ich meinen Dienst,
weil ich hoffe,
die Angehörigen meines Volkes eifersüchtig zu machen und wenigstens einige von ihnen zu retten.

Denn wenn schon ihre Verwerfung
für die Welt Versöhnung gebracht hat,
dann wird ihre Annahme nichts anderes sein als Leben aus dem Tod.

Ist die Erstlingsgabe vom Teig heilig, so ist es auch der ganze Teig;
ist die Wurzel heilig, so sind es auch die Zweige.

Wenn aber einige Zweige herausgebrochen wurden und wenn du als Zweig vom wilden Ölbaum
in den edlen Ölbaum eingepfropft wurdest und damit Anteil erhieltest an der Kraft seiner Wurzel,
so erhebe dich nicht über die anderen Zweige.

Wenn du es aber tust, sollst du wissen: Nicht du trägst die Wurzel,sondern die Wurzel trägt dich.

Sei daher nicht überheblich, sondern fürchte dich!

Hat Gott die Zweige, die von Natur zum edlen Baum gehören, nicht verschont,
so wird er auch dich nicht verschonen.

Erkenne die Güte Gottes und seine Strenge!

Die Strenge gegen jene, die gefallen sind,
Gottes Güte aber gegen dich, sofern du in seiner Güte bleibst;
sonst wirst auch du herausgehauen werden.

Ebenso werden auch jene,
wenn sie nicht am Unglauben fest halten, wieder eingepfropft werden;
denn Gott hat die Macht, sie wieder einzupfropfen.

Wenn du aus dem von Natur wilden Ölbaum herausgehauen und gegen die Natur
in den edlen Ölbaum eingepfropft wurdest,
dann werden erst recht sie als die von Natur zugehörigen Zweige
ihrem eigenen Ölbaum wieder eingepfropft werden.

Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt.

Und wie ihr einst Gott ungehorsam wart,
jetzt aber infolge ihres Ungehorsams Erbarmen gefunden habt,
so sind sie infolge des Erbarmens, das ihr gefunden habt, ungehorsam geworden,
damit jetzt auch sie Erbarmen finden.

Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen.

Wort des lebendigen Gottes. - Dank sei Gott!

Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus (Mt 15, 21-28)

In jener Zeit 21zog Jesus sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück.

22Da kam eine kanaanäische Frau aus jener Gegend zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält.

23Jesus aber gab ihr keine Antwort.

Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Befrei sie von ihrer Sorge, denn sie schreit hinter uns her.

24Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.

25Doch die Frau kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir!

26Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzu­werfen.

27Da entgegnete sie: Ja, du hast Recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brot­resten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.

28Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.

Predigt von Monika Rohs-Dressel

Wir haben gerade das Evangelium gehört:

Jesus geht also in heidnisches Gebiet. Es kommt eine kanaanäische Frau, das heißt eine nichtjüdische Frau. Sie kommt und schreit: „Erbarme dich meiner, Sohn Davids. Meine Tochter ist von einem Dämon besessen.“

Fridolin Stier übersetzt: „Von einem Aber-Geist besessen“ – Aber-Geist für das Wort Dämon. Ein Geist, der verneint, der vielleicht das ganze Leben verneint.

Sohn Davids“ ruft die Frau, sie benutzt einen jüdischer Begriff, der Messias als Sohn Davids, als ein Nachkomme von König David. Eine nichtjüdische Frau, die aber „Sohn Davids“ sagt -

Und Jesus – antwortet ihr nicht.

Dann die Jünger, sie sagen: “Schick sie weg, sie schreit hinter uns her.

Und Jesus:

Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“ Ich bin nur für Israel da, für das auserwählte Volk, nicht für die heidnischen Völker. – Das ist sein Auftrag, seine Mission. Der Messias kommt für Israel.

Aber die Frau bleibt dran: „Herr, hilf mir.

Herr, Kyrios. Herr, erbarme dich. Kyrie eleison. So, wie wir es auch in jedem Gottesdienst sagen.

Und trotzdem: Jesus bleibt dabei, er ist nur für Israel da: „Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und es den Hunden hinzuwerfen“.

Die Frau: Sie bleibt immer noch dran, lässt sich nicht abschrecken, sie nimmt diesen Gedanken sogar auf und argumentiert: "Ja, Herr! Aber auch die Hunde essen von den Brotkrumen, die von den Tischen ihrer Herren fallen.“ Wieder dieses „Herr“, Kyrios.

Und dann reagiert Jesus ganz nah, ganz zugewandt, heilend: „Frau, dein Glaube ist groß. Es geschehe wie du willst.

Und die Tochter ist geheilt. Jetzt geschieht das Heilungswunder, jetzt die Zusage: dein Glaube ist groß, dein Vertrauen ist groß.


Mich fasziniert diese Frau.

Sie wagt sich zu Jesus, obwohl sie ja weiß, dass sie nicht jüdisch ist, dass sie eine Frau ist. Lauter No-Gos. Eine Frau, die einen jüdischen Rabbi anspricht. Und dann noch eine nichtjüdische Frau.

Aber sie überwindet alle diese gesellschaftlichen, alle diese religiösen Grenzen. In ihrer Not, ja in ihrer Liebe zu ihrer Tochter, lässt sich nicht abbringen, sie bleibt dran.

Drei Anläufe: „Sohn Davids“, „Herr, hilf mir“, „Ja, Herr“.

Und sie sagt diesen so merkwürdig anmutenden Satz: „Aber auch die Hunde essen von den Brotkrumen, die von den Tischen ihrer Herren fallen.

Das heißt ja: Jesus, du musst mir nicht das ganze Brot geben, es reichen die Krümel, schon ein ganz kleines bisschen wird meine Tochter heilen. Es reicht, was beim Essen von alleine vom Tisch fällt.

Was für ein Vertrauen.

Dieses drängende Gebet erinnert uns vielleicht an andere Geschichten in der Bibel. Zum Beispiel an Abraham, wie er für die Stadt Sodom betet und Gott bittet, sie zu verschonen: „Wenn sich 50 Gerechte finden, wenn sich vielleicht nur 45 Gerechte finden, 40 Gerechte.“ Er handelt Gott herunter bis zu: „Wenn sich 10 Gerechte finden, dann verschone diesen Ort.

Oder das Gleichnis von der bittenden Witwe im Lukasevangelium: Der Richter ist von ihrem ständigen Bitten so genervt, dass er ihr gibt, was sie sich wünscht. Jesus sagt dazu: „Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern?

Wir dürfen so drängend beten, so intensiv, ja, in gewisser Weise so fordernd.

Und Jesus, Gott, wird antworten.

Wir sagen häufig: „Gott erhört unser Gebet.

Wenn man in die Einheitsübersetzung von 2016 schaut, dann ist der Satz „Gott, du hast mich erhört“ jetzt häufig übersetzt mit „Gott, du hast mir Antwort gegeben“.

Ich finde diese Formulierung sehr tröstlich. Bei „Gott hat mich erhört“, denke ich schnell an: Gott hat mir meine Wünsche erfüllt, meine Bitten erfüllt.

Aber wir wissen alle: das muss nicht so sein.

Aber eine Antwort, eine Reaktion, die ist mir versprochen.

Die Frau im Evangelium ermutigt uns, uns immer wieder an Gott zu wenden, mit ihm zusprechen, mit Bitten und mit Fürbitte füreinander dran zu bleiben. Zu vertrauen, dass Gott Antwort gibt.

Ein anderer Aspekt:

Wir können einmal versuchen, das Ganze aus der Sicht der Jünger zu sehen. Da kommt also eine kanaanäische Frau. Und erst reagiert Jesus so, wie die Jünger es erwarten: Er betont seine Sendung nur für Israel – und dann:

Es wandelt sich etwas in dieser Geschichte, am Ende heilt Jesus die Tochter.

Jesus überschreitet hier Grenzen: Er wendet sich einer Frau zu und redet mit ihr auf Augenhöhe – eigentlich undenkbar für einen jüdischen Rabbi. Und er wendet sich einer nichtjüdischen, heidnischen Frau zu und heilt. Sein Auftrag wird weiter – für alle Völker.

In der Basis-Bibel ist das Kapitel des Matthäusevangeliums, in dem unsere Geschichte steht, so überschrieben: Jesus wendet sich den Völkern zu.

Im Verlauf des Matthäusevangeliums passiert eine Öffnung der frohen Botschaft hin zu allen Völkern. In einigen Kapiteln davor ist es der Hauptmann von Kafarnaum, ein Römer, der um Heilung für seinen Diener betet. Nach der Kreuzigung ist es bei Matthäus wieder ein römischer Hauptmann, der das große Bekenntnis ausspricht: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.

Und dann am Ende des Matthäus Evangeliums: „Darum geht und macht alle Völker zu meinenJüngern.“ Alle Völker, das sind eben auch wir.

Das Heil, die Erlösung, wird geöffnet für die Heiden. Gott ist für die ganze Welt da.

Auf heute übertragen kann ich mich fragen: Wo darf meine Sicht des Glaubens weiter werden, wo darf mein Gottesbild sich weiten, wo darf ich mich lösen von engen Vorstellungen?

Gott ist immer der ganz andere, der viel größere, der alle unsere eigenen Bilder und Vorstellungen übersteigt.


Und noch ein letzter Gedanke:

Frau, dein Glaube ist groß“, sagt Jesus.

Ist das nun eine Aufforderung, sich selber den geistlichen Puls zu messen? Sich selber zu fragen: „Wie groß ist denn mein Glaube? Würde Jesus auch zu mir sagen: Dein Glaube ist groß? Oder ist er viel zu klein, ist er zu armselig?

Ich denke, dieses Fragen bringt uns nicht weiter.

Wir dürfen einfach bei dem bleiben, was die Frau tut. Zu Gott, zu Jesus sagen: Herr, hilf mir. Herr, erbarme dich. Kyrie eleison.

Das ist alles und dasreicht aus.

Keine Hochleistung an Vertrauen ist notwendig, ja, gar keine Leistung von Glauben. Nur ganz schlicht: Herr, erbarme dich.

Und Gott wird antworten und uns in die Weite führen,

in Gnade führen,

in seinen Schalom.

Amen.

17

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August

2023

Hl. Klara von Montefalco OSA

Bruder Jeremias OSA

Heilige Messe zum Fest der hl. Augustinerin Klara von Montefalco 2023

Predigt: Br. Jeremias M.Kiesl OSA; Musik: Sabine Lindner

in der Brunnenkirche zu Erfurt am 17. August 2023

Fotos: Matthias (Montefalco, Münnerstadt), Franka, Sabine

© Augustinerkonvent St. Martin von Tours | Erfurt 2023