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July

2023

Das Gleichnis Jesu vom Sämann (Mt 13,1-9)

Bruder Jeremias OSA

Eingang

+ Jesus Christus, Wort und Brot des Lebens, sei mit euch!

Wir Menschen erleben die selben Dinge oft ganz verschieden. Was den einen ergreift und tief bewegt, lässt einen anderen völlig kalt – und umgekehrt.

So ist es auch mit dem Wort Gottes. Manche lassen sich von Jesus ergrei­fen und stellen ihr Leben ganz auf ihn ein. Ande­ren ist er kein Gedanke (mehr) wert. Sie haben und finden keinerlei Beziehung zu ihm.

Auch in uns selber können wir diese Erfahrung ma­chen. Was wir schon unzählige Male gehört oder überhört haben, das trifft uns eines Tages zutiefst. Es geht unter die Haut. Was im­mer abgeperlt ist an uns – nun bringt es uns in Bewegung: Wie wird uns heute das Wort Gottes, so alt und so neu, treffen? Wird es an uns abgleiten? Findet es den Weg in unser Herz?

Soweit es an uns liegt, wollen wir uns öffnen für die Begeg­nung mit IHM. Darüber hinaus bitten wir den HERRN, dass er selber alle Hindernisse aus dem Weg räume und uns Sein Erbarmen schenke.

Kyrie
Predigt

Im Zeitalter der Selbstoptimierer ist die Parabel Jesu, die wir gerade gehört haben, kaum zu ertragen. Drei Umstände beschreibt Jesus, in denen nichts herauskommt: Das wertvolle Saatgut fällt auf den Weg – und wird von den Vögeln weggepickt; es fällt auf den Felsen, – und kaum aufgegangen, versengt es die Sonne; es fällt unter die Dornen, die viel schneller aufschießen – und das Korn ersticken.

Es wäre zum Verzweifeln, wenn es da nicht doch noch gute Erde gäbe, die das Korn wachsen und gedeihen lässt, die eine reiche Ernte hervorbringt, nicht überall gleich, sondern auch hier sehr differen­ziert, 100- / 60- / 30-fach, damit aber so, dass man am Ende nicht mehr fragen muss, warum der Sämann nicht sorgfältiger auf den Boden geachtet habe.

Ja, der Mann ist Spezialist: Er sät lediglich. Es ist nicht der Bauer, der den Boden vorher bestellt und nachher hegt und pflegt. Der Sämann geht seiner einzigen Aufgabe nach: zu säen. Das heißt mit den Mit­teln der Zeit Jesu eben schlicht und ergreifend: mit ausholenden Be­wegungen über das Feld schreiten und das Saatgut im weiten Bogen loslassen.

Vincent van Gogh hat den Sämann im Jahr 1888 öfter gemalt. Am eindrücklichsten sind die Bilder, in denen er bei Sonnen­unter­gang über den Acker schreitet, das Saatgut in der Schürze ans Herz ge­presst, hinter seinem Kopf die große, sinkende Sonne. Als müsse er gegen die drohende Dunkelheit ansäen!

Das ist für mich wie eine Illustration: Gegen die Angst, gegen die Dunkelheit, hilft nicht das Festhalten dessen, was du hast. Es hilft das Loslassen im Säen dessen, was wachsen soll! Es ist ein Bild, das aus dem Leben und für das Leben kommt. Das Gute wächst, indem du es tust, indem du es nicht berechnend dosierst, hier ein klein we­nig und dort ein bisschen, weil du ja so gut rechnen kannst. Es gilt das Gute großzügig auszusäen, bevor die Sonne sinkt.

Der Sämann rechnet nicht. Er lässt sich nicht entmutigen, dass es Stellen auf dem Acker gibt, die am Ende keinen Ertrag zeitigen wer­den. Das ist so. Aber deshalb innezuhalten oder gar aufhören? Das kommt nicht in Frage!

Viele säen die Angst: Es reicht nicht für alle. Wir können nicht allen helfen. Die Grenzen Europas müssen noch dichter werden. Es gibt genug Not im eigenen Land. Oder auch die Kirche: Wir kümmern uns nur noch um die, die zu uns gehören. Der Staat muss sich um die an­deren selbst kümmern… Das hat eine bestechende Logik.

Aber es ist nicht die Logik des Lebens. Es ist erst Recht nicht die Lo­gik Jesu. Das müssen wir uns zumindest klar machen, wenn wir uns fürdas Rechnen entscheiden. Jesus lehrt uns eine Logik des Lebens, die verschwenderisch und vertrauend ist.

Mein Leben besteht nicht nur aus den Dingen, die mir etwas brin­gen,bei denen etwas heraus­springt. Leben ist viel mehr, als der blo­ße Erfolg. Zum Le­ben gehört auch der Misserfolg, die Krankheit, das Scheitern, der Tod. Davor kann sich niemand 100%-ig schützen. Das alles kann man nicht weg rationalisieren.

Ich kann nicht ständig unter Strom stehen, nicht ständig unter Er­folgszwang, nicht ständig unter Druck. Die Ferien­zeit hat nun begon­nen. Wie froh bin ich um die Zeiten, die frei sind vom Erfolgsdruck! Wie froh bin ich auch über das heutige Evangelium, das mir ein we­nig vom Druck nimmt, erfolgreich sein zu müssen.

In weitem Bo­gen wirft der Sämann den Samen aus, scheinbar ohne jede Berechnung. Dreimal fällt der Same auf schlech­ten Boden und ver­dirbt. Dreimal! Erst der vierte Teil bringt endlich Wachstum.

So mag es dem Wort Gottes auch bei mir oft ergehen. Es trifft mich, und der Alltag, dieser flatterhafte Vogel, pickt es fort, ohne dass die­ses Wort bei mir eine Wirkung entfalten konnte. Oder ich bin für ei­nen Gedanken Feuer und Flamme, bin gepackt vom Wort Gottes, um dann doch so weiter zu leben wie bis­her. Oder das Wort Gottes fällt in meine Dornen, zwischen die vielen Dinge, die sich so furcht­bar wichtig machen – und alles andere ersticken.

Jesus erhebt nicht den moralischen Zeigefinger. Er macht mir keinen Druck. Er tröstet mich vielmehr: Ja, das ist oft so, dass die Alltagssor­gen wie ein dicker Mantel von den Sonnenstrah­len des Wortes Got­tes abschirmen. Jesus lehrt uns das Vertrauen in die Kraft des Wachstums und auf die überfließende Gelas­senheit Got­tes.

Was schließlich auf guten Boden fällt, bringt Frucht. Ich habe gele­sen, dass das Gleichnis kaum übertreibt. Ein Samenkorn Roggen lässt etwa 40 neue wachsen, Wei­zen ca. 50 und Gerste bis zu 60 Kör­ner. Eine einzelne Reis­pflanze bringt sogar bis zu 3000 Reiskörner hervor.

Wir Christen dürfen als Menschen leben, die nicht ständig unter Er­folgsdruck stehen, sondern die auch mit dem Wenigen und trotz al­lem Frucht bringen. Erfolg ist kein Name Gottes. Auch bei größter Anstrengung wird es kaum einem Menschen je gelingen, für Gottes Wort immer offen und empfänglich zu sein. Aber immerhin: Wir ha­ben alle Ohren! Halten wir sie uns nicht zu!

Dann dürfen wir gut und gern vertrauen, dass Gott dennoch eine rei­che Ernte wachsen lässt. Roger Schutz, der Gründer der ökumeni­schen Gemeinschaft von Taizé, hatte recht, als er den Rat gab: „Ver­wirkliche das vom Evangelium, was du heute verstanden hast – und sei es noch so wenig.“ Bei Gott ist es nicht zu wenig. Er schenkt uns die reiche Ernte.

Das heutige Evangelium mag uns auch trösten und davor bewahr­en, ins Jammern zu verfallen. Sicher, in unserem Land nimmt die Zahl der Christen rapide ab: neuer Austrittsrekord im letzten Jahr... Längst gehören Sie zur Minderheit, die der Einladung des HERRN an Seinen Tisch des Wortes und des Sakramentes folgt. Jahr für Jahr suhlen wir uns in den erschreckenden Zahlen und haben so al­len Grund zur Klage. Eine Trendwende ist längst nicht in Sicht.

Jesus aber denkt offenbar nicht so. Er weiß, dass sein Wort von den Vö­geln – um im Bild des Gleichnisses zu bleiben – gefressen, von der Sonne versengt und von den Dornen erstickt wird. Er weiß aber auch, dass sein Wort immer wieder fruchtbaren, guten Boden findet. Er weiß, dass oft innerhalb der eigenen Fa­milie die­ser „Acker­boden“ sehr unterschiedlich beschaffen sein kann. Er weiß aber auch, dass die wenigen Samenkörner sehr reiche Frucht bringen können, wenn es guter Ackerboden ist, der sein Wort aufnimmt.

Trotz der desolaten Lage unserer Kirchen passiert es, dass Menschen neu beginnen, ihren Glauben zu leben. Es gibt noch immer Men­schen, die um die Taufe bitten. Aus welchen Gründen? Nicht, weil sie uns so toll finden. Oft sind es Ereignisse, die wir nicht „machen“ können. Gott scheint selbst im Spiel zu sein und auch heute im Spiel zu bleiben, dass Menschen ihrer Sehnsucht nach Mehr wieder Raum geben. Dann kann er sich finden lassen. Noch immer sät Jesus unverdrossen sein Wort aus.

In der Nachfolge Jesu werden auch wir zu Säh-Leuten. Wir sind nicht die Bauern, die das ganze Handwerk der Feldbestellung und des Düngens verstehen. Wir sind berufen, wie Christus zu säen. Er hat uns das wertvolle Saatgut anvertraut. Ich möchte es an mein Herz drücken, aber dann doch in weitem Bogen wieder loslassen. Nur so kann es ja Frucht bringen.  

Das ist unser Auftrag: Versuchen wir, guter Ackerboden für das Wort des HERRN zu sein. Strengen wir uns an mit aller Kraft, die wir ha­ben. Doch vertrauen wir noch viel mehr als auf unsere Anstren­gung auf das Wunder des HERRN, der nicht rationali­siert oder Erfolgsbi­lanzen schmiedet, sondern der noch im­mer im weiten Bogen sein Wort für uns und für alle Menschen unseres Landes aussät.

Vertrauen wir auf den HERRN, der bei uns und in seiner weltwei­ten, globalisierten Kirche auf wenig gutem Ackerboden eine reiche Ernte wachsen und gedeihen lässt – für uns und für alle!

Repetenten

von Christine Busta

Inder Schule des Lebens
sind wir meistens nur Repetenten.

Aberdie Sitzenbleiber
lernen allmählich
mehr verstehn als die Aufsteiger,
die nichts als wissen.

Aus: Christine Busta.Gedichte. Der Himmel im Kastanienbaum.
Otto Müller VerlagSalzburg 1989.

13

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July

2023

Weihetag der Kirche zum Heiligen Brunnen

Bruder Jeremias OSA

Einführung

+ Jesus Christus gibt uns zu trinken vom Wasser des Lebens. ER sei mit euch!

Tatsächlich wissen wir das genaue Datum, an dem diese Kirche geweiht wurde. Deshalb können wir heute Abend den Weihetag der Brunnenkirche feiern.

Sie wurde zur Sühne gestiftet, wegen des Hostienfrevels der beiden Diebe, die im 13. Jahrhundert den Inhalt des gestohlenen Ziboriums aus der Martinikirche auf dem Fischmarkt in die Gera hier im Fischersand geworfen hatten. Diese Geschichte erzählen die fünf Gemälde, die seit einigen Monaten nun wieder restauriert in der Brun­nenkirche hängen.  

Unsere Kirche wurde an der Stelle des „Heiligen Brun­nens“ gebaut, der angeblich schon in vorchristlicher Zeit ein Quell-Heiligtum war. So liegt auch die Vermutung na­he, dass an dieser Stelle Bonifatius Erfurt getauft hat.

Unsere Feier der Kirchweih ist also eine Erinnerung an die Taufe. Auch wir wurden eigetaucht in das Leben, das uns in Christus geschenkt ist. Aus dieser Sehnsucht nach dem Strom lebendigen Wassers sollen wir leben, uns er­neu­ern lassen, Kirche werden: Erwählte in Christus, Sein lebendiger Leib, Seine Hoffnung für diese Welt.

IHN, der uns in seine Kirche berufen hat, begrüßen wir: (Kyrie) 

Lesung aus dem Buch Genesis 29,1-20: Brautwerbung um Rahel am Brunnen

Jakob machte sich auf und zog ins Land der Söhne des Ostens.

Als er aufsah, siehe, da war ein Brunnen auf freiem Feld. Und siehe, da lagerten drei Herden von Schafen und Ziegen; denn aus dem Brunnen tränkte man die Herden. Ein großer Stein lag über der Brunnenöffnung. Wenn sich dort alle Herden eingefunden hatten, wälzte man den Stein von der Brunnenöffnung und tränkte das Vieh. Dann schob man den Stein wieder zurück an seinen Platz über der Brunnenöffnung.

Jakob fragte die Leute dort: Meine Brüder, woher seid ihr? Sie sagten: Wir sind aus Haran. Da sagte er zu ihnen: Kennt ihr Laban, den Sohn Nahors? Ja, wir kennen ihn, antworteten sie. Er fragte sie: Geht es ihm gut? Sie entgegneten: Ja, es geht ihm gut. Aber da kommt gerade seine Tochter Rahel mit den Schafen und Ziegen.

Da sagte er: Seht, es ist noch mitten am Tag und nicht die Zeit, das Vieh zusammenzutreiben. Tränkt doch die Schafe und Ziegen, dann geht und weidet weiter! Da sagten sie: Das können wir nicht, bevor nicht alle Herden sich eingefunden haben. Erst dann wird man den Stein von der Brunnenöffnung wegwälzen und die Schafe und Ziegen tränken.

Während er sich noch mit ihnen unterhielt, war Rahel mit den Schafen und Ziegen, die ihrem Vater gehörten, eingetroffen; denn sie war Hirtin. Als Jakob Rahel, die Tochter Labans, des Bruders seiner Mutter, und die Schafe und Ziegen Labans, des Bruders seiner Mutter, sah, trat er hinzu, wälzte den Stein von der Brunnenöffnung und tränkte die Schafe und Ziegen Labans, des Bruders seiner Mutter. Dann küsste Jakob Rahel, erhob seine Stimme und weinte. Jakob eröffnete Rahel, dass er ein Bruder ihres Vaters und der Sohn Rebekkas sei. Da lief sie weg und erzählte es ihrem Vater.

Als Laban die Nachricht von Jakob, dem Sohn seiner Schwester, hörte, lief er ihm entgegen; er umarmte und küsste ihn und führte ihn in sein Haus. Jakob erzählte Laban die ganze Geschichte. Da erwiderte ihm Laban: Du bist wirklich mein Bein und mein Fleisch.

Als Jakob etwa einen Monat bei ihm geblieben war, sagte Laban zu Jakob: Bist du nicht mein Bruder? Sollst du mir umsonst dienen? Sag mir, welchen Lohn du haben willst! Laban hatte zwei Töchter; die ältere hieß Lea, die jüngere Rahel. Die Augen Leas waren matt, Rahel aber war von schöner Gestalt und von schönem Aussehen. Jakob hatte Rahel lieb und so sagte er: Ich will dir um die jüngere Tochter Rahel sieben Jahre dienen. Laban entgegnete: Es ist besser, ich gebe sie dir als einem anderen. Bleib bei mir!

Jakob diente also um Rahel sieben Jahre. Weil er sie liebte, kamen sie ihm wie wenige Tage vor.

Antwortpsalm
+ Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes (7,37-39).

Am letzten Tag des Festes, dem großen Tag, stellte sich Jesus hin und rief: Wer Durst hat, komme zu mir und es trinke, wer an mich glaubt! Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen.

Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.

Predigt

Jakob ist ein betrogener Betrüger. Wir erinnern uns: Er hatte seinen Bruder Esau übers Ohr gehauen und mithilfe seiner Mutter Rebecca den blinden Vater Isaak getäuscht und den Segen des Erstgeborenen von ihm ergaunert. Die Reise nach Haran zu seinem Onkel Laban war also nicht nur ein Fahrt zu einem entfernt lebenden Teil der Familie, den man halt mal kennenlernen möchte. Es war auch eine Flucht, Hals über Kopf.

Ausgerechnet am Brunnen trifft Jakob, der Gauner, zum ersten Mal seine große Liebe, Rahel, die Schöne, in die er sich Hals über Kopf verliebt. Die Schreiber der Geschichte Jakobs belassen es aber nicht beim Beschreiben der attraktiven Vorzüge Rahels – eigentlich stellen sie ihre Schönheit ziemlich lapidar fest – sie betonen an einer Stelle, dass sie eine Hirtin sei.

Wir sind inzwischen schon etwas geübt. Immer wenn das Wort Hirte im Ersten Testament auftaucht, hat das einen Bezug zu der Beziehung zwischen dem Heiligen Volk und seinem göttlichen Hirten. Wenn also Rahel uns gleich zu Beginn als Hirtin vorgestellt wird, dann ist auch klar, dass sie die ist, die dafür bestimmt ist, an der Seite Jakobs zu leben. Sie bringt sozusagen die wichtigste Grundeigenschaft mit, die sie als Stammmutter braucht.

Auch Jakob ist ganz entschieden: Die oder keine! Das ist ihm sofort klar. Er ist bereit, seinem Onkel um Rahel ganze sieben Jahre lang zu dienen.Und die Bibel sagt den schönen Satz: „Weil er sie liebte, kamen sie ihm wie wenige Tage vor.“ Das schafft nur die Liebe.

Die Bibelfesten unter uns wissen freilich, dass die Geschichte nicht so glatt läuft. Jakob wird von seinem Onkel betrogen. Nach der Brautnacht muss er feststellen, dass ihm die ältere Schwester untergeschoben wurde, Lea, um die er gar nicht geworben hatte.

Lassen wir – auch wenn es schwer fällt – beiseite, dass hier Männer unter sich ausmachen, welche Frau wofür bestimmt ist. Das ist für uns völlig inakzeptabel. Wie es Lea wohl ergeht, wenn sie immer nur die Häßliche und die Zurückgesetzte ist? Danach wird auch nicht gefragt. Furchtbar.

Aber es gibt in dier Erzählung doch so einiges, was vielleicht auch unsere Erfahrungswelt berührt. Jakob prescht in einer Haltung ins Leben, als müssten alle zur Seite springen, wenn er kommt. Er ist ziemlich rücksichtslos, der Liebling seiner Mutter, und er macht sich keine großen Gedanken über Recht und Unrecht.

Am Brunnen scheint schon wieder alles bestens zu Laufen. Kaum sitzt er da und schwatzt mit den Hirten, da kommt schon seine Schöne daher, und jetzt schnell geheiratet. In diesem Tempo könnte es weitergehen.

Der Brunnen, der Ort des Lebens und der Zukunft, die verheißungsvoll vor einem liegt, der Ort der Brautwerbung und aller Sehnsucht nach Glück und einem gelungenen Leben… Sehnsucht nach Leben! Wasser des Lebens, Leben…

Doch diese Sehnsucht wird nicht gerade billig erfüllt. Unsere Träume liegen zwar obenauf, aber ihre Erfüllung kostet oft harte Arbeit. Sieben Jahre muss Jakob hart arbeiten, als Schafhirte draußen in Wüste und Steppe, unter der heißen Sonne und in kalten Nächten, allein mit seiner großen Sehnsucht.

Wir sehnen uns nach dem erfüllten Leben – und wir kommen mit dieser Sehnsucht hierher zum Brunnen. Aber das hier ist kein Schnellimbiss. Das Brot, das uns hier gereicht wird, ist ein hartes Brot. Es bedeutet Arbeit und Mühe zu leben. Heute in dieser Welt zu leben.

Und doch hält der (verborgene) Brunnen unsere Sehnsucht wach. Wir kommen immer wieder hierher. Und wenn die anderen da sind, dann kann es geschehen, dass wir einander den Brunnen aufdecken, damit alle trinken können: von der Musik, die hier erklingt, vom Wort, das uns zugesprochen wird, vom Sakrament, das uns gereicht und eingeschenkt wird, vom Ringen um wichtige Fragen, von der guten Geste, die uns jemand schenkt ein Lächeln oder ein Satz, der uns nährt für den Weg, den wir noch gehen müssen. Sieben lange Jahre in der Sehnsucht – und doch nicht ohne Speis und Trank.

Vielleicht ist es aber auch anders. Wir starteten einst in unser Leben voll Sehnsucht, dass es uns zu Füßen liege und wir schier alles erreichen, wenn wir es nur wollen. Dieser Tage kann man das wieder aller Orten hören, wenn Schulabschlüsse gefeiert werden.

Mir geht es inzwischen so, dass mir da oft richtig schlecht wird. Ich fürchte, wir lügen den jungen Menschen etwas vor, wenn wir mit einstimmen. Wesentlicher ist für mich, je älter ich werde, dass ich die Sehnsucht Gottes spüren darf. Und besonders spüre ich sie hier an diesem Ort. „Die Sehnsucht Gottes ist der lebendige Mensch“, so hat es Augustinus einmal formuliert.

Jesus sitzt am Brunnen. Er wartet auf uns. Er hat seine Tiefe geöffnet, um uns zu tränken mit seinem lebendigen Wasser. Wie die Frau am Jakobsbrunnen werden wir hier mit unserem Leben konfrontiert – gerade auch durch die Heilige Schrift. Aber wir rennen nicht gleich fort, sondern sind fasziniert: Ich werde erkannt von dem, der da am Brunnen sitzt und uns anspricht. Und das ist nicht mehr unangenehm, sondern wunderschön. Jesus kennt mich und liebt mich trotzdem. Er hat eine Hoffnung über das hinaus, was ich ersehnen und mit wünschen kann. Er lockt mich und uns mit seinem Leben. Er ist der Bräutigam…

Kommt und trinkt an seiner Quelle! „Wer Durst hat, komme zu mir und es trinke, wer an mich glaubt! Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen.“ Kommt und trinkt! Bringt auch die mit, die dürsten nach dem Leben. Christus sitzt am verborgenen Brunnen. Er hat ihn für uns geöffnet! Amen.

8

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July

2023

Unterm Joch - quicklebendig! Moonlightmass mit Jazz in der Brunnenkirche

Bruder Jeremias OSA

Einführung (Nicole)

"Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht", sagt Jesus. Wie ist das eigentlich möglich? Wie kann eine Last leicht sein und ein Joch sanft?

Ich vermute, Sie alle wissen, was ein Joch ist. Es ist dieser schwere Holzbalken, den sich jemand über die Schulter legt, um etwa zwei Eimer Wasser besser als in der Hand tragen zu können. Ein Joch ist ebenso für ein oder zwei Tiere gedacht, vielleicht Ochsen, damit große Lasten, ein Wagen oder ein Pflug, gezogen werden können.

Jesus sagt, dass seine Last leicht sei. Er hat ein sanftes Joch… Kann das sein? Unser Leben ist oft alles andere als leicht...

Unsere Erfahrung lehrt uns: Das Leben, das wirklich etwas von uns will und das uns mit Aufgaben und Herausforderungen begegnet, die wir nur schwer erfüllen können, so dass wir alle Kräfte mobilisieren müssen - ein solches Leben ist andererseits auch besonders lebendig und intensiv - und wohl auch sinnvoller und tiefer, als das leichte, sorglose Leben, wo es keine Rolle spielt, ob wir da sind oder nicht.

Das Dasein kann unerträglich leicht sein. - Das Joch zu tragen kann dagegen sehr anstrengend sein…

Willkommen zur Moonlightmass mit Jazz! Heute spielt für uns Ulrich Thiem auf dem Cello. Seine Musik hilft uns über Jesu Wort nachzudenken.

Stellen wir uns gemeinsam unter den Namen Gottes:

+ Der HERR, dessen Last leicht ist und dessen Joch nicht drückt, sei mit euch!

Impuls I (nach dem Evangelium; Nicole)

Ich bin am Bild des Jochs hängen geblieben. Nicht ohne Grund spricht man davon, Menschen zu unterjochen, wenn man Ihnen eine große Last auferlegt und sie so fest einspannt, dass sie kaum mehr Freiheit haben.

Und das Bild vom Joch macht mir Schwierigkeiten, wenn Jesus zu uns sagt: Nehmt auf euch mein Joch. So wie ich mir Gott und Jesus vorstelle, passt das nicht zu meinem Bild von einem Joch. Ich möchte nicht UNTERJOCHT werden. 

Ich versuche, Evangelium und Joch zusammen zu bringen. Die Last die Christus uns abnehmen will und die Last, die wir in der Nachfolge annehmen sollen. Vie­les belastet uns in unserem Leben schwer, drückt nieder, erdrückt vielleicht sogar.

* physische und psychische Krankheiten und Gebrechen, die uns die Freude am Leben nehmen;

* der Abschied von einem Menschen, mit dem auch ein Stück von uns stirbt;  

* vergiftete Konflikte in den Familien oder im Beruf;  

* oder viele andere, belastende Situationen, welchen Namen sie auch immer tra­gen mögen. 

Bei all solchen Lasten steht Gott uns bei. Er hilft uns tragen, was uns zu schwer ist. Er will uns neue Kraft und Lebensmut geben. Wie bei einer langen Wande­rung: den schweren Rucksack für einen Moment vom Rücken nehmen, atmen und sich ERHOLEN.

Aber natürlich gibt es Lasten, die so schwer und so massiv sind, dass sie den Bo­den unter uns wegreißen und wir den Mut zu verlieren drohen. Es gibt Lasten, die wir niemandem wünschen. Lassen wir uns in eine rechte Beziehung zu diesen Lasten bringen.

Und wenn ich alle meine Kräfte darauf verwende, mich von der Last zu befreien, Schuld abzulegen oder den Schwierigkeiten.… - ja dann zeigt sich in der Regel, dass die Last, die Trauer, oder die Schuld mich dennoch einholt und noch schwe­rer zu tragen ist als zuvor.

Christus lädt uns ein, die Last auf ihn zu werfen. Er hilft tragen. Er schenkt uns selbst im Leiden ein Leichtigkeit und Freude, die nicht mehr nur aus uns allein kommt. So können wir – trotz allem - mit diesem wunderbar bewegten und oft so schwierigem Leben ringen, ohne zu zerbrechen.

Nehmt auf euch mein Joch, sagt Jesus, so werdet ihr RUHE finden für eure See­len. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.

Das Joch der Liebe ist zugleich schwer und sanft. Wenn wir uns selbst voll geben, dann erfahren wir nur den Schmerz und die tiefe FREUDE. Die gute RUHE ist nicht der Freiplatz außerhalb dieses Lebens, sondern da wo wir das Leben mitein­ander und mit Gott leben!

Impuls: Dialog zwischen Hieronymus und Jeremias (Stichpunkte)

H: Wieso preist Jesus den Vater, weil er etwas den Weisen und Klugen verborgen und den Unmündigen geoffenbart hat. Was ist damit gemeint. Ich fand das immer gut klug und weise zu sein.

Jer: Gott kann man nicht wirklich verstehen; die Klugen denken, sie können alles lösen.

H: Jesus und der Vater haben also eine besondere Beziehung. Da ich weder Vater noch Sohn bin, muss ich hoffen, das Jesus mir Gott offenbart. Ist nicht Offenbarung auch eine Art Wissen?

Jer: Ja, aber ein Wissen des Herzens, das für die Vernunft nicht erreichbar ist

H: Wir müssen also auf Gott vertrauen. Unser Joch unseren Alltag können wir nicht abschütteln

Jer: Von Jesus lernen, er ist gütig, demütig und  bringt uns Ruhe für die Seele

H: Mein Joch und dann doch sein Joch. „iugum“ heißt das Joch im Lateinischen für Ehe - „coniugium“ bedeutet dann unter einem Joch vereint. Kannst Du mir das mal erklären?

Jer: Ochsengespann - gemeinsam einen Rhythmus finden...

H: Mit Erquickung kann ich nichts anfangen, was bedeutet das?

Jer: Erquickung erklären, wenn uns Gott trägt, dann wird das Joch sanft und die Last leicht: quicklebendig sagen wir...

Ge­danken, die weiter­führen (Nicole)

„Ich bin gütig und von Herzen demütig.“

Einem Menschen, der sich so beschreibt, mag ich mich anvertrauen. Zu ihm mag ich kommen, mit ihm mag ich gehen. Ein im Herzen demütiger Mensch hilf mir, das Leben mit all dem annehmen zu können, was es mit sich bringt. Gerade dann, wenn ich unter der Last zu zerbrechen drohe. Ein sanfter, gütiger Mensch ist ein Hort, wo ich Ruhe finde und erquickt werde – quicklebendig. Zufriedenheit breitet sich in seiner Nähe aus, die mich nach und nach erfüllt und meinen Geist neu ausrichtet. Geborgenheit und Dankbarkeit stärken mich, die kommenden Aufgaben zu meistern.

Seelenruhe bedarf der Erkenntnis: Wir werden von ihr gefunden. Es sind Momente, in denen ich ganz in mir bleibe und zugleich nicht auf mich fokussiert bin. Es wächst ein Friede, eine Ruhe im Innersten, die nicht aus mir kommt, die nicht machbar und auch nicht festzuhalten ist.

Seelenruhe gräbt sich tief in die Seele ein und bleibt in der Erinnerung verfügbar. Wenn Rastlosigkeit und Ärger über das erlittene Schicksal zu mächtig sind, bleibt sie im Verborgenen. Doch sie offenbart sich, wenn wir den Blick von uns weg auf den barmherzigen Gott richten und demütig im Herzen sind.

Sie nimmt die Last nicht weg und das Joch nicht ab, aber sie hilft, all das auszuhalten und anzunehmen. Sie lehrt, sich an Gutem zu erfreuen und stellt das Erlebte in den Lebenshorizont des Himmels.

Seelenruhe findet und offenbart sich allen Menschen, die sich in der Nähe des sanftmütigen Gottessohnes begeben und sich auf ihn einlassen. Keiner kann oder muss sie sich verdienen. Sie wird uns zuteil, wenn uns die Kraft ausgeht, wenn wir nicht mehr wissen, wie es gehen kann, wenn wir der Hilfe bedürfen und wenn wir uns öffnen für Gott.

Jesus Christus, sanft und demütig im Herzen, du weist uns den Weg. Im Vertrauen auf dich finden unsere Seelen Ruhe. In dir begegen wir Gottes unendlicher Liebe. Die Last wird leicht unter deinem sanften Joch.


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June

2023

Fürchtet euch nicht!

Dorothea Höck

Der Geist unseres HERRN Jesus Christus, der die Furcht aus uns vertreibt, sei mit euch!

Jeremia leidet. Der Prophet, der uns wie kein anderer an seinem Innenleben teilnehmen lässt, hört Getuschel und Gezi­schel: Selbst seine „nächsten Bekannten“ entpuppen sich als Gegner. Gott, von dem Jeremia redet, will keiner. Jeremia steht mit ihm ganz alleine da. Dennoch antwor­tet der Prophet auf diese be­drüc­ken­de Erfahrung am Ende mit umso größerem Gott­ver­trau­en.

In so extremer Lage sind wir nicht – Gott sei Dank. Ob­wohl es auch bei uns so scheint, als wolle kaum jemand von diesem Gott hören, in dessen Namen wir uns versammelt haben. Das macht es für viele Christen heute schwer, zu ihrem Glauben zu stehen und gar Zeugnis von der Hoffnung zu geben, die uns trägt.

Wer will schon gern belächelt werden? Wer setzt sich gern dem Spott aus: Du brauchst das halt! Wir aber neh­men unser Leben selbst in die Hand! – Als ob Glauben bedeuten könnte, Ver­ant­wor­tung für sich abzugeben. Im Gegenteil: Nicht nur für sich, son­dern auch für die Welt, in der wir leben, übernehmen wir Verant­wortung – im tätigen Engagement und im Gebet.

Fürchtet euch nicht, euch vor den Menschen zu mir zu bekennen“, so ermutigt uns Jesus Christus, den wir als unseren Herrn in unserer Mitte begrüßen.

Kyrie
  • HERR Jesus Christus, auch wir reden manchmal hinter dem Rücken anderer Menschen, weil uns der Mut zum offenen und klaren Wort fehlt. Dann brauchen wir deine Ermutigung. - Herr, erbarme dich unser.
  • HERR Jesus Christus, du sprichst sündige Menschen auf der Straße an. Deine Liebe kennt kein Versteckspiel. Du sagst, die Wahrheit wird uns frei machen. - Christus, erbarme dich unser.
  • HERR Jesus Christus, wir möchten weder anecken noch aus der Deckung kommen. Nimm uns die Angst. Schenke uns einen neuen Anfang. Lass uns schon heute deine heilende Gegenwart erfahren. - Herr, erbarme dich unser.

Schaut her, ihr Gebeugten, und freut euch; ihr, die ihr Gott sucht: euer Herz lebe auf! (Ps 69,33) – Der HERR hat sich unser erbarmt und das drückende Joch der Sünde, des Kleinglaubens und der Angst von uns genommen. ER führe uns an Seiner Hand in das weite Land seines Friedens. Amen.

Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus (Mt 10,26-33).

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln: Fürchtet euch nicht vor den Menschen!
Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird.
Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet im Licht,
und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet auf den Dächern!

Fürchteteuch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können,
sondern fürchtet euch eher vor dem, der Seele und Leib in der Hölle verderben kann!

Verkauft man nicht zwei Spatzen für einen Pfennig?
Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters.
Bei euch aber sind sogardie Haare auf dem Kopf alle gezählt.

Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.

Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich
vor meinem Vater im Himmel bekennen.
Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.

Predigt

Hört auf, Euch zu fürchten! Fangt an, als Gerettete zu leben!“

Das rief vor 20 Jahren der Politiker und Theologe Wolfgang Ullmann den Menschen zu, die gegen das sogenannte Bombodrom in der Ruppiner Heide protestierten. Aus dem ehemals sowjetischen Truppenübungsplatz wollten die Politiker den größten Bombenabwurfplatz des Landes machen.

Ullmanns Fundament ist die Botschaft des Engels an die Frauen am Grab des Auferstandenen: Fürchtet Euch nicht! Zu den Versammelten sprach er: „Umbringen konnte man Jesus. Besiegen aber nicht. Seither richtet sich seine Aufforderung an alle Welt: Fürchtet die nicht mehr, deren Macht allein darauf beruht, dass sie euch mit dem Tod bedrohen und diese Drohung auch wahr­machen können. Das letzte Wort hat nicht der Tod, sondern das Leben.“

In unserem Evangelium ruft Jesus seinen Jüngern viermal zu: Fürchtet Euch nicht!

Dabei haben sie durchaus Anlass dazu, wie wohl auch die Gemeinde, an die sich der Evangelist Matthäus richtet: Ihre Verfolgung hatte ja schon begonnen.

Unser Evangelium gehört zur Aussendungsrede Jesu. Er bereitet seine Jüngerin­nen und Jünger auf ihre Aufgabe vor und ermutigt sie, sich Mitstreiter und Weggefährtinnen zu suchen. „Ich sende Euch wie Schafe unter die Wölfe“, die warten ja bekanntlich immer auf eine leichte Beute. Es gibt Gründe, sich zu fürchten, sie werden Verfolgungen ausgesetzt sein. Haß und Spott werden sie ernten. Man wird sie foltern und ihnen den Prozess machen und die eigenen Brüder, Väter und Söhne werden sie verraten oder töten,

Und da sollten sie sich nicht fürchten?

Der französische Humanist Michel de Montaigne schrieb während der Glaubenskriege im 16. Jahrhundert: „Wovor ich mich am meisten fürchte, ist die Furcht. Ihre Gewalt übersteigt in der Tat alle anderen Bedrängnisse.“ Wer sich fürchtet, nimmt die mutmaßlichen Übel der Zukunft schon vorweg, als wären sie eingetreten. Die Furcht beginnt, das Denken und Handeln zu beherrschen – sie verändert uns. – Wir beginnen zu vermeiden, wodurch das Befürchtete eintreten könnte. Wir werden zu Sklaven unserer eigenen Vorstellungen.

Davon möchte Jesus seine Jüngerinnen und Jünger befreien.

Fürchtet Euch nicht! Niemand kann die Seele töten. - Doch wie können wir die Furcht überwinden? Hier wird Großes von uns verlangt: Vertrauen können.

Damalige Hörer und Leserinnen erinnern sich vielleicht an den Vers aus dem 23. Psalm: Und wenn ich wandere durchs finstere Tal – durch die Todschattenschlucht, heißt es genau – fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir.“ Wer in der Dunkelheit wandert, sieht seinen Begleiter nicht. Gott erspart uns die Todschattenschlucht nicht. Aber wir können in größter Gefahr auf ihn vertrauen.

Wenn Ihr Euch von der Furcht überwältigen lasst, werdet Ihr zum Spielball derer, die Euch bedrohen. Sie werden Euch für ihre Zwecke missbrauchen. Sie töten Eure Seele. Beispiele dafür haben wir in der gegenwärtigen Welt genug.

Jesus dagegen fordert die Seinen zur Offensive auf: sie sollen sich ins Licht der Öffentlichkeit stellen, ihre Botschaft von den Dächern rufen, statt sich im Dunklen zu verstecken und ihr Licht unter den Scheffel zu stellen.

Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird.“ Die Christliche Botschaft, der christliche Glauben ist kein Geheimkult im Verborgenen. Solche waren damals recht verbreitet. Der neue Glaube muss ins Öffentliche:  „Was euch ins Ohr geflüstert wurde, das verkündigt auf den Dächern.“

Ich habe herausgefunden, dass schon in der frühchstlichen Kirche seit Ambrosius ein Ohrenritual die Taufe einleitete: die Taufe eines Kindes oder Erwachsenen begann damit, dass der Priester die Ohren des Täuflings berührte. Dabei betete er, Gott möge ihm Ohren und Mund öffnen, damit er sein Wort vernimmt und das Gehörte und damit seinen Glauben laut öffentlich bekennt zum Heil der Menschen und zum Lobe Gottes."

Damit ist auch klar: Nicht nur besondere, alle Christinnen und Christen sind dazu berufen, das Evangelium zu verkünden. Da gibt es keine Rangordnung. Jeder und jede ist für Gott gleichermaßen wertvoll. Für alle gilt: Fürchtet Euch nicht. Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge.

Das betrifft vor allem die Kleinen, so schreibt Matthäus an anderer Stelle, als die Jünger sich streiten, wer von ihnen denn nun im künftigen Himmelreich der bedeutendste ist: Niemand wird verloren gehen. (Mt 10,42) Und wer dem in dieser Welt Allergeringsten auch nur einen Becher kalten Wassers zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch: Es wird ihm nicht unbelohnt bleiben.

Dennoch: Die Aufforderung, sich nicht zu fürchten, bleibt eine Zumutung: Sie setzt voraus, dass wir darauf vertrauen, dass am Ende unserer Geschichte mit Gott nicht der Tod, sondern das Leben steht.

Heute werden wir im Anschluss an den Gottesdienst über die Confessio Augustana sprechen. Das war eine Zusammenfassung der bis 1530 entstandenen reformatorischen Lehre, das Ergebnis langer Verhandlungen. Alle wichtigen Reformatoren befanden sich in Augsburg auf dem Reichstag – nur Martin Luther nicht.

Luther durfte das Gebiet der reformationsfreundlichen Fürsten nicht verlassen. So saß er von Mitte April bis Anfang Oktober auf der Veste Coburg fest und war auf die Briefe und Nachrichten der Freunde angewiesen. Er durfte nicht mitreden!! Für ihn waren das lange Ausharren, das Abgeschnittensein von den Weggefährten eine der schwärzestenZeiten seines Lebens. So schrieben sich Melanchthon in Augsburg und Luther in Coburg auch gegenseitig Trostbriefe, denn beide fürchteten sich zwischendurch und verloren zeitweise den Mut.

Luther Briefe an den ewig sorgenvollen Melanchthon sind uns überliefert. Unmittelbar nachdem Luther selbst einen Zusammenbruch hatte, schrieb er an Melanchthon:

Veste Koburg, 27. Juni 1530

Ich hasse ganz außerordentlich Deine elenden Sorgen, von denen Du, wie Du schreibst, verzehrt wirst, und daß sie so in Deinem Herzen herrschen. Das liegt nicht an der Größe der Sache, sondern an der Größe unseres Unglaubens. … Warum marterst Du Dich denn ohne Unterlaß und ohne Unterbrechung so ab? Wenn die Sache falsch ist, so wollen wir sie widerrufen; ist sie aber wahr, warum machen wir den … zum Lügner, der uns befiehlt, ein ruhiges und sorgloses Herz zu haben? … Ich bin auch öfters zerschlagen, aber nicht dauernd. …. Als ob Ihr durch diese Eure unnütze Sorge wirklich etwas ausrichten könntet! Was kann denn der Teufel mehr tun, als daß er uns töte! Was mehr? …. Ich bete gewiss fleißig für Dich und es tut mir leid, daß Du unverbesserlicher Sorgen-Blutegel meine Gebete so vergeblich machst. … Denn wenn wir durch seine Verheißungen nicht aufgerichtet werden – ich bitte Dich, wer anders ist denn schon auf der Welt, den sie sonst angehen sollten?“ (Martin Luther: 1530. Luther-WBd. 10, S. 201 ff.) (c) Vandenhoeck und Ruprecht)

Dabei geht es um nicht weniger als unsere Freiheit: Wir sind aufgefordert, zu bekennen und nicht zu verleugnen. Wir kennen die Geschichte von Petrus. Der war tief gekränkt, als Jesus ihm voraussagte, er würde ihn drei Mal verleugnet haben, bevor der Hahn kräht. „Ich doch nicht!“ Dann, nach der Gefangennah­me Jesu, sitzt Petrus nachts am Feuer vor dem Gefängnis und eine Magd erkennt ihn als einen Freund des Verhafteten. Petrus behauptet zweimal: Ich weiß nicht, wovon Du sprichst. Ich kenne den Menschen nicht.“ Beim dritten Hahnenschrei erkennt er sein völliges Versagen und weint bitterlich.

Auf diesem Versager Petrus baute Jesus seine Kirche auf. Wir können also darauf vertrauen, dass unsere Reue zählt, wenn wir ein Einsehen in unsere Fehlbarkeit haben.

Jesus sagt uns zu, dass wir uns bei Gott aufgehoben und sicher fühlen können. Das soll uns helfen, für das einzustehen, was wir als richtig und wahr erkannt haben. Und uns davor zu hüten, unsere Seele zu verkaufen.

Unser Evangelium ist voll schöner Bilder: Jesus flüstert mir ins Ohr. Ich rede von den Dächern.

Jesus spricht in die Finsternis, ich rede im Licht, im Offenen und Freien.

Ich selbst verwandle das geflüsterte Wort in öffentlich Rede, bringe es von der Dunkelheit ans Licht. So werde ich zum Träger, zur Trägerin der frohen Botschaft.

Dabei schaut Gott zärtlich und liebevoll sorgend auf uns. Fürchtet Euch nicht. Ihr seid kostbarer als Sperlinge. Jedes Haar von Euch hat Gott im Blick.  

Nein, wir sind nicht frei von Furcht.

Aber wir können Gott bitten, dass er uns jetzt, in der Gegenwart, Mut verleiht zum Reden und Handeln. Und dass wir bei ihm aufgehoben sind in alle Ewigkeit. Amen.

18

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June

2023

Wie Schafe, die keinen Hirten haben

Bruder Jeremias OSA

+ Jesus Christus, unser göttlicher Bruder und Heiland, sei mit euch!

Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!“ Mit diesem Auftrag sendet Jesus seine Apostel aus. Gilt das auch heute? Für uns, seine Jüngerinnen und Jünger?

Hoffentlich sind auch heute Christen – also Menschen in der Nachfolge Christi – imstande, unvorstellbar Gutes zu tun, zu helfen, dass Menschen heil und ganz werden kön­nen, dass einen neue Lebendigkeit entstehe und die Aussätzigen in unseren Kirchen eine Heimat finden, ja dass sogar die Dämonen des Hasses und des Misstrau­ens, die Abergeister, die uns klein machen und schwä­chen, überwunden werden.

Und dass es in unserer Mitte nie geschehe, dass jemand verärgert, ungetröstet oder gar missbraucht und ge­schun­den werde. Sicher ist das leider nicht. Wir sind Sün­der. Lasst uns also den HERRN bitten, dass er uns ver­gebe, zur Umkehr führe und uns im Guten stärke. Darum rufen wir zu ihm:

Kyrie

Herr Jesus Christus, manche Wege sind so öde, dass wir über sie nur schimpfen können. Krieg und die Spaltung unserer Gesellschaft haben wir satt. – HERR, erbarme dich.

Christus, du hast den bösen Geistern das Fürchten gelehrt. Bewahre uns davor, uns selbst vom Ungeist bestimmen zu lassen. – Christus, erbarme dich.

HERR, wenn wir müde und erschöpft sind, schau gnädig auf uns. Schenke uns den Mut, barmherzig zu sein. – HERR, erbarme dich.

Dankt ihm, preist seinen Namen! Denn der HERR ist gut, / ewig währt seine Huld * und von Geschlecht zu Geschlecht seine Treue (Ps100).

+ Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus (Mt 9,36 - 10,8)

In jener Zeit,
als Jesus die vielen Menschen sah,
hatte er Mitleid mit ihnen;
denn sie waren müde und erschöpft
wie Schafe, die keinen Hirten haben.

Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß,
aber es gibt nur wenig Arbeiter.
Bittet also den Herrn der Ernte,
Arbeiter für seine Ernte auszusenden!

Dann rief er seine zwölf Jünger zu sich
und gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben
und alle Krankheiten und Leiden zu heilen.

Die Namen der zwölf Apostel sind:
an erster Stelle Simon, genannt Petrus,
und sein Bruder Andreas,
dann Jakobus, der Sohn des Zebedäus,
und sein Bruder Johannes,
Philíppus und Bartholomäus,
Thomas und Matthäus, der Zöllner,
Jakobus, der Sohn des Alphäus,
und Thaddäus,
Simon Kananäus und Judas Iskáriot,
der ihn ausgeliefert hat.

Diese Zwölf sandte Jesus aus
und gebot ihnen: Geht nicht den Weg zu den Heiden
und betretet keine Stadt der Samaríter,
sondern geht zu denverlorenen Schafen des Hauses Israel!

Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe!
Heilt Kranke,
weckt Tote auf,
macht Aussätzige rein,
treibt Dämonen aus!
Umsonst habt ihr empfangen,
umsonst sollt ihr geben.

Predigt

Jesus sieht die Menschen – und hat Mitleid mit ihnen. – In dieser kurzen Aussage verknüpft der Evangelist Matthäus Jesus von Nazareth mit gleich zwei wichtigen Vokabeln, die für das Glaubensleben Israels ganz bedeutsam waren. Im Ersten Testament wird das nämlich von Gott gesagt: Adonai Elohim, der HERR, der Gott Israels, ist der Gott, der mich sieht (Gen 16,13 |Jahreslosung 2023!). Gott sieht nicht hinweg über die Not seines Volkes, auch nicht hinweg über die Not eines jeden Einzelnen, und sei er in den Augen dieser Welt noch so unbedeutend. „Du bist der Gott, der mich sieht!

Eng verbunden mit diesem Sehen Gottes ist sein Mitleid. Diese „Schwäche“ Gottes ist zugleich seine große Stärke (Papst Franziskus I). Sein Erbar­men (hebr. rachamím; im Plural!) schafft Raum für neues Leben. Sehen und aus Mitleid sich erbarmen, es sich an die Eingeweide gehen lassen, sind Grundbegriffe, wie Gott handelt.

Genau das sagt nun der jüdischste unter den Evangelisten – Matthäus – über Jesus von Nazareth. Er begründet das Mitleid Jesu (griech.: esplanchizomai) mit einem Bild, das für jeden Juden der Zeitenwende eng mit dem Gott Israels verbunden war: „Sie waren […] wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36). Dieses Bild war engstens mit der Erwartung verbunden, dass doch Gott selbst nun bald eingreifen würde als der wahre Hirte seines Volkes Israel.

Damit hat Matthäus die Pflöcke eingeschlagen, in Jesus den Christus, den erwarteten Messias Israels, zu erkennen. So wundert es uns dann auch nicht mehr, dass er die Namen der Zwölf Apostel aufzählt. Sie stehen für die Sammlung und Heilung des Volkes Gottes und seiner zwölf Stämme. Ausdrücklich wird diesen Aposteln untersagt, zu den Samaritern oder gar den Heiden zu gehen. Das kommt erst etliche Kapitel später; erst muss Jesus selbst lernen und begreifen, dass sein Auftrag viel weiter geht und vor den Grenzen des Gottesvolkes nicht Halt macht. Dann aber wird der Auftrag lauten, das Evangelium der gesamten Schöpfung zu verkünden und alle Menschen zu Jüngern Jesu zu machen.

Die zwölf Apostel erhalten den Auftrag, das Heilige Volk zu heilen, Tote zu erwecken, alle zu reinigen und von den Dämonen zu befreien. Wir können nun diskutieren und überlegen, was alles damit gemeint sein könnte. Wichtig aber scheint mir: Es geht um den Heilungsdienst, der die Abergeister (!) verstummen lässt und neuer Lebendigkeit Raum gibt.

Jesus wird also vom Evangelisten ganz mit dem Arm Gottes identifiziert. Gott handelt als guter Hirte an den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“ durch seinen Gesalbten. Jesus Christus ist sozusagen das Werkzeug Gottes.

Trotzdem ist auch hier etwas im Spiel, das im Ersten Testament sicher bereits angelegt ist, jetzt aber noch weiter entfaltet wird. Im Frühjudentum war man so verzweifelt über diese Welt und ihre Machthaber, dass man nur noch Gott allein zutrauen wollte, dass er diese Welt zu Ende bringe und eine neue, von Gottes Geist geprägte Erde heraufführen werde. Menschen konnten da nichts tun, außer vertrauensvoll auf das Handeln Gottes zu warten.

Jesus, der selbst das Werkzeug oder der Bevollmächtigte  Gottes ist, wendet sich jedoch an seine Jüngerinnen und Jünger. Es braucht, sagt er, Arbeiterinnen für die Ernte, die nun bevor­steht. Doch auch dann sind es zu wenige, die mitarbeiten. Es bracht noch viel mehr, denn „die Ernte ist groß“. Gott muss eingreifen, aber nicht, um alles Heil zu vollbringen, was Men­schen erwarten; es braucht Gott, damit er noch mehr Arbei­te­r und Arbeiterinnen anwerbe für diese Ernte.

Das Mitwirken von Menschen wird hier also ganz stark gemacht! Aber auch der Umgang mit dieser göttlichen Macht, die es doch angesichts der Krankheiten und des Unheils, der Dämonen und sogar des Todes braucht, wird ausgeteilt.

Jesus hat seine Vollmacht als Heiland von Gott erhalten. Nun aber stattet er die Seinen mit eben dieser Vollmacht aus – und öffnet noch weiter die Tür, damit auch die Jüngerinnen diese Macht weiter mit denen teilen, die künftig mitarbeiten wollen.

Wir lernen hier, wenn man so will, en passant den Umgang Gottes mit der Macht. Gott teilt seine Vollmacht seinem Gesalb­ten und dessen Jüngern mit, die ihrerseits auch so mit Macht umgehen (sollten). Macht habe ich nie für mich. Sie gehört geteilt. Sie muss zum Dienst für diese Welt werden!

Dafür gibt es eine schlichte Begründung: „Gratis habt ihr empfangen, gratis sollt ihr geben!“ (Mt 10,8). So einfach ist das.

So schwer scheint das zu sein in unserer Kirche, die hier kaum anders unterwegs ist, wie die Menschen sonst auch. Hüte dich vor denen, die zwar Geld und Macht gewonnen haben, denen aber die Kultur dafür absolut fehlt!

Deshalb ist es auch so unsäglich grauenvoll, dass Menschen, die sagen, sie folgten Christus nach, ihre Macht in unserer Kirche so missbrauchen – bis hin zum sexuellen Missbrach, der Leben zerstört. Und das mit dem ausdrücklichen Auftrag Jesu im Ohr, zu heilen und zum Leben zu verhelfen! Das will nicht in meinen Kopf, dass diese Schizophrenie möglich war – und wahrschein­lich immer noch und immer wieder möglich ist. Kein Wunder, wenn wir als Gemeinschaft der Gläubigen heute so wenig mit göttlicher Vollmacht (Exousia) verkünden...

Wenn aber der Auftrag der Jüngerinnen Jesu der umfassende Heilsdienst ist – wie müssten wir dann unser Leben in unseren Gemeinden gestalten? Vorsicht, von den anderen oder gar denen da oben wissen wir es immer sehr schnell. Aber wo erkenne ich meinen ureigenen Auftrag? – Stellen wir uns auch in dieser Woche diese unausweichliche Frage! Amen.