oder: mit der Syrophönizierin | Mt 15,21-28 | 20. Sonntag im JahreskreisA
Predigt: MonikaRohs-Dressel; Musik: P. Pius Wegscheid OSA; Lektorin: Ursula Arnold
in der Brunnenkirche zu Erfurt am 19. August 2023
+ Der HERR, die Wurzel, die uns trägt, sei mit euch!
Paulus vergleicht uns Christen mit Reisigen, die am Ölbaum aufgepfropften wurden. Wir wurden aufgepfropft und gehören nun nicht durch Geburt, sondern aufgrund des Glaubens zum auserwählten Volk.
Darauf können wir uns sich nichts einbilden. Es ist nicht unser Verdienst, dass wir auserwählt wurden. Paulus sagt: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“ (Röm 11,18b).
Glauben können ist ein Geschenk.
Glauben heißt: getragen werden von der Wurzel, die Gott ist.
Glauben dürfen heißt: aus dem Erbarmen Gottes leben zu dürfen.
Das feiern wir auch heute wieder. Das dürfen wir jeden Sonntag neu feiern. Unter Sein Erbarmen stellen wir uns jetzt erneut, um in dieser nun beginnenden Woche auch Sein Erbarmen verkünden zu können.
Euch, den Heiden, sage ich:
Gerade als Apostel der Heiden preise ich meinen Dienst,
weil ich hoffe,
die Angehörigen meines Volkes eifersüchtig zu machen und wenigstens einige von ihnen zu retten.
Denn wenn schon ihre Verwerfung
für die Welt Versöhnung gebracht hat,
dann wird ihre Annahme nichts anderes sein als Leben aus dem Tod.
Ist die Erstlingsgabe vom Teig heilig, so ist es auch der ganze Teig;
ist die Wurzel heilig, so sind es auch die Zweige.
Wenn aber einige Zweige herausgebrochen wurden und wenn du als Zweig vom wilden Ölbaum
in den edlen Ölbaum eingepfropft wurdest und damit Anteil erhieltest an der Kraft seiner Wurzel,
so erhebe dich nicht über die anderen Zweige.
Wenn du es aber tust, sollst du wissen: Nicht du trägst die Wurzel,sondern die Wurzel trägt dich.
Sei daher nicht überheblich, sondern fürchte dich!
Hat Gott die Zweige, die von Natur zum edlen Baum gehören, nicht verschont,
so wird er auch dich nicht verschonen.
Erkenne die Güte Gottes und seine Strenge!
Die Strenge gegen jene, die gefallen sind,
Gottes Güte aber gegen dich, sofern du in seiner Güte bleibst;
sonst wirst auch du herausgehauen werden.
Ebenso werden auch jene,
wenn sie nicht am Unglauben fest halten, wieder eingepfropft werden;
denn Gott hat die Macht, sie wieder einzupfropfen.
Wenn du aus dem von Natur wilden Ölbaum herausgehauen und gegen die Natur
in den edlen Ölbaum eingepfropft wurdest,
dann werden erst recht sie als die von Natur zugehörigen Zweige
ihrem eigenen Ölbaum wieder eingepfropft werden.
Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt.
Und wie ihr einst Gott ungehorsam wart,
jetzt aber infolge ihres Ungehorsams Erbarmen gefunden habt,
so sind sie infolge des Erbarmens, das ihr gefunden habt, ungehorsam geworden,
damit jetzt auch sie Erbarmen finden.
Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen.
Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus (Mt 15, 21-28)
In jener Zeit 21zog Jesus sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück.
22Da kam eine kanaanäische Frau aus jener Gegend zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält.
23Jesus aber gab ihr keine Antwort.
Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Befrei sie von ihrer Sorge, denn sie schreit hinter uns her.
24Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.
25Doch die Frau kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir!
26Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.
27Da entgegnete sie: Ja, du hast Recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
28Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.
Wir haben gerade das Evangelium gehört:
Jesus geht also in heidnisches Gebiet. Es kommt eine kanaanäische Frau, das heißt eine nichtjüdische Frau. Sie kommt und schreit: „Erbarme dich meiner, Sohn Davids. Meine Tochter ist von einem Dämon besessen.“
Fridolin Stier übersetzt: „Von einem Aber-Geist besessen“ – Aber-Geist für das Wort Dämon. Ein Geist, der verneint, der vielleicht das ganze Leben verneint.
„Sohn Davids“ ruft die Frau, sie benutzt einen jüdischer Begriff, der Messias als Sohn Davids, als ein Nachkomme von König David. Eine nichtjüdische Frau, die aber „Sohn Davids“ sagt -
Und Jesus – antwortet ihr nicht.
Dann die Jünger, sie sagen: “Schick sie weg, sie schreit hinter uns her.“
Und Jesus:
„Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“ Ich bin nur für Israel da, für das auserwählte Volk, nicht für die heidnischen Völker. – Das ist sein Auftrag, seine Mission. Der Messias kommt für Israel.
Aber die Frau bleibt dran: „Herr, hilf mir.“
Herr, Kyrios. Herr, erbarme dich. Kyrie eleison. So, wie wir es auch in jedem Gottesdienst sagen.
Und trotzdem: Jesus bleibt dabei, er ist nur für Israel da: „Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und es den Hunden hinzuwerfen“.
Die Frau: Sie bleibt immer noch dran, lässt sich nicht abschrecken, sie nimmt diesen Gedanken sogar auf und argumentiert: "Ja, Herr! Aber auch die Hunde essen von den Brotkrumen, die von den Tischen ihrer Herren fallen.“ Wieder dieses „Herr“, Kyrios.
Und dann reagiert Jesus ganz nah, ganz zugewandt, heilend: „Frau, dein Glaube ist groß. Es geschehe wie du willst.“
Und die Tochter ist geheilt. Jetzt geschieht das Heilungswunder, jetzt die Zusage: dein Glaube ist groß, dein Vertrauen ist groß.
Mich fasziniert diese Frau.
Sie wagt sich zu Jesus, obwohl sie ja weiß, dass sie nicht jüdisch ist, dass sie eine Frau ist. Lauter No-Gos. Eine Frau, die einen jüdischen Rabbi anspricht. Und dann noch eine nichtjüdische Frau.
Aber sie überwindet alle diese gesellschaftlichen, alle diese religiösen Grenzen. In ihrer Not, ja in ihrer Liebe zu ihrer Tochter, lässt sich nicht abbringen, sie bleibt dran.
Drei Anläufe: „Sohn Davids“, „Herr, hilf mir“, „Ja, Herr“.
Und sie sagt diesen so merkwürdig anmutenden Satz: „Aber auch die Hunde essen von den Brotkrumen, die von den Tischen ihrer Herren fallen.“
Das heißt ja: Jesus, du musst mir nicht das ganze Brot geben, es reichen die Krümel, schon ein ganz kleines bisschen wird meine Tochter heilen. Es reicht, was beim Essen von alleine vom Tisch fällt.
Was für ein Vertrauen.
Dieses drängende Gebet erinnert uns vielleicht an andere Geschichten in der Bibel. Zum Beispiel an Abraham, wie er für die Stadt Sodom betet und Gott bittet, sie zu verschonen: „Wenn sich 50 Gerechte finden, wenn sich vielleicht nur 45 Gerechte finden, 40 Gerechte.“ Er handelt Gott herunter bis zu: „Wenn sich 10 Gerechte finden, dann verschone diesen Ort.“
Oder das Gleichnis von der bittenden Witwe im Lukasevangelium: Der Richter ist von ihrem ständigen Bitten so genervt, dass er ihr gibt, was sie sich wünscht. Jesus sagt dazu: „Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern?“
Wir dürfen so drängend beten, so intensiv, ja, in gewisser Weise so fordernd.
Und Jesus, Gott, wird antworten.
Wir sagen häufig: „Gott erhört unser Gebet.“
Wenn man in die Einheitsübersetzung von 2016 schaut, dann ist der Satz „Gott, du hast mich erhört“ jetzt häufig übersetzt mit „Gott, du hast mir Antwort gegeben“.
Ich finde diese Formulierung sehr tröstlich. Bei „Gott hat mich erhört“, denke ich schnell an: Gott hat mir meine Wünsche erfüllt, meine Bitten erfüllt.
Aber wir wissen alle: das muss nicht so sein.
Aber eine Antwort, eine Reaktion, die ist mir versprochen.
Die Frau im Evangelium ermutigt uns, uns immer wieder an Gott zu wenden, mit ihm zusprechen, mit Bitten und mit Fürbitte füreinander dran zu bleiben. Zu vertrauen, dass Gott Antwort gibt.
Ein anderer Aspekt:
Wir können einmal versuchen, das Ganze aus der Sicht der Jünger zu sehen. Da kommt also eine kanaanäische Frau. Und erst reagiert Jesus so, wie die Jünger es erwarten: Er betont seine Sendung nur für Israel – und dann:
Es wandelt sich etwas in dieser Geschichte, am Ende heilt Jesus die Tochter.
Jesus überschreitet hier Grenzen: Er wendet sich einer Frau zu und redet mit ihr auf Augenhöhe – eigentlich undenkbar für einen jüdischen Rabbi. Und er wendet sich einer nichtjüdischen, heidnischen Frau zu und heilt. Sein Auftrag wird weiter – für alle Völker.
In der Basis-Bibel ist das Kapitel des Matthäusevangeliums, in dem unsere Geschichte steht, so überschrieben: Jesus wendet sich den Völkern zu.
Im Verlauf des Matthäusevangeliums passiert eine Öffnung der frohen Botschaft hin zu allen Völkern. In einigen Kapiteln davor ist es der Hauptmann von Kafarnaum, ein Römer, der um Heilung für seinen Diener betet. Nach der Kreuzigung ist es bei Matthäus wieder ein römischer Hauptmann, der das große Bekenntnis ausspricht: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.“
Und dann am Ende des Matthäus Evangeliums: „Darum geht und macht alle Völker zu meinenJüngern.“ Alle Völker, das sind eben auch wir.
Das Heil, die Erlösung, wird geöffnet für die Heiden. Gott ist für die ganze Welt da.
Auf heute übertragen kann ich mich fragen: Wo darf meine Sicht des Glaubens weiter werden, wo darf mein Gottesbild sich weiten, wo darf ich mich lösen von engen Vorstellungen?
Gott ist immer der ganz andere, der viel größere, der alle unsere eigenen Bilder und Vorstellungen übersteigt.
Und noch ein letzter Gedanke:
„Frau, dein Glaube ist groß“, sagt Jesus.
Ist das nun eine Aufforderung, sich selber den geistlichen Puls zu messen? Sich selber zu fragen: „Wie groß ist denn mein Glaube? Würde Jesus auch zu mir sagen: Dein Glaube ist groß? Oder ist er viel zu klein, ist er zu armselig?“
Ich denke, dieses Fragen bringt uns nicht weiter.
Wir dürfen einfach bei dem bleiben, was die Frau tut. Zu Gott, zu Jesus sagen: Herr, hilf mir. Herr, erbarme dich. Kyrie eleison.
Das ist alles und dasreicht aus.
Keine Hochleistung an Vertrauen ist notwendig, ja, gar keine Leistung von Glauben. Nur ganz schlicht: Herr, erbarme dich.
Und Gott wird antworten und uns in die Weite führen,
in Gnade führen,
in seinen Schalom.
Amen.
Predigt: Br. Jeremias M.Kiesl OSA; Musik: Sabine Lindner
in der Brunnenkirche zu Erfurt am 17. August 2023
Fotos: Matthias (Montefalco, Münnerstadt), Franka, Sabine
© Augustinerkonvent St. Martin von Tours | Erfurt 2023
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
als Vorgeschmack auf das heutige Evangelium, konnte ich vor einigen Jahren im Urlaub eine Seefahrt nach Helgoland miterleben: Eine Fahrt auf dem offenen Meer – mit einem eher kleinen Schiff. Und das bei Windstärke sieben.
Hohe Wellen schlugen gegen das Schiff, ließen es immer wieder durchsacken und überspülten das Deck. Fast alle Fahrgäste waren seekrank.
Kaum jemand sprach noch. Die meisten waren ganz tief in sich versunken. Wohl nicht aus Angst um das eigene Leben. Doch eine starke Beklommenheit, ein tiefes Unwohlsein – nicht nur äußerlich, auch innerlich – spiegelte sich auf den Gesichtern der Menschen.
Dann ein kurzer Aufenthalt auf der Insel. Die anschließende Rückfahrt dauerte endlose drei Stunden.
Liebe Mitchristen, wer einmal mit dem Boot über den See Genezareth gefahren ist, und an diesem Ort das Evangelium vom Seesturm hört, der macht sich nicht so leicht ein Bild von der Angst der Jünger.
Vielleicht muss man zuvor den Kibuzz Ginnosar am Westufer des Sees besucht haben, wo 1986 aus dem Uferschlamm ein Holzboot ausgegraben wurde. Archäologen datieren es auf die Zeit 50 vor Chr. bis 50 nach Chr.
Mit einer solchen Nussschale „vieleStadien“ (Mt 14,24) – eine Stadie misst 185 Meter – alsomehrere Kilometer vom rettenden Ufer entfernt zu sein und dann vom Sturm überrascht zu werden, bedeutet, pure Angst um das eigene Leben. Von Windstärke 9 oder gar 10 sprechen wir dann, ohne uns ein Bild davon machen zu können, wie sich die tückischen Fallwinde von den Golanhöhen herab auf den See auswirken.
Schwestern und Brüder, die Angst um das eigene Leben ist eine der tiefsten Selbsterfahrungen des Menschen. Sie kann ungeahnte Kräfte freisetzen. Ohne den Selbsterhaltungstrieb wären wir in vielen Situationen hoffnungslos verloren. Die Angst der Jünger aber ist eine ohnmächtige Angst, denn aus eigener Kraft können sie sich nicht mehr befreien. Sie sind dem Seesturm ausgeliefert – auf Leben und Tod. In dieser Situation gibt es nur eine Kraft, die weiterhilft, die innerlich befreit: Das Vertrauen auf die Hilfe Gottes.
Das ist etwas anderes als das, was die Psychologen das „Urvertrauen“, das Grundvertrauen im Menschen nennen: Das Vertrauen in die soziale Umwelt des Menschen. Einer lebensbedrohlichen Situation nicht allein ausgesetzt zu sein, das mag beruhigen, doch retten kann allein der Glaube. Wie gut, wenn der Glaube der anderen dann den eigenen Glauben stärkt.
Der langjährige Leiter von Missio Aachen, Bernd Kauth, berichtet von einer Bootsfahrt in Kenia an der Grenze zu Tansania. Wie er nach einem Gottesdienst auf dem Rückweg mit einem kleinen Aluminiumboot in einen Gewittersturm gerät. Und dann fällt auch noch einer der beiden Motoren aus. Er schreibt: „Ich habe Angst. Ich fühle, wie ich das Boot nicht mehr in der Gewalt habe. Es wird von Brechern hin- und hergeworfen, und ich hoffe nur, dass es sich nicht querstellt...
Ich versuche meine Angst vor den anderen zu verbergen. Auch vor mir... Mitten im Tosen glaube ich Stimmen hinter mir zu hören: leisen, harmonischen Singsang.
Ich werfe einen hastigen Blick zurück. Birgitta, Elisa und Michael stehen hinter mir. Sie stehen wie eine schützende Wand, halten sich aneinander fest und stemmen sich gegen das Schleudern des Bootes. Wie eine Wand, an die ich mich anlehnen kann... Vater unser im Himmel.
Sie beten, als ob sie auf dem sicheren Zementboden unserer Kirche stehen würden: keine Panik, keine trostlose Ergebenheit. Es klingt so selbstverständlich, denn es gibt ja nichts anderes, als in einer solchen Situation zu beten. Es ist nicht blinde Verzweiflung, die sie das Beten lehrt, es ist das Vertrauen, der Glaube. Das Wissen, dass einer da ist, der uns hält.
Ich fühle, wie ich ruhig werde, wie dieses Gebet mich ermutigt: ich bete.“ (Bernd Kauth, Spuren unterdem Lebensbaum, Aachen 1989, S.28f.)
Und als der 16jährige Michael ihm zulacht, fragt ihn der Missionar: „Hast Du gar keine Angst, Michael?“ Und lachend bekommt er zu hören: „Ah Jaduong, Priester, hast Du uns nicht erst vor drei Wochen vom Seesturm erzählt und darüber gepredigt? Nun, da haben wir´s.
Und dann fügt er verschmitzt hinzu, die Arme gestikulierend, wie ich es wohl vor drei Wochen getan habe. ‚Oh, ihr Kleingläubigen!‘ und lacht mich an. Ich lache zurück, ich Kleingläubiger. Ich bin froh und dankbar, nicht allein zu sein. Dieses Lachen, das beruhigende Gemurmel der Frauen inmitten des Seesturms – kann man sich eine eindrucksvollere Predigt vorstellen?“ (ebd. S. 29)
Schwestern und Brüder, solche Erfahrungen und Berichte sie können uns helfen, die Worte Jesu immer tiefer zu begreifen, wenn er zu einem Menschen sagt: „Dein Glaube hat dich gerettet“ (Mt 9,22; Mk 5,34; Lk 8,48 (Heilung einer blutflüssigen Frau); Mk 10,52; Lk 18,42 (Heilung des Bartimäus); Lk7,50 (Heilung einer Sünderin im Hause eines Pharisäers); Lk 17,19 (Heilung der 10 Aussätzigen)).
Amen.
+ Jesus Christus, der geliebte Sohn des himmlischen Vaters, sei mit euch!
Nicht klug ausgedachten Geschichten machen das Geheimnis Gottes aus. Im Gegenteil: Gott offenbart sich. ER ist es auch, der uns Jesus als Seinen geliebten Sohn zeigt, auf den wir hören sollen. Jesus Christus kam in diese Welt, damit wir Gottes Größe und Güte lernen. Dabei stützen wir uns auf die Verkündigung der Apostel, die sich keine klugen Geschichten über Gott und Jesus Christus ausdachten, sondern „Augenzeugen seiner Macht und Größe“ waren.
Letzten Endes sind auch wir eingeladen, nicht einem göttlichen Mythos zu folgen. Wir sollen vielmehr IHM nachfolgen: Jesus, dem Sohn Gottes. Nicht Lehre und Theorie retten uns, sondern die Beziehung zum lebendigen Christus, Gottes geliebten Sohn.
Er hat uns (auch heute) hier zusammengeführt. IHN begrüßen wir in unserem Kreis.
Eigentlich beginnt das 17. Kapitel bei Matthäus – und damit das Fest-Evangelium von der Verklärung – ein mit den Worten: „Sechs Tage danach“. Die Vorgeschichte ist meines Erachtens nicht unwichtig.
Das vorangehende 16. Kapitel erzählt nämlich von der (vergeblichen) Zeichenforderung der Gegner Jesu, von der Sorge der Jünger, dass der Proviant nicht reichen könnte, dann vom Christus-Bekenntnis des Simon Petrus bei Cäsarea Philippi, hierauf von der ersten Leidensankündigung – mit der barschen Zurechtweisung des Petrus „Tritt hinter mich, du Satan!“ – und schließlich mit dem Aufruf Jesu zu Nachfolge und Selbstverleugnung. Uff! Dieses Kapitel hatte es wirklich in sich. Wie soll das ein Mensch in der Nachfolge Jesu das alles verkraften?
Es braucht eine Pause. Nach sechs Tagen erst mal eine kleine Bergtour. Die drei wichtigsten Apostel sind dabei. Da können wir uns schon mal gefasst machen, dass nun Wichtiges passiert.
Auch die Zahl 6 ist symbolisch aufgeladen. In sechs Tagen schuf Gott Himmel und Erde, am sechsten Schöpfungstag erst wird der Mensch kreiert, der seinerseits (nur) sechs Tage lang arbeiten soll. Am siebten aber darf er wie Gott selbst die Ruhe genießen: den Sabbat. Die Christen werden den Tag darauf als Tag des HERRN feiern, den Auferstehungstag Christi. Auf ihn übertragen sie dann auch die göttliche Ruhe des Schöpfers und allen Lebens, denn mit der Auferstehung Christi ist eine neue Schöpfung geworden, mit der Perspektive der Ewigkeit in der Ruhe Gottes.
Sechs ist die Zahl dessen geworden, was ein Mensch von sich aus schaffen kann. Am siebten Tag aber, in der Ruhe, wird Gott das Verständnis hinzu schenken, das nicht zu machen ist. Und die Dankbarkeit und die Zufriedenheit mit dem, was von Gott kommt.
Die eigene Unvollkommenheit im Rücken, das Unverständnis über die Wege Gottes und seines Gesalbten in den Kleidern, wird den drei Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes ein Bild der Vollkommenheit geschenkt, das Petrus gern festhalten möchte, wenn er vorschlägt, drei Hütten zu bauen. Jetzt erst macht für ihn Sinn, was er wenige Tage vorher, kurz hinter Caesarea Philippi, partout nicht akzeptieren wollte: Dass der Sohn des lebendigen Gottes leiden müsse.
Das könnte auch das Bild unserer sonntäglichen Praxis sein, wenn wir uns nach sechs Tagen hier versammeln mit all den Fragen und Nöten und Unvollkommenheiten, die uns an Kleidern und Leib hängen, um vor dem HERRN zu sein und auf den „geliebten Sohn des Vaters“ zu hören: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ (Mt 17,5b).
Das gilt ja mindestens seit der Taufe auch für uns: Du bist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter, die ich erwählt habe. Gottes Worte umhüllen uns mit Seiner Liebe. Der „Schatten der leuchtenden Wolke“ soll auch auf uns fallen, aus der wir die Stimme des Vaters hören.
Im Evangelium sind Jesu Jünger damit aber noch nicht am Ende. Das Neue erzeugt „große Angst“, und die Drei „fielen nieder auf ihr Gesicht und fürchteten sich sehr“ (Mt 17,6). Umwerfend! Doch das „tremendum“ dieser Erfahrung fasziniert gleichzeitig. Gottes Größe blitzt auf, und die Jünger fallen zu Boden und beten an.
Petrus und wohl alle Menschen wollen Augenblicke des Glücks festhalten: Hütten bauen! Aber es hilft nicht: Am Endes dieses Gottesdienstes werden auch wir wieder in die Niederungen des Alltags gesandt. Augustinus formuliert: „Steig herab, Petrus, steig ab, um auf der Erde zu arbeiten und zu dienen, um verachtet und gekreuzigt zu werden auf der Erde. Das Leben [gemeint ist Jesus], steigt ab, um getötet zu werden, das Brot steigt ab, um auszugehen, der Weg steigt ab, um unterwegs müde zu werden, die Quelle steigt ab, um dürr zu werden. Und du, Petrus weigerst dich, zu arbeiten?“(zitiert nach: Luz Ulrich in: EKK ½ S 516f).
Die Erfahrung der Nähe und der Klarheit des Lichtes Gottes sind nicht von Dauer, solange wir unterwegs sind. Vor dem ewigen Ostern liegt der Karfreitag. Petrus und die Urgemeinde erfahren Gericht und Verfolgung, Ausgrenzung, sogar das Martyrium. Aber sie tragen die Klarheit im Herzen, die sie auf dem Berg schauen durften.
Wie sollte man denn diese Welt aushalten, die so voller Not und Widersprüche uns umfängt, wenn wir nicht diese von Gott geschenkte Klarheit wenigstens hin und wieder erfahren dürften? Wie könnten wir hinsehen auf das schier unerträgliche Leid so vieler Menschen? Wie sollte man die Orientierung finden, wenn unsere Sicherheiten so krass wanken und infrage stehen?
Der Festtag der Verklärung des HERRN ist mein Kloster-Eintritts-Tag. Das wird nicht groß gefeiert. Aber durch sein Evangelium wurde mir sozusagen ins Stammbuch geschrieben, die Klarheit auf dem Berg im Herzen zu bewahren. Dann wird sie zur Verheißung, dass auch die Niederungen des Alltags zu überwinden sind.
Die Jugendlichen machen jetzt beim Weltjugendtag eine Gipfelerfahrung. Für mich waren jedenfalls die vier Weltjugendtage, die ich erleben konnte, solche besonderen Erlebnisse. Man kann das nicht festhalten, was da in einem vorgeht. Man kann es nicht mal richtig erzählen. Aber es ist ein Schatz, der Kraft gibt für den Weg. Hoffentlich erfahren das auch diesmal ganz viele Jugendliche!
Menschen, die den größeren Deutungshorizont Gottes in ihr Leben einlassen, die in die Unbehaustheit hinaustreten wie Abraham und die wie Petrus, Jakobus und Johannes wieder hinabsteigen vom Berg der Verklärung werden bis heute zum Segen für diese Welt, die sozusagen im sechsten Tag stecken bleiben müsste. Als Getaufte müssen wir Hoffnungträger über den sechsten Tag hinaus sein! Denn auch für uns gilt doch: „Diese Stimme, die vom Himmel kam, haben wir gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren“(2 Petr 1,18).