Die Fastenzeit hat begonnen. Wir wurden mit der Asche bezeichnet. Wir sind Kinder dieser Erde, zu der wir zurückkehren werden. Und doch sind wir seit unserer Taufe mehr noch „Kinder des Lichtes“...
Eigentlich heißt diese Zeit „österliche Bußzeit“. „Buße“, das ist kein Begriff, der uns schmeichelt…
Doch es ist wahr: Von Zeit zu Zeit brauchen wir ein Innehalten, eine Phase der Klärung unserer Ziele und Wege, unserer Beziehungen, nicht zuletzt unserer Beziehung zu Gott. Die Fastenzeit ist die große Einladung, diesen Raum der Besinnung und der Klärung zubetreten. Sie schafft für uns die entsprechende Atmosphäre.
Hier im vertrauten Raum der Brunnenkirche sind wir um den HERRN versammelt. Er ist der Grund, auf dem wir stehen und die Tür, durch die wir Heiligen Raum betreten: den heilsamen Raum Seiner Gegenwart, in dem uns Umkehr und Erbarmen geschenkt werden. Gratis.
Der Bund, den Gott nach der Sintflut schließt, war in diesem Jahr schon einmal Thema bei uns, und etliche von euch haben die Ökumenische Bibelwoche ja mitgemacht. Das Erste Testament hat eine wunderbare Weise, „Gott Gott sein zu lassen“, und dennoch von seiner „Vernarrtheit“ in seine Menschen immer wieder neu zu erzählen.
Da wird erzählt von der Vernichtung der ganzen Erde durch die Sintflut. Die hatte aber eine Ursache, auch die erwähnt die Bibel: nämlich die immer währende Bosheit der Menschen (Gen 6,5). Noah uns seine Großfamilie sind die Ausnahme, und deshalb werden sie dennoch errettet.
Die Arche, wird in der frühen Christenheit und auf etlichen Bildern und frühchristlichen Sarkophagen zum Symbol der Errettung durch Gott schlechthin. Im 6./7. Jahrhundert wird Venantius Fortunatus das Holz der Arche mit dem Kreuz verbinden, wenn er im Hymnus „Heilig Kreuz, du Baum der Treue“ (gemeint ist natürlich die Treue Gottes; der Mensch ist ja keineswegs immer so treu...) dichtet: „...du, die Planke, die uns rettet aus dem Schiffbruch dieser Welt“.
Mit Gott zu rechten, ob er das tun darf, die ganze Welt zu zerstören, ist eigentlich Unsinn. Wer bist du, Mensch, dass du deinen Schöpfer anklagen könntest?
Der Clou liegt vielmehr in der Selbstbeschränkung Gottes. Denn nach dem Abfließen der Flut schließt Gott mit Noah einen Bund. Ein Bund ist ja nun eigentlich ein Vertrag zweier Parteien oder Menschen, die sich wechselseitig zu etwas verpflichten und ggf. auch Sanktionen vereinbaren bei Nichteinhaltung des Bundes.
Hier aber geht es um etwas, das irgendwie schräg ist. Denn der Bund wird geschlossen mit zwei „Parteien“, die so gar nicht auf Augenhöhe sind: Gott schließt mit Noah und allen Menschen nach ihm und allen Tieren (sic!) einen Bund. Alle Geschöpfe aus Fleisch und Blut bilden die eine Vertragspartei! Der Schöpfer bietet seiner Schöpfung einen Bund an. Das kann ja nur eine Selbstverpflichtung Gottes, eine Selbstbeschränkung Gottes bedeuten.
Und genau das ist es auch. Der Regenbogen wird zum Symbol der Erinnerung Gottes (!) an diese Selbstbeschränkung. Wir alle haben wahrscheinlich als Kinder und über das Kindesalter hinaus immerwieder Regenbögen gemalt oder in die Fenster gehängt, oder kleine Prismen in der Sonne platziert, damit der Regenbogen in unsere Wohnungen fällt. Klar. – Heute steht der Regenbogen für die Vielfalt menschlichen Lebens und menschlicher Sexualität. Die bunte Stola wird nun zum politischen Statement – auch wenn unsere Bischöfe bei der Bistumswallfahrt unter Regenbogen-Schirmen stehen...
Aber eigentlich geht es im Ersten Testament nicht um die Buntheit. Es handelt sich vielmehr um den Kampfbogen, den Kriegsbogen Gottes, und den hängt er an die Wand – Pardon: in die Wolken! Da hängt er. ER wird nicht mehr benutzt. Darauf gibt es kein Anrecht. Aber Gott sagt, ER wird sich daran halten und seinen Bogen nie mehr gegen Mensch und Schöpfung richten. Das sollte vor allem diejenigen mal meditieren, die sonst so schnell mit der „Strafe Gottes“ bei der Hand sind, wenn es um AIDS geht oder jüngst mit Covid 19. Das müssen wir meditieren mit Blick auf den Kriegsbogen, den Menschen gegen die Schöpfung richten...
Wir können tun und lassen, was wir wollen. Das nennen wir Freiheit. Darin aber liegt auch die große Versuchung...
Mich springt in diesem Jahr die Versuchung Jesu ganz besonders an: Bevor es so richtig losgeht mit diesem Jesus aus Nazareth, geht er in die Wüste und wird prompt „vom Satan“ versucht. Das berührt mich. Denn so besonders Jesus sicher war, so einzigartig und aus dem „Normalen“ herausgehoben, so selbstverständlich erzählen die drei synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus und Lukas) von der Versuchung Jesu.
Keiner von uns kann ohne Versuchungen leben. Seit der Vertreibung aus dem Paradies gehört die Versuchung zu uns Menschen. Wir kommen ihr nicht aus. Was die Versuchung im Einzelnen sein kann, das haben Lukas und Matthäus weiter ausgeschmückt. Es scheint um Macht und Machbarkeitswahn zu gehen, um Herrschaft über andere und Ansehen um jeden Preis, um Überlegenheitswahn und besser sein wollen als andere...
Keiner von uns kann ohne Versuchungen leben. Und wenn du leitest oder tatsächlich in verschiedenen Zusammenhängen was zu sagen hast, dann braucht es besonders viel Disziplin und Kultur, damit du deine Macht gut einsetzt: zum Aufbau, zum Wohl der Gemeinschaft aller Menschen, für die Ermächtigung derer, die (noch) nicht zum Zug kommen, aber ihrerseits so viel zu geben hätten.
Diese Kriterien kann man – und sollte man übrigens auch – auf eine Gemeinde anlegen, die von sich sagt, sie wolle Jesus, dem Christus, nachfolgen, auch auf unsere Gemeinde hier.
Was aber bedeutet das, wenn Jesus versucht wird? Das scheint keine Kleinigkeit zu sein. „Er lebte bei den wilden Tieren“, sagt der Evangelist ziemlich kryptisch; aber da kann man sich wohl kaum einen Sonntagsausflug mit Dackel vorstellen. Da geht es sicher härter und deutlich gefährlicher zu.
Für mich deuten sich hier die unkultivierten Impulse an, die wir wahrscheinlich ebenso ausnahmslos alle in uns tragen. Die Wut, die uns befällt, wenn wir uns nicht durchsetzen können; die Angst, die uns in die Flucht schlagen will, wo doch das Standhalten gefragt wäre; das um uns beißen, wenn wir in die Enge getrieben wurden; das sich den eigenen Wünschen und Bedürfnissen hingeben, essen und trinken, solange der Vorrat reicht – und leider sind die Vorräte zumindest bei uns scheinbar unerschöpflich (dass das nur die halbe Wahrheit ist, wissen wir auch); erlaubt ist, was geht und gefällt, auch das sind Tendenzen, die wir spüren und nach denen wir auch oft genug leben. Freiheit, Freiheit, Leben auskosten, so viel nur irgend geht!
Nein, ich bin nicht dagegen, zu genießen und den Wind des Lebens sich um die Nase blasen zu lassen. Wer fände das nicht attraktiv? Aber all das braucht Kultur und Maß, oder es wird zum Trip von Egomanen, wie wir sie doch alle kennen.
Gerade deshalb wage ich zu sagen, dass die Versuchungen mit unserer Würde als Menschen zu tun haben. Noch so schlimmes Versagen kann uns diese Würde, die wir als Menschen haben, jemals nehmen. Einen Hund kann man abrichten, damit er das eine tut und das andere lässt. Aber ein Mensch steht in der Entscheidung, das Gute zu wählen und Herr über seine ungeordneten Impulse zu werden. Wo er das aber tut, da werden die „wilden Tiere gezähmt, da steht Gott ihm bei, da dienen ihm die Engel.
Das ist doch eine großartige Verheißung. Wir kommen nicht ohne Schuld und Versagen durch dieses Leben. Wir fallen und müssen wieder aufstehen. Aber da, wo wir das wahrnehmen und unsere Begrenztheit akzeptieren, wo wir uns den „wilden Tieren“ stellen, da schickt Gott seine Engel – wie ER sie Jesus Christus in der Wüste geschickt hat.
Am Anfang dieses Textes irritiert die Formulierung, dass „der Geist Jesus in die Wüste trieb“. Ich werde erinnert an die Formulierung im (deutschen) Vaterunser , mit der offenbar auch Papst Franziskus so seine Schwierigkeiten hat (aber das ist tatsächlich die korrekte Übersetzung des Griechischen): „...und führe uns nicht in Versuchung“ (Im Spanischen heißt es wörtlich: „Lass uns nicht in Versuchung fallen oder sogar: lass uns in der Versuchung nicht fallen.
Führt Gott uns nicht vielmehr in die Freiheit? Doch hier steht, Er führe uns auch in die Versuchung... Jesus treibt der Geist hinaus in die Wüste, sagt Markus. Der Weg in die Freiheit führt durch die Wüste. Die Freiheit, die Jesus lebt und verkündet, sie fällt nicht vom Himmel. Sie kommt aus der Wüste, wo ich meinen Abgründen und Ängsten, meinen Aggressionen und Bequemlichkeiten ungeschminkt begegne. Wo ich mich meinem Schatten stellen muss – und einsehen muss, dass ich nicht selber Gott bin.
Wenn ihr euren Kindern alle Steine aus dem Weg zu räumen versucht, ist das zwar verständlich, aber ich bin nicht sicher, ob ihr ihnen damit wirklich einen Gefallen tut. Irgendwann muss man ran an die „wilden Tiere“...
Dann werde ich bereit für die frohe Botschaft: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15)
Predigt von Pastorin Dorothea Höck
über Amos 5, 21-24 (Estomihi) am 10./11. Februar 2024
Liebe Gemeinde,
„Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen und an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen, und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an. Tut weg von mir das Geplärr Eurer Lieder; denn ich mag Euer Harfenspiel nicht hören!“
Aus jeder Silbe dieser Rede spricht Überdruss: Gott kann sie nicht mehr riechen, die Feste, Gottesdienste und Opfer - er hat die Nase voll. Später erfahren wir, was es mit dieser Kritik auf sich hat: Denn König Jerobeam im Nordreich erbost sich über die Rede des Propheten Amos: sein Hofprophet Amazja muss ihm ausrichten: „Du Seher, geh weg und flieh ins Land Juda und iss dort dein Brot und weissage daselbst. Aber weissage nicht mehr in Bethel; denn es ist des Königs Heiligtum und der Tempel des Königreichs.“ Da haben wir's: Nicht Gottes ist das Heiligtum, sondern Jerobeams. Dem König gehört der Tempel. Gott will die Selbst-Beweihräucherung der Mächtigen und ihrer Höflinge und Gehilfen nicht länger ertragen. Das duftet nicht, sondern stinkt ihm. Die hebräische Sprache hält für Nase und Zorn das gleiche Wort bereit. So wird Gottes Zorn auch immer mal als Schnauben der Nase beschrieben. Wir können also folgern: Wenn Gott die ihm dargebrachten Opfer nicht mehr riechen mag, dann wird es wirklich ernst!
Der Prophet Amos ist sein Sprachrohr. Er muss den Missbrauch des Heiligen beim Namen nennen. Dabei sind die Gottesdienste und Lieder selbst nicht der Skandal, sondern die betrügerischen Absichten, in denen sie stattfinden. Die Gottesdienste sind verwahrlost zu Menschendiensten. Salopp gesagt: die Rauchschwaden von den Altären sollen Gott Augen und Hirn vernebeln und die Harfenklänge seine Ohren verstopfen für die Klagen der Unterdrückten und ihrer Rechte Beraubten.
Doch Gott lässt sich weder von den Düften der Opfer an der Nase herumführen nochbetrügen. Er weiß, was die falschen Tempeldienste vertuschen sollen. Amos zählt an anderer Stelle die Misstände auf, wie sie im Umfeld der Heiligtümer Bethel, Gilgal und Beerscheba und am Hofe des Königs Jerobeams grassieren: sie verwandeln das Recht in Wermut und stoßen die Gerechtigkeit zu Boden. Sie bedrängen die Gerechten und nehmen Bestechungsgelder. Sie lassen die Armen im Tor bei Gericht nicht zu Wort kommen und hassen die gerechten Richter. Sie verabscheuen den, der die Wahrheit sagt. Sie unterdrücken die Armen und erpressen von ihnen hohe Abgaben an Korn.
Solche Rechtsbrecher versammeln sich dann zu den Feiertagen in den Heiligtümern, opfern Gott und singen ihm schöne Lieder.
Gibt es heute Vergleichbares? Ich glaube schon – überall, wo Menschen das Heilige, die Religion für ihre eigenen Zwecke benutzen. Wo sie sich mit kirchlichen Ämtern zum Beispiel in der Gesellschaft einen guten Namen machen wollen statt sich ernsthaft den damit verbundenen Aufgaben zu widmen. Kurz und bündig: überall dort, wo Wort und Taten nur Lippenbekenntnisse sind , aber das entsprechende Handeln nicht stattfindet. Auf Sand gebaut sind solche Worte und Taten. Sie halten strömendem Wasser nicht stand.
Worum es geht, bringt auch der Prophet Micha auf den Punkt (Micha 6,8): Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Wobei wir ergänzen können: „Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut für Dich ist.“
Denn Gott will das Gute für uns. Deshalb sollten wir sein Wort nicht nur hören, sondern tun: Das ganze Leben ist ein Gottesdienst, nicht nur die paar Stunden im Tempel oder in der Kirche.
„Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Wir wissen, dass Wasser in Israel etwas sehr Kostbares ist. Wenn Recht wie Wasser strömt und Gerechtigkeit zur nie versiegenden Quelle wird, ist das der höchste Ausdruck von Fülle und Überfluss. Vielleicht ist es sogar als Kraft gemeint, die alles andere wegspült, so wie eine Springflut in einem ausgetrockneten Bachbett nach einem Sturzregen. Warum auch nicht: Gottes Herrschaft hat im Vergleich zur beschriebenen korrupten Menschenherrschaft etwas Umstürzendes! Genau davor fürchten sich ja Despoten wie Jerobeam.
Im April 1987 wandte sich eine Gruppe aus der Berliner Bartolomäusgemeinde an die Bundessynode der Evangelischen Kirche mit einem Aufruf zur Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung. Als Motto über diesen Aufruf stand: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Amos 5,24).
Der Aufruf wurde in der Synode diskutiert und sollte dann an eine größere Öffentlichkeit gelangen. Die Verfasser und Verfasserinnen riefen dazu auf, in einer polarisierten Welt, die auf Abschreckung vertraute, Frieden und Sicherheit auf völlig neuen Wegen zu suchen. Dazu sollte das Prinzip der Abgrenzung, die überall die Gesellschaft bestimmende Trennung in Gut und Böse, überwunden werden. Die ging ja bis zu den Mauern in den Köpfen. Stattdessen vertrauten die Christinnen und Christen aus der Berliner Gemeinde in die Mauern einreißende Kraft der göttlichen Gerechtigkeit. Dieses Vertrauen war eines der Fundamente dafür, dass zwei Jahre später in unserem Land viele tausend Menschen mit Kerzen statt Steinen in der Hand den bewaffneten staatlichen Kräften entgegengingen.
So hat unser Bibelvers auch in unseren Biografien Geschichte gemacht.
Bei unserem Bibelgespräch am Dienstag dachten wir darüber nach, was genau es mit der Gerechtigkeit und dem Recht auf sich hat: Ist es die Gerechtigkeit, die von Gott kommt? Ist es die Gerechtigkeit, die von Menschen ausgeht, wenn sie den rechten Gottesdienst auch im Alltag feiern?
Diese Frage lässt sich nicht klar beantworten – ich meine, das ist deshalb so, weil die Gerechtigkeit ein uns alle umfassender Begriff ist. Gerade erst lasen wir in der Bibelwoche aus dem Buch Genesis: Dort erfuhren wir, dass Gott mit Noah, seinen Nachkommen und der ganzen Schöpfung einen einseitigen Vertrag schloss, mit dem Inhalt: nie wieder ein Strafgericht zu vollziehen, das Schuldige und Unschuldige gleichermaßen vernichtet. Damit hat Gott sich selbst den Menschen gegenüber auf ewig festgelegt. D a s ist seine Gerechtigkeit. Erinnern wir uns an Abraham, als er von Gott erfuhr, dass dieser die Städte Sodom und Gmorrha vernichten wollte. Er begann mit Gott zuverhandeln (Gen 18):
„Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen, die darin wären? Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, so dass der Gerechte wäre gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir! Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten?“ Abraham erinnerte Gott an sein Versprechen, an die Gerechtigkeit, die Gott nicht nur den Menschen verordnet hat, sondern an die er sich selbst gebunden hat. Er handelte die Zahl der möglicherweise Gerechten herunter bis auf zehn: Zehn Gerechte hätten ausgereicht, um das Strafgericht gegen Sodom und Gomorrha zu verhindern.
Wir wissen, dass es nicht einmal zehn waren und nur Abrahams Verwandter Lot mit seiner Familie zu den Freunden Gottes gehörte. Die wurden von Gottes Engel aus der Stadt geleitet, bevor das Strafgericht hereinbrach.
Am 15. November 2023 hielt der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm die Eröffnungsrede zum Münchener Literaturfest1. Dort erzählte er die Abrahamsgeschichte im Hinblick auf die furchtbaren Ereignisse am 7. Oktober in Israel und das Strafgericht der israelischen Armee in Gaza. „Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen.“ Wenn das für Gott gilt – um wie viel mehr für uns Menschen! Die Gerechtigkeit steht über allem.
So macht uns die prophetische Verheißung Hoffnung - auch in den schlimmsten Zeiten.
Wir hier in der Gemeinde reden immer einmal darüber, welche Rolle der Konziliare Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung für unser Leben und unsere Gemeinde spielen kann. Wir können vom Propheten Amos Hoffnung lernen. Seine Anklage sozialer Missstände, sein Widerspruch gegen die Dynamik des Reichtums und der Gewalt ist nicht zu trennen von der Hoffnung auf eine Welt, in der das Recht strömt wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach (Amos 5,24), in der es nicht dunkel bleibt über denen, die in Angst sind (Jesaja 9,2), in der Traurige getröstet und Hungernde satt werden und endlich den Sanftmütigen die Erde gehört (Matthäus 5,5). Vertrauen wir auf die unerschöpfliche Quelle und bitten wir Gott, dass er jeden von uns zur Quelle seiner Gerechtigkeit macht.
Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Anmerkung: Die Rede Omri Boehms zum Münchener Literaturfest im Wortlaut hier: 1 www.sueddeutsche.de/kultur/omri-boehm-universalismus-1.6304278 , leider hinter Bezahlschranke. Wer sie dennoch lesen möchte, schreibe mir: dorothea.hoeck@gmx.de
Sie haben es erkannt, liebeSchwestern und Brüder, das „Halleluja“ von Leonhard Cohen vor Beginn unseres Gottesdienstes. Er als Jude mag den Juden Jesus. „Ich liebe Jesus. Das habe ich schon immer getan“, sagte er 1997 in einem Interview. „Ich kann auf Hebräisch beten, kann mit dem Boss hebräisch reden.“
„Er ist vielleicht der prächtigste Kerl, der je auf Erden herumgelaufen ist. Einer, der gesagt hat: „Selig sind die Armen, selig sind die Sanftmütigen“, muss eine Persönlichkeit von einzigartiger Güte, Einsicht und Verrücktheit gewesen sein. Ein Mann, der erklärt, er habe seinen Platz bei den Dieben, den Prostituierten, den Heimatlosen. Seine Position ist mit dem Verstand nicht zu fassen. Es ist eine unendliche Großmut. Eine Großmut, die die Weltordnung über den Haufen werfen würde, wenn sie Schule machen würde, denn nichts könnte diesem Mitgefühl standhalten. Die Persönlichkeit dieses Mannes hat mich berührt – auch wenn ich weiß, was im Laufe der Geschichte durch das institutionalisierte Christentum alles angerichtet worden ist.“
Leonhard Cohen, 1984. Dieses Lied, sagt er, ist aus dem Wunsch entstanden, meinen Glauben zu bezeugen und zwar mit Enthusiasmus und Gefühl. Seinem jüdischen Glauben.
Sie hätten sich wohl gut verstanden, der Jude Jesus von Nazareth und der Jude Leonhard.
Worüber sie wohl heute reden würden? Über das, was aus den Positionen Jesu geworden ist, was sich entwickelt hat, was derzeit im Argen liegt?
Wie ist das bei Ihnen, bei uns, denken und glauben wir von der Fülle her oder vom Mangel?
Zur Zeit ist überall ja eher vom Mangel die Rede, bei den Finanzen, in der Politik, bei Fachkräften, bei Wohnungen und auch in den Kirchen herrscht Personalmangel, auch was die Mitglieder betrifft; beim Geld, na ja, weil da nicht so von geredet wird, wird’s da noch nicht so aussehen. Aber es wird schon gewarnt, was bald alles nicht mehr kommen wird und wo gespart werden muss.
Und da ist in Politik und Kirchen fast kein Unterschied... bzw. doch, weil Kirchenleitungen derzeit mehr mit sich selbst beschäftigt sind und dem beschädigten Bild von Kirche und wer wohl daran den größten Anteil hat und den Ängsten, wohin das alles führt. Festhalten an Privilegien. Macht und Strukturen, Angst und Befürchtungen, gerade in der Leitung, bringen nicht weiter, lassen kein Halleluja singen.
Ja, und wie denken wir bei uns selbst? Oder denken Sie, ich möchte jetzt gar nicht darüber nachdenken. Und außerdem soll hier ja eher von der Hoffnung die Rede sein, die uns erfüllt.
Hoffnungsvolles, das brauchen wir und war da eben bei Markus die Rede davon?
Ja, wirklich, ein bisschen mehr Heil, ein Heilungsprozess ganz hilfreich, weil es mit der Gesundheit, mit Beeinträchtigungen, manchem Leid gerade nicht leicht ist?
Könnten wir da nicht so einen Heiland, wie eben beschrieben dringend brauchen und da gibt es ja noch weitere solcher Heiland-Geschichten im 2. Testament.
Oder anders gesagt: Macht er gerade eine Pause, wie eben gehört, wo doch Krankheiten, Behinderungen, Ausgrenzungen, Hilfsbedürftigkeit, Besessenheit heute nicht weniger da sind.
Wäre dieser Heiland Jesus heute unterwegs, gäbe es da auch Wartezeiten von Monaten, volle Terminkalender, volles Programm? Gut, er musste bei keiner kassenärztlichen Vereinigung abrechnen. Er fragt nicht nach einer Krankenakte, nach Vorerkrankungen, Selbstverschulden, falscher Ernährung. Eine Diagnose – trifft er nicht, ein warum interessiert ihn nicht.
Was er macht:
Die Schwiegermutter des Petrus „fasst er an und richtet sie auf“; und anderswo heißt es, dass er die Menschen „ansah“, oft nicht anfasste und dennoch ins Leben schickte, manchmal mit einem Impuls, es künftig anders anzugehen das Leben, die Beziehung. Er nimmt Lasten ab, schenkt Freiheit, vergibt Schuld, weil Krankheit oft als Strafe gesehen wurde. Ja, und er hat auch geheilt, Kranke und Besessene, alle möglichen Krankheiten der damaligen Zeit.
Die, die sich innerlich zerbrochen fühlten, wie nicht heil und nicht richtig sein sollen und sich so fühlen. Sie erleben, dass Jesu Worte sie heilen, helfen ihnen ihr Leben so zu leben mit der Kraft, die sie haben.
Und alles, was sie leben, auch das Kaputte, das Versagte, lebt mit ihnen und das Strahlende lebt mit ihnen. Sie konnten es manchmal nicht spüren, aber sie sollten heil sein.
Da war dann plötzlich „Luft nach oben“, wie man heute so schön sagt, ganz viel Platz, ganz viel Zwischenmenschliches. Da war plötzlich wieder Zukunft.
Da hätten wir uns sicher auch eingereiht in die Menge der Hilfesuchenden.
Heilung, wer braucht das nicht? Dem Heiland begegnen, berührt, aufgerichtet zu werden, Schuld vergeben zu bekommen, Aussicht auf neues Leben. Nein, sich wahrhaftig neu, wieder lebendig fühlen und so leben.
Man wird nicht einmal und für immer geheilt, sondern immer wieder.
Die Geschichten vom „Heil - werden“ fangen immer wieder von vorn an. Und man schaut zurück und fragt, welche Wunde noch immer schmerzt und welche Narbe noch immer juckt und was eigentlich schon einmal geholfen hat. Außer „heile, heile Gänschen“ in der Kindheit.
Was hat mich stärker gemacht, als ich gedacht habe?
Ressourcen heißt das heute, Kraftquellen wie Musik, ein ganz bestimmter Ort, oder ganz anders: die Gewissheit, dass Liebe keine Gegenleistung erwartet.
Manchmal muss man allein sein, um zu heilen, und andere können einen krankmachen, unheil oder sind einfach zu anstrengend.
Und da ist noch etwas, da sind noch andere, für die er gekommen ist, zu predigen, das hieß damals die Schrift auszulegen, das Dämonische anzugehen und nicht links oder rechts liegen zu lassen. Ganz anders von Gott zu erzählen, als es damals die Regel war.
Oder, wie ich mir eigentlich Gott vorstellen darf: wie einen Raum voller Liebe, die sich nicht aufdrängt, ein Raum, in dem ich endlich heilen, heil werden kann.
Bei Jesus und seinen Heilungsgeschichten wirkt es oft so, als sei es ein Raum, wo sich zwei begegnet sind, manchmal ohne Erwartungen, ohne Druck, manchmal ganz gezielt, etwas drängend, hoffend. Und dann die Zuwendung, die Liebe, die freispricht und heilt.
Aber immer wieder ist er weg, nimmt sich eine Auszeit, selbst da oder gerade da, wo man sagen würde: jetzt geht das aber nicht, jetzt muss in Gottes Namen doch getan, geheilt, gehört, gehandelt werden. Die Menschen strömen nur so, es hat sich herumgesprochen, wie das immer so ist bei solchen Ereignissen. Doch Er lässt alles stehen und liegen und zieht sich zurück.
Es geht nicht anders, er kann nicht nur auf Hochtouren laufen, er braucht die Auszeit, um sich neu zu vergewissern, zu orientieren, ober noch das rechte Ziel verfolgt.
Vor lauter Aktivismus, unermüdlicher Tätigkeit – alles richtig undwichtig – will er das rechte Ziel nicht aus dem Blick verlieren.
Die Gefährten von Jesus blicken das nicht. Machen wir ihnen keinen Vorwurf, wir tun es auch nicht.
Er soll die Gunst der Stunde nutzen, die Woge des Erfolgs, dran bleiben, weitermachen, Eindruck machen bei den Menschen.
Einsamkeit und Gebet, das Gespräch mit Gott, Verweilen, weil Gott für ihn die Kraftquelle seines ganzen Lebens und Wirkens sind. Er weiß, ohne die Rückbindung zu Gott, kann die Bindung zum Nächsten nicht gelingen.
Das ist heute nicht anders, keinesfalls.
Eigentlich wissen wir das: so mancher Aktionismus, von einem Termin zum anderen, Druck von allen Seiten, natürlich auch global, alles im Blick behalten, Klima, Kriege, den Markt, den Gegner, den Gewinn, die Menschen, die nächste Wahl, die Position; was alles dabei verloren geht, oft unwiederbringlich, gerät aus dem Blick.
Jesus hatte damals noch keine Beratungsfirmen, keine Coaches, keinen Personaltrainer, und wovon hätte er sie auch bezahlen sollen.
Oder vielleicht doch, Coaching von seinem Vater, Gott, in der Stille, rechtzeitig, um dann wieder zurückzukehren, sich den Menschen neu und erneuert zuzuwenden. Von ihm zu predigen, dem Gott der Menschen und der gemeinsamen Zukunft, dem Reich Gottes.
Darum geht es, es soll, es ist jetzt schon angebrochen, mit ihm.
Wer soll das verstehen, als Jude?
Im jüdischen Glauben ist das Konzept von einem himmlischen Leben nach dem Tod relativ selten, ist Himmel nicht so wichtig. Wie man das jetzige Leben verbringt ist wichtig. Damals und heute.
Ich las kürzlich folgende Begebenheit: Ein Mädchen in einer Synagogen-Schule in den USA, das Mädchen ist gehörlos. Eine Lehrerin sagt zu ihr: Mach dir keine Sorgen, in der kommenden Welt wirst du hören. Aber das Mädchen antwortete: In der kommenden Welt kennt Gott Gebärdensprache.
In diesem Antwortsatz steckt doch auch etwas noch anderes, der Wunsch nach einer Welt, wo jeder Gebärdensprache kennt, wo jeder Platz für Rollstuhlfahrer hat, wo Behinderung, Blindheit, Gehörlosigkeit, verstanden ist als ein Teil unseres Lebens.
Wo Menschen mit Einschränkungen, die anders sind, sich der Normalität anzupassen haben bzw. in sie eingepasst werden
Da sind wir wieder mitten im heutigen Evangelium, im Leben Jesus von Nazareth, in seiner Nachfolge. Innehalten, dieses Ziel neu in den Blick nehmen und die nötigen Konsequenzen auch wirklich ziehen und umsetzen, jetzt. Keiner und keine ist auszuschließen.
Da ist noch immens Luft nach oben. Da gibt es noch viel zu tun. Da sollten wir dabei sein.
Gut, dass wir da sind, hier und nach dem wir Ihm im Wort begegnet sind, ihm noch beim gemeinsamen Mahl zu begegnen und danach gestärkt, etwas heiler zu gehen und zu teilen.
Vor der Sendung kommt die Sammlung, vor dem Geben das Empfangen.
Nur als Beschenkter kann ich ein Schenkender sein, nur als Gesegneter ein Segnender.
Oh, Jeremias, ich wollte Dir nicht vorgreifen.
Als Beschenkte im gemeinsamen Glauben sind wir hier, zu feiern, was sollte uns aufhalten.
Papst Franziskus hat diesen Sonntag als Sonntag des Wortes Gottes ausgerufen. Das geschieht auch mit Blick und zur Vorbereitung auf das Heilige Jahr 2025.
Das Wort Gottes steht bei uns ohnehin schon ganz im Mittelpunkt, wenn wir jede Woche uns zum ökumenischen Bibelkreis treffen oder jetzt gerade die ökumenische Bibelwoche begehen, die das Buch Genesis ins Zentrum rückt. Das soll auch in diesem Gottesdienst besonders in den Blick kommen.
„Ich wünschte, ihr wäret ohne Sorgen“, schreibt Paulus den Korinthern (wir werden diese Lesung heute weglassen). Ja, das wäre in der Tat schön, all die Sorgen mal beiseite legen zu können und ganz aus dem Vertrauen auf Gott zu leben. Aber Sorgen sind nunmal hartnäckig; sie lassen sich nicht einfach abstreifen.
Und doch können wir sie mit hier an den Altar bringen, sie vertrauensvoll zu unserem HERRN tragen. Bei ihm sind sie gut aufgehoben. Wir müssen nicht alles alleine tragen, denn er trägt mit. Er ist und bleibt bei uns. In seinem Erbarmen wird er uns auch auf seine Weise helfen. Werfen wir unsere Sorgen auf IHN; denn ER sorgt für uns.
„Das Reich Gottes ist nahe!“– Gott? Wo bist du denn?!
„Da sagte ER zu ihnen: Kommt her, mir nach!“
Gott,
und jemand muss dich aushalten,
dich ertragen, ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten,
ohne an deinem Kommen zu zweifeln.
Dein Schweigen aushalten
und trotzdem singen.
Das muss immer jemand tun
mit allen anderen
und für sie.
Ach, lass dir den Protest meiner Liebe gefallen.
Die Verhaftung des Täufers Johannes markiert den Anfang der Verkündigung Jesu. Viele Menschen lassen sich seitdem von seinem Wort in Bewegung bringen. Zuerst sind es einfache Fischer vom See Genezareth. Bald werden es Menschen unterschiedlichster Herkunft sein.
Auch wir sind hier, um Ihm zu begegnen und sein Wort zu hören. Wird es uns treffen? Was wird uns heute bewegen?
Öffnen wir uns. Sind wir jetzt ganz Ohr. Lassen wir beiseite, was uns hindert, IHM zu begegnen – IHM nachzufolgen. Ja, wir tun uns oft schwer, Gottes Wege zu verstehen – wie Jona, dieser eigenartige Anti-Prophet, der meint, sich Gottes Willen verweigern zu müssen. Wird Gott uns zur Nachfolge bringen? Uns und alle, die sich Christen nennen? Beten wir heute wieder besonders um die Einheit aller, die sich um Christus versammeln!