Früher oder später stößt man in Erfurt unweigerlich auf ihn: den Dominikaner „Meister Eckhart“.
Er wurde vermutlich 1260 in der Ortschaft Hochheim (oder Tambach) im Thüringer Wald geboren, wurde Dominikaner, studierte in Paris und war lange Jahre Lehrer geistlichen Lebens für viele Menschen. Als Prior des Erfurter Predigerklosters wurde er schließlich aufgefordert, sich in Avignon für einige Sätze aus seinen Schriften zu rechtfertigen. Irgendwann in der ersten Jahreshälfte 1328 muss er in der Nähe der Papstresidenz wohl gestorben sein.
Eine Aura umgibt diesen Mann. Man sieht in ihm DEN Mystiker des hohen Mittelalters. Das macht ihn interessant. Aber ich muss zugeben: Was ich bisher über ihn gelesen habe, überfordert mich. In Erfurt pflegt die renommierte Meister-Eckhart-Gesellschaft sein Andenken. Aber ich fühle mich der Tiefe seiner Gedanken nicht gewachsen...
„Meister Eckhart für Dummies“. So etwas bräuchte ich vielleicht!
Zumindest: „Eine Einführung“. Der Einführungsvortrag am Freitag (Renate Morawietz, die einen guten Überblick über Eckarts Leben gibt), zwei „Workshops“ am Samstag (Dorothea Höck und die Ritaschwestern aus Würzburg, Sr. Carmen und Sr. Ursula) schlagen für mich und zahlreiche andere Teilnehmer die Schneise durch die Gedankenwelt des Mystikers.
Mir wird klar:
Worte Meister Eckharts, gesprochen im weiten Raum der Reglerkirche, wirken auf mich und erreichen mein Herz. Ich spüre mich hineingenommen in das göttliche Geheimnis, angeregt nach „mehr“ zu suchen... Die Fragen zulassen, nicht gleich schon Antworten „wissen“! Es berührt mich, dass meine Suche als Priester nicht unähnlich der Suche der anderen Menschen ist, die sich mit mir auf Eckharts Texte einlassen - gläubige wie „naturbelassene“ Sucher.
Am Nachmittag steht Eckharts Interpretation der Episode Lukas 10, 38-42 im Zentrum: Jesus kehrt bei Marta und Maria ein, zwei Schwestern, die mit ihm befreundet sind. Während Maria dem Herrn zu Füßen einfach zuhört, ist Marta ganz davon in Anspruch genommen, die Gäste zu bedienen.
Traditionell wird das Evangelium oft so gedeutet: Marta würde getadelt, weil sie die (bessere) „Kontemplation“ durch ihre Aktivität vernachlässige. Eckhart aber deutet – wie übrigens auch bereits bei Augustinus anklingt – die Intervention Martas beim Herrn anders: als Sorge, Maria könnte sich einrichten im (bloßen) Zuhören und darüber vergessen, dass auch die tätige Liebe zum Leben mit Gott gehöre. Marta ist da schon weiter: Ihr Herz ist fest beim Herrn, selbst wenn sie das „Süpplein“ für die Armen kocht.
Der Samstag schließt mit einem großen Highlight in der Predigerkirche, also der Klosterkirche Meister Eckharts: „Durch die Wüste zum Einen. Christliche trifft islamische Mystik“. Neben Eckhart kommt nun auch sein Zeitgenosse und Begründer des Sufismus Rumi aus Afghanistan bzw. der heutigen Türkei zu Wort.
Es verblüfft, wie die Gedanken dieser beiden Männer sich ähneln, die sich doch nie getroffen haben. Wer Gott sucht, der scheint ähnliche Wege geführt zu werden. Dabei kann auch Musik unterstützen, sei es ein Bach auf der Orgel oder die Klänge von syrischer Oud, türkischer Ney und Rebab. Und Pirusans Rezitation von Worten Rumis rühren mich, der ich eigentlich kein Wort verstehe, zu Tränen...
Jesus Christus, der HERR & Erlöser, ER, der Gerechte, sei mit euch!
„Es geht! Gerecht.“ Fasten heißt Fragen: Woraus lebe ich? Wofür setzen wir uns ein? Was können wir teilen? In der Fastenaktion finden wir Antworten und handeln gemeinsam.
„Es geht! Gerecht.“ Mit diesem Leitwort ermutigt MISEREOR, uns den Fragen und Herausforderungen des Klimawandels zu stellen. Diesen Mut beweisen schon die Partnerorganisationen MISEREORs auf den Philippinen und in Bangladesch. In städtischen Armenvierteln gehen sie Wege, mit den Folgen des Klimawandels zu leben. Und sie erheben ihre Stimme, um die politisch und gesellschaftlich Handelnden vor Ort zu verantwortlichen Entscheidungen zu bewegen.
Welche Antworten geben wir auf die Fragen des Klimawandels? Wo können wir zu Botinnen und Boten eines Lebensstils werden, so dass Mensch und Schöpfung Gerechtigkeit widerfährt?
„Lass reiche Frucht aufgehn, auch wenn wir unter Tränen sä’n...“ Bitten wir Gott, unsere Herzen und Hände zu öffnen: Für ihn, seine Botschaft und unsere Mitwelt.
Exegetisch ist das heutige Evangelium problematisch. Es fällt aus dem Rahmen des Johannes-Ev, fehlt in älteren Textzeugnissen ganz und würde sich tatsächlich eher ins Lukas-Ev einpassen. Aber wie dem auch sei: Es ist ein Text voller Spannungen, der zugleich das gesamte Wirken Jesu und seine Sendung reflektiert.
Vielleicht ist der Verweis auf den Ölberg, auf dem Jesus offenbar übernachtete, kein Zufall. Wer schon mal in Jerusalem war, hat die großen Gräberfelder am Ölberg gesehen. Dicht an dicht reihen sich die Grabsteine, inzwischen sogar mehrstöckig in die Tiefe gegraben. Es sind die besten Bestattungsplätze für Juden aus der ganzen Welt, wahrscheilich auch die teuersten.
Warum ist das so? In der Endzeit wird laut dem Propheten Sacharja (Sach 14,4) der HERR seine Füße auf den Ölberg setzen. Der Messias betritt von hier aus die heilige Stadt Jerusalem. Damit beginnt die Auferstehung von den Toten: „Wenn die Toten auferstehen werden, wird sich der Ölberg spalten und alle Toten Israels werden dort aufsteigen“ (Targum zu Hld 8,5).
Das geschieht bereits jetzt in unseremEvangelium. Jesus, der Christus, wie der Evangelist überzeugt ist,kommt den Ölberg herab und geht in den Tempel. Jetzt rettet er vomTod. Die Endzeit hat begonnen und mit ihr die Auferstehung von denToten.
Dem Tod geweiht ist ja laut Gesetz die frisch ertappte Ehebrecherin. Das jedenfalls behaupten die Schriftgelehrten und die Pharisäer (diese Kombi gibt es eigentlich nur bei den Synoptikern, nicht bei Joh!). Ihr vermisst den Mann, den es für den Ehebruch schließlich auch braucht? Zu Recht! Aber es wird deutlich, dass es den Schriftgelehrten nicht um Gerechtigkeit geht. Sie wollen Jesus „auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen“, heißt es. Die Frau ist also lediglich Mittel zum Zweck.
Warum? Zwar zitieren sie Mose: „Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben, Ehebrecher und Ehebrecherin“ (Lev 20,10). Wieder fragt man sich, wo denn dann der Mann geblieben ist? Hat man ihn nicht ergreifen können? Es wird immerhin ein ziemlicher Aufwand betrieben, denn der Ehebruch kann sich ja kaum im Tempel ereignet haben. Die Frau wurde also durch halb Jerusalem zum Tempel gezerrt...
Jetzt steht sie da, der Kreis der aufgebrachten und empörten Frommen um sie herum ist geschlossen. Aber noch einmal: Sie ist nur Mittel zum Zweck. Die Ankläger wissen nämlich genau, dass sie die Frau nicht steinigen können. Das würde die römische Besatzungsmacht nie zulassen. Trotz eines gewissen Rahmens jüdischen Eigenrechts, darf keiner außer Rom über Leben und Tod entscheiden. Später werden die Römer ja auch Jesus ans Kreuz bringen müssen, weil es der Hoherat nicht selber tun kann. Man muss also die Besatzer entsprechend manpulieren.
Dennoch eignet sich die Situation hervorragend, Jesus unter Druck zu bringen. Eigentlich kann er es nur falsch machen. Sollte er nämlich darauf hinweisen, dass Steinigung nicht drin ist (meine Güte, was für eine brutale, menschenverachtende Art, jemand zu töten, und leider keineswegs nur in längst vergangenen Tagen verübt...), wären sie wohl sie Ersten, die schrieen: Da, er redet gegen das Gesetz! Und sollte er der Steinigung das Wort reden – was für uns natürlich überhaupt nicht vorstellbar ist! –, könnte man bereits hier die Besatzer gegen ihn aufbringen. Jesus in der Falle...
Der Menschensohn bückt sich. Dieses Bücken wird zum Symbol seiner Sendung. Jesus beugt sich nieder. Er schreibt in den Staub der Erde. Mancher mag erinnert werden, dass beim Propheten Jeremia die in den Staub geschrieben werden, die dem HERRN den Rücken kehren (Jer 17,13). – Anders in einem Bild Sieger Köders von dieser Szene, auf dem der Finger Jesu ein großes Shalom in den Staub schreibt. – Und Friedolin Stier ist dieses Beugen Jesu so wichtig, dass er es für beide Richtungen verwendet: Jesus beugt sich nach unten und er beugt sich empor, um mit den Schriftgelehrten und später auch mit der Ehebrecherin in Kontakt zu kommen. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie“ (Joh 8,7b). Das sitzt. Das bringt die Verhältnisse wieder ins Lot.
Das macht den großen Unterschied. Bei der Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand, bittet Jesus den Mann: „Stell dich in die Mitte!“ (Lk 6,8) Die Heilung des Kranken wird zum Zeichen der angebrochenen Gottesherrschaft. Aber der Mann bleibt Subjekt im Geschehen. Anders die Ehebrecherin. Sie wurde zum Objekt gemacht. Und auch als schon alle weg sind,wagt sie noch immer nicht, selber fortzugehen.
So beugt sich Jesus auch zu ihr hoch: „Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt?“(Joh 8,10) Jetzt ist nicht mehr entscheidend, dass sie von außen, von einem Mob vor Gericht gezerrt wurde. Jetzt steht sie da, um zu sich selbst stehen zu lernen. Jesus schafft den Spagat, dass die Falle nicht zuschnappt, aber vor allem auch, dass die Frau aus ihrer Rolle heraus kommt und zu sich stehen lernt. Das geht nur, weil Jesus nicht die Richterrolle einnimmt. Er beugt sich, damit ein Mensch in Beziehung zu ihm kommen kann und heil wird.
Übrig geblieben sind am Ende zwei: die Erbarmenswürdige und das Erbarmen – so deutet Augustinus diese Begegnungsgeschichte. Die Frau erfährt eine Stärkung: „Hat dich keiner verurteilt?“ – „Keiner, Herr.“ – Da sagte Jesus zu ihr: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ Die Frau soll und darf Verantwortung für sich übernehmen. Genau das wird ihr von Jesus auch zugetraut: Sie kann und soll einen Neuanfang wagen!
War das nicht doch zu groß? Vielleicht. Aber darum geht es nicht in erster Linie. Es geht darum, dass Unrecht nicht bagatellisiert wird („Wir sind halt alle Sünder!“; oder: „Das machen doch alle!“). Unrecht wird benannt und als solches nicht wegdiskutiert. Das Neue ist, dass die Frau nicht mehr Objekt ist, über das andere herfallen und urteilen. Sie soll für sich selbst Verantwortung tragen.
Jesus kommt über den Ölberg in den Tempel. Die Endzeit bricht an. Das Leben, das Gott schenkt, wird sichtbar. Christus bringt nicht den Tod, sondern das Leben in Fülle. Es ist ein Beziehungsangebot Gottes. Ein Mensch wird in die Verantwortung gestellt. Aber er darf sich der Hilfe Gottes sicher sein. Der Menschensohn verurteilt nicht. Er befähigt zum Guten. ER beugt sich nieder, er verhüllt seine Gottheit bis zur Selbstentäußerung und so, wie nun die Kreuze verhüllt sind. Bald aber sollen wir sehen und erkennen: Im Kreuz ist Heil. Im Kreuz ist Leben. Im Kreuz ist Hoffnung. Amen.