Am Sonntag (20.10.) haben wir uns bei einer Finissage von den Königen unserer Ausstellung verabschiedet.
Sie reisten weiter zur City-Pastoral nach Weißenfels.
Die Könige sind uns sehr ans Herz gewachsen. Deshalb haben wir beim Künstler Ralf Knoblauch angefragt, ob wir eine Figur auf Dauer beherbergen (und auch immer wieder auf Wanderschaft schicken) dürfen. Er hat sich bereit erklärt, uns eine Figur zu überlassen, wenn wir ihn bei seinem aktuellen Spendenprojekt unterstützen.
Das Geld wird zum größten Teil für die Aktion "WDR Weihnachtswunder" verwendet werden. Ein kleinerer Teil wird es Ralf Knoblauch ermöglichen, die vorhandenen Könige zu restaurieren.
Wer die Aktion unterstützen möchte, kann seine Gabe jederzeit in unseren Spendentopf einwerfen oder den Betrag überweisen (jeweils mit Betreff "Könige").
Näheres zum Spendenanliegen in einer Videobotschaft von Ralf Knoblauch an uns.
Hl. Messe am 29. Sonntag im Jahreskreis B mit Lobpreisliedern
Predigt zu Jes 53,10-11 (2 Verse aus dem Vierten Gottesknechtslied) von Br. Jeremias M. Kiesl OSA
Jesus war ein guter Lehrer. Aber er hatte schlechte Schüler – und die hat er bis heute: Schüler, die auf Stühlen sitzen wollen – statt sich in Bewegung zu setzen und ihren Weg zu suchen: tastend & fragend...
Trau keinem Gedanken, der dir im Sitzen kommt!
Trotz vieler Unsicherheiten: Christus geht voran. Er führt in die Freiheit. Doch dieser Weg ist in Armut zu bestehen. Er führt durch Schwachheit und Ohnmacht.
Kirche darf nicht zuerst ein fester Ort, eine Burg oder gar ein Machtapparat sein. Sie muss Bewegung sein. Sie muss wachsame Zeugin für den lebendig anwesenden Gott sein und immer wieder neu werden.
Gehen wir mit! Oder wollen wir unsere Ruhe haben?
Nur zwei Verse haben wir heute als erste Lesung gehört. Sie sind dem Propheten Jesaja entnommen. Genauer stammen sie aus dem „Vierten Gottesknechtslied“ in Deutero-Jesaja. Damit ist klar: Dieser Text entstand im Babylonischen Exil.
„Der HERR hat Gefallen an dem von Krankheit Zermalmten“ (Jes 53,10). Das ist der Höhepunkt all dessen, was die vorhergegangenen Verse schon alles vom Gottesknecht gesagt haben: eine lange Passion, denn er wird dahingerafft, durchbohrt, misshandelt und niedergedrückt. Jetzt bleibt nichts mehr übrig von ihm: Er wurde zermalmt.
Natürlich haben Christen schon bald im geschundenen Knecht Gottes Christus gesehen. Das liegt auf der Hand. Bleiben wir trotzdem noch ein wenig in der Zeit des Ersten Testamentes. Das hilft uns, den Text nicht zu schnell eng zu führen.
Es ist nicht klar, wer dieser Knecht ist. Ist es ein Prophet? Ist es der künftige Messias, der da kommen soll? Ist es ein konkreter Mensch – oder ist es vielleicht das Volk Israel insgesamt? Für alle diese Deutungen kann man gute Gründe finden. Aber eine Deutung, die zum Teil auch aus irreführenden Übersetzungen herrührt, müssen wir ausschließen: Nein, Gott gefällt es nicht, wenn ein Mensch leidet. Das wäre ein ganz verdrehtes Gottesbild. Und das lässt sich mit der Bibel wirklich nicht begründen.
Leiden ist keine Strafe Gottes. Es ist falsch zu denken, wer leidet, sei aus Gottes Wohlwollen gefallen. Da sind manche ja schnell dabei. Auch uns selber kommt schon mal dieser Gedanke, wenn einfach nichts gelingen will... Ob das nicht eine Strafe Gottes sei? Nein, ganz im Gegenteil. Der Prophet Jesaja wagt die Aussage, dass der von Krankheit Zermalmte dennoch Gottes Gefallen findet.
Wir müssen uns den Kontext dieser Jesaja-Stelle vor Augen führen. Das Volk Israel wurde überrannt. Die Oberschicht war exiliert worden. Im Zweistromland sinnen nun die Betroffenen darüber nach, was passiert ist – und wie es theologisch zu deuten wäre: diese völlige Vernichtung des Reiches Juda und seiner Könige, die vielen Toten, die der Krieg gefordert hatte... Immer leiden in Kriegen am meisten die Unschuldigen, das ist ja heute genauso! – die Zerstörung des Tempels, und damit ist doch das Herzstück des religiösen jüdischen Lebens herausgerissen worden...
Wir müssen uns das mal ganz plastisch vorstellen. Wenn sich Israel seiner Schuld bewusst wurde, dann konnte man zum Tempel gehen und das Schuldopfer darbringen, eine Art Wiedergutmachung. – Oder: Am Versöhnungstag (Jom Kippur) wurde im Tempel der Sündenbock präpariert; man lud ihm die Sünden des Volkes auf und trieb ihn dann stellvertretend in die Wüste. Das war nun nicht mehr möglich, weil Jerusalem und mit ihr der Tempelberg ein Trümmerhaufen war. Wie also sollte man Versöhnung mit Gott hinbekommen? Unmöglich!
In dieser hoffnungslosen Situation erkennt Israel, dass Gott nicht in Jerusalem, „dem Ort, wo du wohnst”, geblieben ist. Gott braucht kein Schuldopfer im Tempel und keinen Sündenbock, den man in die Wüste schickt. Er nimmt die Situation des Exils und lässt sie quasi zum Schuldopfer werden: „Wenn du, Gott, sein Leben als Schuldopfer einsetzt, wird er Nachkommen sehen und lange leben” (Jes 53,10). Die Situation scheint hoffnungslos und unwiderruflich. Und doch kann Gott selbst hier Zukunft und Leben wachsen lassen. Das wird Israels unerschütterlicher Glaube.
Ja, dieser Knecht wird sogar zum Kooperator Gottes, wenn Gottes Plan durch seine Hand gelingt. So kann Gott auch das Schlimmste noch zum Guten wenden, aus Nichts Etwas machen (vgl. Meister Eckhart), das Leben und Zukunft bedeutet.
Nicht erst dann handelt Gott, wenn Er Not und Leid verhindert, diesen härtesten „Fels des Atheismus“ – so drückt es der Schriftsteller Georg Büchner im 19. Jahrhundert aus. Gott steht dem leidenden Menschen bei. Er nimmt ihn in Dienst und macht ihn zum Mitarbeiter der Erlösung für „die Vielen“ – und das sind potenziell alle: Gottes Licht scheint ihm auf. Er lernt seinen Gott neu kennen; er wird satt von der Erkenntnis Gottes und seiner Weisheit. Gott nenntihn „mein Knecht“ und „der Gerechte“, der die Schuld der Vielen trägt und erträgt... (vgl. Jes 53,11).
Am absoluten Nullpunkt gibt Israel nicht auf, sondern findet seine Beziehung zu Gott ganz neu. Geschunden, ja zermalmt erfährt das Volk Gottes, dass der HERR nicht im zerstörten Jerusalem geblieben ist. Er hat sein Volk ins Exil begleitet!
Im Exil ist diese neue Erkenntnis der Lichtblick. Man studiert die Heiligen Schriften neu. Das Volk Gottes erkennt: Es gibt nicht die vielen Götter! Es gibt nur den einen Gott und HERRN der ganzen Welt. Zu diesem strikten Monotheismus findet Israel ausgerechnet im Exil, am äußerlichen Nullpunkt – und schenkt diesen Glauben der Welt und uns bis heute. Das Volk Gottes „sättigt sich an [dieser] Erkenntnis“(vgl. V. 11).
Bereits damals blitzt auf, dass diese Erkenntnis für „die Vielen“ Bedeutung hat: für die ganze Welt. Freilich nicht in einem Automatismus, sondern wir tragen diese Erkenntnis in zerbrechlichen Gefäßen. So steht sie allen zur Verfügung, die sich ihr öffnen.
Der Schrecken der Shoah wurde für Juden im 20. Jahrhundert zur (auch) theologischen Herausforderung. Hitlers Plan, alle Juden zu vernichten und ihre Leichen in den Krematorien der Lager zu verbrennen, prägt die Rede vom „Holocaust“, was Brandopfer bedeutet. Das mag an Jes 53 erinnern, bleibt aber problematisch. Juden verwenden eher das Wort Shoah. Dennoch haben auch jüdische Theologen diese Katastrophe als Hingabe für die Welt verstanden und damit die Tradition aufgegriffen, wonach das priesterliche auserwählte Volk Israel sich für diese Welt und ihre Erlösung hingibt.
Im Deutschen geraten wir mit dem Begriff Opfer schnell auf Abwege. Viele andere Sprachen differenzieren viel stärker. Englisch „victim“ bedeutet etwa, dass jemand zum Opfer gemacht wird. Unschuldig erleidet er Unrecht, gegen das er sich nicht wehren kann. – Dagegen deutet das Wort „sacrifice“ oder lat. „sacrificium“ an, dass es auch ein Opfer gibt, das jemand freiwillig bringt: Eltern etwa für ihre Kinder, oder Verliebte füreinander. Durch dieses Opfer der freiwilligen Hingabe entsteht „Heiliges“, ein Sakrament, wenn man so will, durch das Gottes Handeln hindurchscheint. Auf diese Opfer kann die Welt nicht verzichten. Davon leben wir alle.
Früh haben die Jünger den Kreuzestod Jesu vor allem als Selbsthingabe gedeutet. Im Opfer Jesu am Kreuz wird die Macht des Todes, des Egoismus und Herrschenwollens überwunden. Christus lernt durch Leiden den Gehorsam: So deutet der Hebräerbrief das Erlösungsgeschehen. Der gehorsame Jesus überwindet Adams Ungehorsam. In Tod und Auferweckung Christi erweist sich Gottes Kraft; sie ist stärker als Unrecht, Leid und Not: „Niemals vergessen – es wird regiert!“, sagte der sterbende Karl Barth.
Am Gehorsam und an der Selbsthingabe Jesu muss die Gemeinde immer wieder Maß nehmen. Mit Petrus gehören Jakobus und Johannes zum „Dreigestirn“ besonderer Beziehung zu Jesus. Aus dieser Nähe mag der Wunsch entsprungen sein, eine bedeutende Stellung im Reich Gottes einnehmen zu dürfen. Karrieredenken, Imponiergehabe, Erfolgsaussichten besetzen allzu leicht das Herz des Menschen. Aber es gibt auch die Lebens- und Schicksalsgemeinschaft der Christen mit dem leidenden Jesus. Das werden wir nachher im Evangelium hören.
Uns mag trösten, dass Gott uns auch im Leid nahe bleibt. Und dass er sogar aus scheinbar sinnlosem Leiden Gutes wirken kann. Er kan aus Nichts Etwas machen. Amen.
Predigt von Pfr. i.R. Dorothea Höck
mit 3 Impulsen von Marie-Luise Morgenstern (Refugio Erfurt)
Orgel: Michael Lorenz
In diesem Jahr hat die Veeh-Harfen-Gruppe Amberg-Sulzbach den Gottesdienst musikalisch mit einer Messe in Oberpfälzer Mundart gestaltet. Hier eine kleine Kostprobe:
Predigt über Markus 9, 30-37 am 22. September in der Brunnenkirche
Und sie gingen von dort weg und zogen durch Galiläa; und er wollte nicht, dass es jemand wissen sollte. Denn er lehrte seine Jünger und sprach zu ihnen: Der Menschensohn wird überantwortet werden in die Hände der Menschen, und sie werden ihn töten; und wenn er getötet ist, so wird er nach drei Tagen auferstehen. Sie aber verstanden das Wort nicht und fürchteten sich, ihn zu fragen.
Und sie kamen nach Kapernaum. Und als er im Haus war, fragte er sie: Was habt ihr auf dem Weg besprochen? Sie aber schwiegen; denn sie hatten auf dem Weg miteinander besprochen, wer der Größte sei. Und er setzte sich und rief die Zwölf und sprach zu ihnen: Wenn jemand will der Erste sein, der soll der Letzte sein von allen und aller Diener. Und er nahm ein Kind, stellte es mitten unter sie und herzte es und sprach zu ihnen: Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.
Liebe Gemeinde,
in unserem Bibelgespräch am Dienstag stand das Kind im Mittelpunkt so wie im Kreis der Jünger. Denen hatte Jesus eben von seinem bevorstehenden Leidensweg erzählt. Ihre Reaktion darauf war mehr als eigenartig: sie hatten nichts verstanden, aber fürchteten sich, nachzufragen. Vielleicht ahnten sie, dass das Angekündigte auch ihr Leben verändern würde. Stattdessen also begannen sie ein Gespräch darüber, wer von ihnen der Größte sei. Dachten sie darüber nach, wer von ihnen die Lücke füllen soll, wenn der Meister nicht mehr da ist? Oder stritten sie sich darüber, wer Jesus am ehesten das Wasser reichen konnte – an Wissen und Verstehen – oder wer am höchsten in seiner Gunst stand? Das wäre nicht untypisch, wir kennen das aus jeder Grundschulklasse. Worum es genau ging, wissen wir nicht.
Oder doch? Die Rangelei der Jünger untereinander um den Platz neben dem Meister im Himmel und auf Erden scheint ein Dauerbrenner gewesen zu sein, sonst würde es im Markusevangelium nicht erstaunlich oft vorkommen. Markus wird ebenso gewusst haben wie wir heute, dass es eine Gemeinschaft sprengen kann, wenn untereinander Konkurrenzen entstehen. Nur wenig später wenden sich die Brüder Johannes und Jakobus vertraulich an Jesus, um sich die ersten Plätze neben ihm im Himmel zu sichern. Jesus reagiert eher barsch: Ihr habt keine Ahnung, was ihr sagt, denn Ihr müsstet meinen Leidensweg gehen. Und dann verwies er auf die Ordnungen der Welt und deren Umkehrung in seinem Reich (Mk 10, 42ff): „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“
Worüber also auch immer unsere Jünger im Anschluss an Jesu Leidensankündigung sprachen: Sie mussten sich belehren lassen: Wer Jesus nachfolgt, sollte Karrieregedanken aller Art fallen lassen.
Aber wie schön ist es doch, dass Jesus dann ein Kind in die Mitte stellt.
Ich finde es eine wunderbare Geschichte: Die Jünger hatten sich ja in Jesu Abwesenheit unterhalten. Als er sie danach fragt, schweigen sie – wie Kinder, die bei etwas ertappt werden, wovon sie genau wissen, dass es nicht in Ordnung ist. Aber Jesus kannte seine Pappenheimer. Also setzt er sich hin – nimmt sich Zeit. Ruft seine Zwölf zusammen – und offensichtlich sind Kinder in der Nähe. Eines also holt er in die Mitte, schließt es in seine Arme und sagt: Will einer Erster sein, so sei er der Letzte von allen – und aller Diener. Wer ein Kind wie dieses aufnimmt, der nimmt mich auf.
So ein Dienen stelle ich mir gar nicht so schwer vor. Du musst nicht der Größte sein? Schau, dieses Kind braucht dich. Das ist doch ein schöner Dienst.
Janusz Korczak, der polnisch-jüdische Kinderarzt, schrieb einmal:
Ihr sagt: `Der Umgang mit Kindern ermüdet uns.´
Ihr habt recht. `Denn wir müssen zu ihrer Begriffswelt hinuntersteigen.
Hinuntersteigen, uns herabneigen, kleiner machen.´
Ihr irrt Euch.
Nicht das ermüdet uns.
Sondern dass wir zu ihren Gefühlen emporklimmen müssen.
Emporklimmen, uns ausstrecken,
auf die Zehenspitzen stellen, hinlangen,
um nicht zu verletzen."
Doch auch von Korczak lernen wir schon, dass einem Kinde dienen keine kleine Aufgabe ist: Er begleitete die Kindern seines Waisenhauses ins Vernichtungslager, obwohl er in Warschau hätte bleiben können.
Für Augustinus sind die Kleinen die Heiligen Gottes. In seinen Bekenntnissen kommt er immer wieder darauf zu sprechen, dass er nach Großem strebte, sich selbst für etwas Großes hielt und auf Menschen herabsah, die seinen geistigen Höhenflügen nicht folgen konnten. Wie Korczak schreibt er darüber, was wir von den Kleinen lernen können: Die Großen im Geiste, die die letzten Geheimnisse erkunden wollen, sind taub für den Ruf Jesu, sie verschmähen es, von ihm „zu lernen, der da sanftmütig und demütig von Herzen" ist. Denn Gott hat dies „verborgen vor Weisen und Klugen und es den Kleinen offenbart.“1
Jesus verlangt nicht von uns, dass wir uns klein machen und ducken. Wir dienen nicht als Sklaven, weil wir müssen, sondern aus freiem Willen. Das ist Demut. Die Krone, wie sie die vielen Figuren hier in der Kirche schmücken, tragen sowohl das Kind als auch die Dienenden. Navid Kermani, selbst Moslem, sagte einmal vor dem Portrait eines betenden Jünglings aus dem Mittelalter: „Demut setzt Würde voraus.“
Dagegen ist das Gerangel um irdische oder himmlische Beförderungen eines Christen, einer Christin unwürdig. Nehmen wir es als Entlastung. Das Wichtigste haben wir schon!
Kommen wir noch einmal zum Kind in der Mitte der Jünger, von Jesus liebevoll umarmt: Dieses Kind sollen wir beherbergen wie Christus. Und in Christus empfangen wir Gott, der sich im Kind vermummt hat. Das erinnert an die Weihnachtsgeschichte. Gott wird zum wehrlosen Neugeborenen, und eröffnet mit diesem neuen Anfang der ganzen Welt eine Zukunft. Wenn Jesus seine Jünger also darauf verweist, ist unser Evangelium etwas mehr als die Aufforderung, nett zu Kindern zu sein...
Nur wenige Zeilen später lesen wir bei Markus (9,42f): „Und wer einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde.“ Diese Stelle fällt aus allem heraus, was uns aus Jesu Mund überliefert ist. Es gibt etwas, dafür gibt es keine Vergebung, keine Wiedergutmachung, sondern nur die Folgerung: Es wäre besser, er wird mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen. Besser als was? Wir wissen es nicht. Klar ist nur: Dass das Vertrauen eines Kindes missbraucht wird, dass ein Kind in seiner Unwissenheit zu etwas verleitet wird, was ihm zum Skandalon, zu einem unüberwindlichen Hindernis im Leben wird, das darf auf keinen Fall passieren.
Aufgefordert sind wir im Gegenteil: Dafür zu sorgen, dass es keine unüberwindlichen Stolpersteine im Leben der Kinder gibt, das ihr Vertrauen nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft auslöscht. Plötzlich wächst die schöne Geschichte von Jesus mit dem Kind in der Mitte der Jünger zu etwas Großem: Zum Dienst an den Kleinsten, den Kindern, gehört, dass wir alles dafür tun, dass sie Zukunft haben. Ich ertappe mich manchmal bei dem Gedanken, dass ich froh bin, dass ich unsere Welt mit ihren außer Rand und Band geratenen Konflikten, mit dem Klimawandel und Ressourcenverbrauch in 50 Jahren nicht mehr erleben muss. Ich weiß, das ist unchristlich. Ich bin zur Hoffnung verpflichtet. Also muss ich mir eine Welt vorstellen, in der unsere Enkelinnen und Enkel und auch die Kinder in Gaza, Israel, Russland und der Ukraine in 30, 40 Jahren gut leben können. Doch dann muss ich alles in meinen Kräften Stehende dafür tun, statt nach dem Motto zu leben: Nach mir die Sintflut! Natürlich, wir haben es nicht allein in der Hand, aber nach dem biblischen Schöpfungsglauben sind wir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Gottes. Womöglich müssen wir dafür Ablehnung und Hass in Kauf nehmen – davor warnt Jesus seine Jüngerinnen und Jünger ja auch.
Vor einigen Jahren hing im Erfurter Angermuseum ein Gemälde des ostdeutschen Künstlers Christoph Wetzel mit dem Titel „Das Jüngste Gericht“ (https://www.bildatlas-ddr-kunst.de/item/608). Da sitzen acht Kinder aus der ganzen Welt hinter einer hölzernen Schranke, wie wir sie aus Gerichtssälen kennen, und schauen mir gerade und ernst ins Gesicht. Wenn ich mir nun unser Evangelium vergegenwärtige: „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“ – dann bedeutet das: Ich werde mein Leben vor diesen Kindern rechtfertigen müssen.
So einfach ist es also doch nicht mit dem Dienen. Viel gehört dazu: Kindern Vertrauen lehren; ihr Vertrauen nicht missbrauchen; und dafür zu sorgen, dass auch in der Zukunft ihr Vertrauen in die Welt und die Menschen nicht enttäuscht wird. Das ist wahrlich eine große Aufgabe.
Gott begegnet uns in diesen Kindern. Erinnern wir uns aber auch an das Vertrauen und die Zuneigung, die uns Kinder oft entgegenbringen, ohne dass wir für sie schon etwas getan haben. Unsere Sorge um sie, unsere Liebe zu ihnen ist dann die Antwort.
Bitten wir Gott, dass er uns Hoffnung, Mut, Geduld, Freude, Kraft und Liebe für unseren Dienst an den Kindern schenkt. Amen.
1 Augustinus, Conf. VII/21