Paulus, Silvánus und Timótheus an die Kirche der Thessalónicher, die in Gott, dem Vater, und in Jesus Christus, dem Herrn, ist:
Gnade sei mit euch und Friede!
Wir danken Gott für euch alle, sooft wir in unseren Gebeten an euch denken;
unablässig erinnern wir uns vor Gott, unserem Vater, an das Werk eures Glaubens,
an die Mühe eurer Liebe und an die Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus, unseren Herrn.
Wir wissen, von Gott geliebte Brüder und Schwestern, dass ihr erwählt seid.
Denn unser Evangelium kam zu euch nicht im Wort allein, sondern auch mit Kraft und mit dem Heiligen Geist und mit voller Gewissheit.
In jener Zeit kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen.
Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du die Wahrheit sagst und wahrhaftig den Weg Gottes lehrst und auf niemanden Rücksicht nimmst, denn du siehst nicht auf die Person.
Sag uns also: Was meinst du? Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht?
Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum versucht ihr mich? Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denár hin. Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten ihm: Des Kaisers.
Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!
Heute brennt die Luft förmlich. Die ständige Auseinandersetzung Jesu treibt auf den Höhepunkt zu. Man kann die Gedanken der Herren Pharisäer förmlich hören: „So, jetzt reicht’s. Locken wir ihn in die Falle, der er nicht mehr entkommt!“ Sie gehen eine unheilige Allianz mit den „Herodianern“ ein. Wie ist das zu verstehen? Eine religiöse paktiert mit einer politischen Gruppe? Aus Angst, Jesus könnte gegen den Tetrarchen Herodes Antipas ähnlich deutlich werden wie weiland Johannes der Täufer – den sie bekanntlich dann aus dem Weg räumen ließen? Wer will das wissen?
Wie die Herrschaften ihre Falle mit hinterhältiger Schläue scharf machen, lässt sich kaum überbieten. Sie betonen Jesu Wahrheitsliebe und stellen scheinbar eine so harmlose wie ehrliche Frage, mit der sie freilich die Falle aufspannen.
Sie reden Jesus mit „Meister“ an – und es stimmt: Jesus ist tatsächlich der HERR und Meister, dem wir folgen sollten. Sie nennen ihn „wahrhaftig“ – und es stimmt: In Jesus finden wir „immer die Wahrheit“. Sie sprechen davon, dass Jesus „wirklich den Weg Gottes“ lehre – und es stimmt: Durch ihn erkennen wir die Wege Gottes mit uns Menschen. Sie behaupten, Jesus rede ohne jede Angst und ohne auf die Person zu sehen – und auch das stimmt: Jesu Reden und Tun ist unabhängig von den Machtgelüsten und Rücksichtnahmen der Menschen. Bei ihm zählen gerade die viel, die bei uns unten durchfallen...
Viel Wahres sagen also Pharisäer und Herodianer – doch nur, um verlogen gegen die Wahrheit ihre Fallstricke auszulegen, wenn sie nun scheinheilig fragen: „Darf man dem Kaiser Steuer geben oder nicht?“ – Dabei haben die Frager die Steuermünze bei sich; sie haben längst für sich die Entscheidung getroffen und ihre Frage längst selber mit ja beantwortet.
Jesus muss sicher in die Falle dieser so harmlos vorgetragenen Scheinfrage geraten, egal wie Jesus sie beantworten wird. Sie schnappt zu, wenn er nein sagt: Denn dann wäre das ein offener Aufruf zum Aufstand gegen die Besatzungsmacht Rom. So geschehen bereits wenige Jahre vorher, als der Galiläer Judas durch Steuerverweigerung das Fanal zum Aufstand gegeben hatte. Er war blutig gescheitert. Die Falle schnappt aber ebenso zu, wenn Jesus die Frage seiner Feinde mit ja beantwortet: Dann hätte er die frommen Volksmassen wohl endgültig gegen sich.
Denn einem heidnischen Herrscher die Steuern zu zahlen, grenzt doch an Götzendienst: Wer außer Gott hätte das Recht der Herrschaft im Heiligen Land und über das auserwählte Volk?
„Darf ich ....?“ So werden viele Fragen eingeleitet. Kinder fragen so und können einem Löcher in den Bauch fragen. „Darf ich....?“ Oft sind das freilich Fragen, die nicht besonders wichtig sind. Viele dieser Fragen haben die Kinder längst schon entschieden. Das gehört sich so. Denn je älter sie werden, desto mehr Eigenverantwortung müssen sie übernehmen.
Aber lernen sie mit zunehmendem Alter auch die wichtigen Fragen zu stellen? Fragen, die auf den Weg bringen und der Wahrheit auf der Spur sind? Fragen, die den Kern ihres und unser aller Menschseins treffen? Die Fragen sind bekanntlich wichtiger als die Antworten.
Der Kirche sagt man manchmal nach, sie würde Fragen beantworten, die niemand gestellt hat. Gerade in Fragen der Moral gebe sie mehr Antworten als nötig. Viele Gläubige haben längst gelernt, eigenverantwortlich ihre Fragen zu beantworten.
Das mag so stimmen. Aber das spricht uns, die wir alle Kirche sind, nicht frei davon, in unserer Gesellschaft die richtigen Fragen zu stellen, die auf den Kern der Dinge zielen. Wichtiger als die Antworten sind unsere Fragen. Hoffentlich werden wir mehr und mehr zu Lehrmeistern der wichtigen Fragen, die von der Oberfläche weg in die Tiefe führen.
Wie Jesus. Er lässt sich nicht in die Falle locken, sondern gibt zur Antwort: „Ihr zahlt doch Steuern! Fragt also nicht so scheinheilig, wenn ihr schon die Steuermünze bei euch habt.“
Das Gewicht seiner Antwort liegt allerdings anderswo. Die eigentlich wichtige Antwort ist die, die er ungefragt hinzusetzt: „... und gebt Gott, was Gott gehört!“ (V.21) Damit führt Jesus die Frager von der Oberfläche zum eigentlichen Kern. In seiner Antwort steckt die wichtige Frage, der auch wir uns immer wieder stellen müssen: „Wer ist Gott? Wer ist Gott für dich? Was schuldest du deshalb Gott? Was ist es, das du ihm geben sollst?“
Was gehört Gott? Die Hälfte? Die Kirche? Der Sonntag? Oder doch auch der Alltag? Alles? Oder nehme ich etwas aus? – Gott ist der HERR des Lebens; auch meines Lebens? (vgl. 2. Lesung von Kirchweih, 1 Petr 2,9)
„Gebt Gott, was Gott gehört!“
Amen.
Jesus erzählte folgendes Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. Er schickte seine Diener, um die eingeladenen Gäste zur Hochzeit rufen zu lassen. Sie aber wollten nicht kommen. Da schickte er noch einmal Diener und trug ihnen auf: Sagt den Eingeladenen: Siehe, mein Mahl ist fertig, meine Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet, alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit! Sie aber kümmerten sich nicht darum, sondern der eine ging auf seinen Acker, der andere in seinen Laden, wieder andere fielen über seine Diener her, misshandelten sie und brachten sie um. Da wurde der König zornig; er schickte sein Heer, ließ die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche legen. Dann sagte er zu seinen Dienern: Das Hochzeitsmahl ist vorbereitet, aber die Gäste waren nicht würdig. Geht also an die Kreuzungen der Straßen und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein! Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen.
Als der König eintrat, um sich die Gäste anzusehen, bemerkte er unter ihnen einen Menschen, der kein Hochzeitsgewand anhatte. Er sagte zu ihm: Freund, wie bist du hier ohne Hochzeitsgewand hereingekommen? Der aber blieb stumm. Da befahl der König seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein. Denn viele sind gerufen, wenige aber auserwählt.
Zu gern würde ich jetzt wissen, was Sie gerade denken, wie Sie sich zu dem eben gehörten Text äußern würden.
Es ist kompliziert, denn bei Gleichnissen, wie wir eben eins gehört haben, muss man zwischen den Zeilen lesen können. Deshalb sind sie sehr komplex. Gleichnisse leben von Details, Nuancen Sie können durchaus wichtiger und interessanter sein, als die scheinbare Kernbotschaft, die ja gleich zu Beginn markiert ist.
Es sind die bösen Erfahrungen der Gemeinde um Mathäus zu Beginn der frühen Kirche. Es geht ums Himmelreich – eine Einladung zum Fest (des Glaubens), der König – Gott selbst – lädt ein, keiner will kommen. Es wird mit allerhand Ausreden abgelehnt. D.h.: zum Erlösungsgeschehen, das im Sohn Gottes seinen Höhepunkt, den Hochzeitstag, erlebt, will keiner kommen. Die also, an die sich die Einladung, die Heilsbotschaft richtet, pfeifen darauf. Ihnen voran die Synagogengemeinden, die Pharisäer und Sadduzäer.
Und nicht nur das, sie verfolgen sogar die Diener am Heilswort, die Ersten der frühen Kirche, und das mit aller Härte. Das Evangelium, die Heilsbotschaft könnte untergehen. Es braucht also ein anderes Publikum als das von Jerusalem. Es kann angenommen werden, dass das Matthäus-Evangelium im heutigen Syrien entstanden ist und die Gemeinde dort nicht mehr den jüdischen Hintergrund hatte, wie die ersten Gemeinden in Jerusalem.
Der König ruft seinen Dienern zu: Geht also an die Kreuzungen der Straßen und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein.
Zur selben Zeit – es ist das Jahr 70 nach Christus – fällt die römische Armee in Jerusalem ein, plündert die Stadt und zerstört den Tempel. Auch das kommt im Text vor: Der König wurde zornig; er schickte sein Heer, ließ die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche legen. Die Eroberung Jerusalems als Strafe Gottes.
Es ist eine Warnung an die Umgebung der Frühen Kirche: Vergreift Euch nicht an der Nachfolgegemeinschaft Jesu: Das kommt am Ende nicht gut. Und für die, die Jesus folgen wollen, der Trost: Auch, wenn ihr Unheil erfahren müsst, es kommt in allem Chaos dennoch gut für Euch.
Aber nicht so ganz einfach – und schon sind wir im 2. Teil. Nun geht’s um die Jüngerinnen und Jünger Jesu: Freund, wie bist du ohne Hochzeitsgewand hereingekommen? Fragt der König den auffälligen Gast.
Na gut, man kann sich ja über Geschmack und rechten Stil streiten. Hier aber ist die Sache klar. Er wird rausgeworfen und sogar bestraft. Ehrlich, das gefällt uns nicht und ist nicht zu verstehen.
Die Botschaft von Mathäus an die Frühe Kirche ist nun mal in schmerzhafter Deutlichkeit: Es reicht nicht, einfach dazugehören zu wollen, um dann bei den Gleichgesinnten irgendwelche Vorteile zu bekommen. Wer bei der Hochzeit mitfeiern will, muss nicht irgendwie dazugehören, er soll allen zeigen und sie spüren lassen, dass er mit ganzem Herzen dabei ist. Also der Aufruf der Frühen Kirche zu einer Gesinnung / einer Haltung, die alle wissen lässt, was es meint, Jüngerin, Jünger zu sein.
Das trifft die Nachfolgegemeinschaft, die Kirche heute, mit voller Wucht, und an Aktualität ist es wohl nicht zu überbieten: Was muss jede und jeder von uns haben, damit das Hochzeitsmahl ein Fest wird, dass die Kirche überzeugend vom Himmelreich erzählt.
Mit dem Gewand des Mißbrauchs kommt die Kirche / die Kirchen derzeit am unpassendsten daher und an. Und es ist nicht das einzige, was nicht stimmt.
Na gut, da ist ja nur einer, der dem König negativ beim Fest auffällt – inmitten einer sehr großen Festgesellschaft. Die anderen verhalten sich anscheinend weitestgehend passend. Soll das heißen: im Großen und Ganzen sind wir schon richtig unterwegs?
Halten wir Christen, was das Evangelium verspricht?
Es ist doch hier die deutliche Frage nach der Außenwirkung der christlichen Gemeinschaft. Das Evangelium heute ist wie eine Art Workshop zu kirchlichem Marketing. Halten wir in den Augen der Menschen, was das Evangelium verspricht?
Wie stehen wir da in der Welt von heute?
Sind Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jüngerinnen und Jünger Christi heute und hier? Damals richtete sich das Gleichnis an die Verantwortlichen im jüdischen Umfeld.
Heute... an jede und jeden von uns. Ja, wir sind eingeladen. Der Einladung folgen hängt nicht an der aktuellen Mode von Coco Chanell oder welchem Label auch immer, es hängt von unserer Beziehung zu Gott ab. Davon, wo unser Herz hängt, für wen und was es schlägt.
Mode kann man kaufen. Stil muss man habe (cocochanell)
Zeitzeugengespräch mit Dr. Bernhard Dittrich, damals Regens des katholischen Priesterseminars in Erfurt.
Wir wollen die Rolle der Kirchen im Prozess der friedlichen Revolution von 1989/90 reflektieren und darüber hinaus danach fragen, was von diesen Erfahrungen auch heute noch Relevanz haben könnte.
1 Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter anzuwerben für seinen Weinberg. 2 Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. 3 Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere auf dem Markt müßig stehen 4 und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. 5 Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. 6 Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? 7 Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand angeworben. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg. 8 Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten. 9 Da kamen, die um die elfte Stunde angeworben waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. 10 Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeder seinen Silbergroschen. 11 Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn 12 und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. 13 Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? 14 Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. 15 Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin? 16 So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.
Liebe Gemeinde,
Früher dachte ich, das gibt’s nicht mehr: Dass Menschen sich in aller Frühe auf die Straße stellen müssen in der Hoffnung, dass ein Bauer sie anspricht und für diesen Tag mit auf sein Feld nimmt, für einen Tagelohn. Jetzt sehe ich auf meinen Reisen in griechischen Dörfern kleine Gruppen von Migranten warten, bis sie von einem Kleinbus mitgenommen werden. Fast überall auf der Welt hängt das Glück oder Pech von Familienvätern davon ab, ob sie am Abend ihrer Familie etwas zu essen mitbringen können oder nicht.
Eine alltägliche Geschichte also. Sie spielt wie alle Gleichnisse Jesu in der Alltagswelt seiner Zuhörer, um etwas Schwieriges, womöglich Unverständliches anschaulich zu machen: Was unterscheidet das Reich Gottes von den hinlänglich bekannten irdischen Herrschaftsformen?
„Die Königsherrschaft der Himmel gleicht einem Hausherrn, der hinausging in der ersten Frühe, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuheuern.“
Ihnen wird ein Denar Tageslohn in Aussicht gestellt – nicht mehr und nicht weniger, als eine Familie braucht, um bis zum nächsten Tag zu kommen.
Doch aus welchen Gründen auch immer – wir wissen sie nicht: Unser Hausherr geht alle drei Stunden wieder auf die Straße und sammelt neue Tagelöhner auf. Ihnen verspricht er keine feste Summe, sagt nur: Ich gebe Euch, was recht ist.
Kurz vor Tagesende geht er noch einmal los, da hoffen immer noch welche auf einen Job. Unser Gutsbesitzer fragt sie: „Was, steht Ihr hier den ganzen Tag untätig herum?“ Das klingt wie ein Politiker, der Langzeitarbeitslosen Faulheit unterstellt, nach dem Motto: „Wer arbeiten will, hat Arbeit!“ Dass er sie noch mitnimmt, erscheint wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Säumige. Doch sie verteidigen sich: "Niemand hat uns angeheuert!“
Am Abend geschieht Merkwürdiges: Unser Unternehmer bittet seinen Verwalter, die zuletzt Gekommenen auszuzahlen. Die Fleißigen vom Morgen lässt er warten. Sie dürfen zusehen, wie die Kurzarbeiter der letzten Stunde den vollen, mit ihnen vereinbarten Lohn ausgezahlt bekommen. Ebenso die Arbeiter der neunten, sechsten und dritten Stunde.
Ich kann mir vorstellen, mancher rechnet sich jetzt aus: Da gibt’s noch einen Zusatzlohn, und wir sind zuletzt dran, damit die anderen das nicht mitbekommen.
Aber denkste! Als nur noch die ganz Fleißigen dastehen, bekommen sie ebenfalls den Denar überreicht.
Da bringt ihr Weltbild durcheinander, so wie das unsrige auch, und sie murren gegen ihren Arbeitgeber: Die Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet – und Du behandelst sie wie uns, die wir des Tages Last und Hitze trugen? Wo ist denn da die Gerechtigkeit! Doch der sagte zu einem von ihnen: „Freund, ich tu Dir doch gar kein Unrecht. Haben wir uns nicht auf einen Denar geeinigt? … Ich will den Letzten genau so viel geben wie Dir. Kann ich mit dem Meinigen nicht machen, was ich will?“ Zur Bekräftigung fasst unser Hausherr zusammen: „Die Letzten werden die Ersten und die ersten die Letzten sein.“
Liebe Gemeinde, in was für einer Welt soll denn so eine Ordnung ihren Platz haben?
Kaum eine biblische Erzählung hat eine so bewegte Auslegungsgeschichte wie diese. Martin Luther beispielsweise steht mit seiner Deutung ganz in der Tradition der Theologiegeschichte. In seiner Predigt über Matthäus 20 lesen wir:
„In der Welt Reich kann es nicht gleich zugehen, sintemal die Personen ungleich sind. Da soll man dem, der viel gearbeitet hat, mehr geben als dem, der wenig gearbeitet hat. Ebenso soll da der Herr im Hause mehr Güter haben als sein Knecht und muß doch der Knecht mehr arbeiten als der Herr. Solche Ungleichheit muß in der Welt Reich sein und bleiben.“ Luther erklärt nicht, warum das in der Welt Reich so sein muss, aber wenn wir uns umschauen, könnten wir meinen: Da sich seitdem daran nichts geändert hat, muss es wohl so sein. Oder?
Erinnern wir uns an den Anfang: Das Himmelreich ist wie dieser Hausherr ….
Jesus hat dieses Himmelreich nicht in ein weit entferntes Jenseits verlegt. Es ist mitten unter uns. In seinen Predigten beschreibt er die Ordnung dieses Reiches: „Selig sind, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden“ (Mt 5,6). Ich kann mir nicht vorstellen, dass er die Arbeiter der ersten Stunde seligpreist, die sich über mangelnde Gerechtigkeit beschweren, weil andere genau so viel erhalten wie sie. Nein, es muss da eine andere Gerechtigkeit geben.
Schon Kleinkinder haben einen Sinn für Gerechtigkeit. Doch ist da oft ein Haken dabei: Als Älteste von fünf Geschwistern in einer Familie mit sehr wenig Geld hab ich immer aufgepasst, dass niemand mehr bekommt als ich. Mein Gerechtigkeitsempfinden beschränkte sich darauf zu achten, dass ich nicht zu kurz komme. Wenn umgekehrt ich mal im Vorteil war, hab ich stillgehalten. Aber kümmere ich mich auch um das Recht anderer, wenn ich dadurch in einem scheinbaren oder wirklichen Nachteil gerate? Für viele Menschen hat Gerechtigkeit da ihre scheinbar natürliche Grenze.
Was ist eigentlich Gerechtigkeit?
Unser Hausherr hat da eine andere Vorstellung als sein fleißiger Arbeiter. Der Philosoph Kierkegaard nennt das Gut, um das es hier geht, die Ewigkeit im Gegensatz zum Zeitlichen. Er meint damit: Dieser Denar steht für das, was der Hausherr zu vergeben hat. Ewigkeit lässt sich nicht aufteilen wie ein Tag mit seinen zwölf Stunden. Die Arbeiter hängen in der Zeitlichkeit und haben damit Unrecht. Der Herr ist die Ewigkeit. Der Lohn ist das Ewige. Niemand hat Grund zur Klage, denn hier gibt es nur eins, was für alle Menschen gleich ist. Im Verhältnis zur Ewigkeit gilt nicht, ob eine oder elf Stunden gearbeitet wurde.
Also müssen wir Luther Recht geben, dass sich unser Gleichnis gar nicht auf unsere Welt hiermit ihren Ungerechtigkeiten bezieht? Doch wie können wir dann vom Reich Gottes mitten unter uns reden? Ist es etwa unsichtbar?
In einer Woche werden wir hier in der Kirche über den Anarchisten Gustav Landauer sprechen, einem Weggefährten von Martin Buber. Landauer galt den meisten seiner Zeitgenossen mit seinen Ideen von Gewaltlosigkeit und einer neuen Art von Gerechtigkeit als Träumer. Er forderte: „Ein Ziel lässt sich nur erreichen, wenn das Mittel schon in der Farbe dieses Zieles gefärbt ist. Nie kommt man durch Gewalt zur Gewaltlosigkeit."
Mich hat dieser Satz auf Dauer überzeugt. Nicht: Der Zweck heiligt die Mittel, sondern die Mittel sollen den Charakter des Zweckes, des Zieles schon vorwegnehmen. Auf unser Gleichnis angewandt, könnte es heißen: Wenn Du am Gottesreich mitarbeiten möchtest, dann lebe jetzt schon nach seinen Regeln. Nur dann bist Du glaubwürdig und kannst etwas dafür tun. Nur dann wird etwas davon sichtbar.
Uns ist das zu radikal. Aber Jesus war an Radikalität nicht zu übertreffen. Die junge Gemeinde der Apostelgeschichte nahm es das durchaus ernst: „Alle aber, die gläubig geworden waren, hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Sie lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk“ (Apg 2,44ff).
Kehren wir noch zu unserem Gleichnis zurück: Am Ende sehen wir den Hausherrn allein mit einem enttäuschten Fleißigen im Zwiegespräch. „Kann ich mit dem Meinigen nicht machen, was ich will? Schaust Du so böse, weil ich gütig bin?“
Auf diese letzten Worte läuft unsere Geschichte zu. Beim Himmelreich geht es um jeden Einzelnen. Hier ist einer, der sich über den Lohn nicht freuen kann, weil er neidisch auf die anderen ist. „O Mensch, wie sieht dein Auge bloß auf das Deine, wie blickt es scheel, weil ich so gütig bin?“
Im Neuen Testament finden wir nur an dieser Stelle das Wort „scheel“ bzw. „böse“ als Ausdruck des Auges. Das gibt ihr Gewicht. In der Bibel hat der Blick des Einzelnen immer Folgen. Ein scheeler Blick kündet auch den ersten Brudermord an: Kains Auge hatte sich verdunkelt, bevor er Abel erschlug.
Doch auch der gütige Blick hat Folgen: Hier wendet sich ein Mensch dem anderen zu, er zeigt Mitleid und Liebe. Unsere Jahreslosung erinnert uns an den gütigen Blick Gottes: „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (Gen 16). Das sagt Hagar, die Mutter Ismaels, die vor dem neidischen Blick Sarahs in die Wüste flüchten musste.
Unser Hausherr schaut gütig – auch auf den, der vom Neid zerfressen wurde. Er stellt ihn geduldig zur Rede, er kennt seine Pappenheimer. Vielleicht mag er ihn nicht beschämen und wartet deshalb, bis die anderen gegangen sind? Ich fühle mich angesprochen. Ich gehöre auch zu den Privilegierten, die keinen Mangel leiden, die sich keine Sorgen um alltägliche Dinge machen müssen. Trotzdem fühle ich mich manchmal ungerecht behandelt. Es ist nicht selbstverständlich, angesichts des unverdienten Glücks anderer heiter zu bleiben. Der Neidische wird nicht abgewiesen. Der Aufsässige behält seinen Lohn wie der Kurzarbeiter: „Nimm Deinen Lohn und geh!“ Das kann heißen: Mach Dich vom Acker! Aber auch: Geh zufrieden Deinen Weg und lass Dich nicht verdrießen! Es gibt nur einen Lohn, und der ist nicht teilbar. Er soll uns den Neid abgewöhnen, der - leider - in unserer Gesellschaft so verbreitet ist, dass das Gottesreich nur schwach erkennbar scheint.
Am Ende noch ein Liedvers, uns bestens bekannt: Er bringt für mich auf den Punkt, worum es geht: „Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unsrer Zeit, brich in deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann.“ Wenn es uns gelingt, die Mittel – die Art und Weise, wie wir unseren Glauben und unseren Alltag leben - schon in der Farbe des Zieles zu kleiden, dann werden wir als Gemeinde Christi sichtbar. Dazu brauchen wir die Unterstützung des gütigen Hausherrn, der unsere Schwächen kennt. Amen.
Zitierte Literatur:
Dorothea Glöckner (Hg): Predigen mit Kierkegaard, Göttingen 2012, S. 182ff.
Gustav Landauer: "Anarchische Gedanken über Anarchismus" in: „Die Botschaft der Titanic", Kontext-Verlag Berlin 1994, S. 43.
Wie oft muss ich vergeben? Kann ich vergeben, trotz der Verletzungen, die ich erlitten habe?
Unrecht, das mir jemand antut, ist eine besonders fiese Sache. Es ist wie eine Wunde, die nicht so recht heilen will. Selbst der kleinste Anstoß lässt sie wieder aufbrechen. Eine Infektion der Wunde verhindert dass sie heilt. Verletzungen sind echt übel!
Gibt es denn gar keine Wundsalbe, die helfen könnte? Doch. Aber kann ich sie nutzen? Die Wundsalbe heißt: Vergebung. Ich vergebe mir nichts, wenn ich vergebe. Im Gegenteil: Erst wenn Heilung möglich wird, wenn nicht ständig wieder rumgestochert wird in der Wunde; wenn sie zur Ruhe kommen kann, ist Heilung möglich. Aber es tut doch so weh….
Und ja: Oft bleiben die Narben. Es ist nicht wie vorher. Wir sind nicht die Helden, die ungeschoren aus den Kämpfen des Lebens herauskommen. Die Narben begleiten uns.
Ich will nicht im Kampf bleiben, HERR. Ich will zur Ruhe kommen, ohne Rache üben zu müssen. Vergeltung? Das dient dem Leben nicht. Meinem Leben dient das nicht. Denn ich leide am meisten an meinen Wunden.
Aber bleibt da nicht ein Defizit zurück, wenn ich vergebe? Wohin dann mit meinem Ärger? Wohin mit meinen Verletzungen, die in mir schreien?
Ich brauche deine Kraft, HERR. Ich brauche deinen Horizont, damit Vergebung möglich wird. Ich will nicht der Rache dienen. Ich will mich dem Leben öffnen. Hilfst du mir?
Und wo ich schuldig geworden bin, wo ich heute lieblos oder selbstgerecht war, zu hart mit meinen Urteilen, kleinlich und kleingläubig – da hilf du mir umzukehren. Deine Gnade schenke mir Vergebung. Deine Gnade versöhne uns miteinander.
Gott darf ich übergeben, was ich nicht aus eigener Kraft schaffen kann...
21 Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er gegen mich sündigt? Bis zu siebenmal? 22 Jesus sagte zu ihm: Ich sage dir nicht: Bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal. 23 Mit dem Himmelreich ist es deshalb wie mit einem König, der beschloss, von seinen Knechten Rechenschaft zu verlangen. 24 Als er nun mit der Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente schuldig war. 25 Weil er aber das Geld nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen. 26 Da fiel der Knecht vor ihm auf die Knie und bat: Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen. 27 Der Herr des Knechtes hatte Mitleid, ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld. 28 Als nun der Knecht hinausging, traf er einen Mitknecht, der ihm hundert Denare schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und sagte: Bezahl, was du schuldig bist! 29 Da fiel der Mitknecht vor ihm nieder und flehte: Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen. 30 Er aber wollte nicht, sondern ging weg und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe. 31 Als die Mitknechte das sahen, waren sie sehr betrübt; sie gingen zu ihrem Herrn und berichteten ihm alles, was geschehen war. 32 Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm: Du elender Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich angefleht hast. 33 Hättest nicht auch du mit deinem Mitknecht Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte? 34 Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Peinigern, bis er die ganze Schuld bezahlt habe. 35 Ebenso wird mein himmlischer Vater euch behandeln, wenn nicht jeder seinem Bruder von Herzen vergibt.
Das Gleichnis Jesu erzählt eine total krasse Geschichte. Ein König spürt unter seinen Dienern einen auf, der die ungeheure Summe von 10 000 Talenten an Schulden hat...
Ich habe über die Kaufkraft recherchiert: Ein typisches Segelschiff kostete demnach 1 Talent. – Oder: Marcus Licinius Crassus galt zur Zeit des Gaius Julius Caesar als reichster Römer überhaupt. Am Ende seines Lebens wurde sein Vermögen auf gerade mal 7100 Talente geschätzt. Ach ja, und im Griechischen zählt man sowieso nicht weiter als bis 10 000. Es kann also auch „unendlich viel“ heißen – unzählbar viel.
Wie kann ein Mensch, eigentlich sogar ein Sklave/Diener, so viele Schulden anhäufen? Das wird nicht erzählt. Es wird nur festgestellt. Eine Schuld, die ein Mensch nie und nimmer abtragen kann…
Uns wird schnell klar, dass Jesus hier die Situation eines (jeden) Menschen vor Gott beschreibt. „Wir sind (vor Gott nur) Bettler, das ist wahr“, soll Martin Luther auf dem Sterbebett gesagt haben. Seine letzten Worte. Wir können Gott nichts anbieten. Wir stehen tief in seiner Schuld. Immer.
Aber das Unglaubliche ist doch, dass der König im Gleichnis „Mitleid“ mit seinem Sklaven hat. Im Hebräischen würde hier ein Wort stehen, das beschreibt, wie es ihm an die Eingeweide geht. Der extrem große Gegensatz zwischen König und Sklave wird durch dieses Gefühl überwunden. Mitgefühl gehört zutiefst zum Wesen Gottes. Es gibt keinen weiteren Grund. Das Mitgefühl Gottes macht einen Menschen frei. Ihm wird die ganze Schuld geschenkt. Ungeheuer viel.
Das ist der Horizont, in dem wir stehen. Bettler sind wird vor Gott. Aber Gott macht uns frei. Einfach so.
Amazing grace…
Ein Zweites sollte mir bewusst werden.
Es ist höchst seltsam, das ich gerade die Menschen, die mir am nächsten sind, am leichtesten verletze. Nicht dass ich das wollte. Es passiert aber oft, weil ich ihnen gegenüber weniger Hemmungen habe, weil ich Erwartungen nicht erfülle, weil sie von mir mehr erhoffen als ich Verständnis habe...
Wie sollte ich mit ihnen leben können, wenn sie mir nicht immer wieder ihre Vergebung schenkten?
Ja, Vergebung ist göttlich: Sie rechnet nicht.
Wie hat Dietrich Bonhoeffer gesagt: „Vergeben und Verzeihen kennt keine Zahl noch ein Ende. Vergebung ist ohne Anfang und ohne Ende. Sie geschieht täglich unaufhörlich, denn sie kommt von Gott.“
Ja, Vergebung schafft neuen Raum für die Liebe, sie schenkt Geborgenheit, bewirkt Frieden und Ruhe. Sie ist notwendig wie das tägliche Brot. Sie macht Leben erst möglich.
Amazing grace….
Eher als die anderen Apostel bekannte Petrus Jesus als den Christus, den Sohn des lebendigen Gottes. Dafür wird ihm die Binde- und Lösegewalt übertragen.
Doch nur ganz kurze Zeit später fährt ihn Jesus an: „Weg mit dir, Satan!“
Wenn Petrus – und mit ihm die Kirche – eigene Ziele verfolgt, Gottes Weg verlässt … „Hinter mich!“, sagt Jesus. Geh wieder in die Nach-Folge, Petrus!
Brüderliche, geschwisterliche Zurechtweisung war am letzten Sonntag das Thema. Unrecht und Sünde geht alle an. Haben wir den Mut, es voreinander auszusprechen, anzusprechen? Es ist die Aufgabe der Kirche, unser aller Aufgabe, Menschen in die Nachfolge (zurück) zu führen. Und wo das mit Menschenkraft nicht möglich ist, da hilft uns das Gebet, wenn wir uns in Christus versammeln.
70 x 7 mal vergeben sollst du, Petrus, sollst du, Kirche! Immer also, und nie ist es genug! Spannt den Horizont Gottes auf über dieser Erde, in dem wir einander immer die Liebe und die Vergebung schulden! Sein Shalom, sein Geschenk des Friedens bekomme das letzte Wort!
Und dieser Friede des Herrn sei alle Zeit mit euch!