Auf Initiative des Papstes wurde 1244 der Augustiner-Orden als vierter großer Bettelorden in Siena gegründet. Kardinal Richard Annibaldi sollte eine Union bereits bestehender Eremiten-Gruppen zu einem großen Orden durchsetzen. Dabei musste er wohl ziemlich Druck ausüben, damit die Einsiedler sich auf dieses Experiment überhaupt einließen: ihre Einsamkeit zu verlassen und Seelsorger in den stark wachsenden Städten zu werden. Augustinus als „Ordensvater“ inspirierte die Brüder des neuen Ordens von Anfang an und war die Integrationsfigur dieser teilweise sehr unterschiedlichen Gründungsgemeinschaften.
Man kann deshalb von einem doppelten Ursprung des Ordens reden: die eine Wurzel liegt im klösterlichen Leben Augustins und seiner Regel, die andere in den Eremiten der Toscana. Bis 1963 trugen die Augustiner offiziell den Namen „Orden der Eremiten des hl. Augustinus“ oder „Augustiner-Eremiten“ (OESA).
Das Experiment gedieh so gut, dass Kardinal Annibaldi 12 Jahre später (1256) den Orden in Santa Maria del Popolo (Rom) als internationalen Orden noch einmal neu aufstellte.
Bereits im selben Jahr gab es auch erste Augustinerklöster in Deutschland. Ende 1258 siedelten sich Augustiner in Gotha an. Von dort aus versuchten sie 1266 die Gründung eines Konventes in Erfurt, wurden jedoch 1273 wieder aus der Stadt vertrieben. Erst die Bildung einer Bruderschaft - einer "Personalgemeinde" - gab einer neuerlichen Gründung 1276 Bestand.
Das Kloster entwickelte sich schnell zu einem Zentrum der Seelsorge und der Wissenschaften. Wegen der Präsenz mehrerer Orden mit angeschlossenem Generalstudium konnte Erfurt 1389 als fünfte Universität in Deutschland begründet werden. Ihre Wurzeln gehen aber bereits in das 13. Jahrhundert zurück.
Im Jahre 1505 trat der junge Mansfelder Martin Luther in das Augustinerkloster zu Erfurt ein.
Ob wirklich ein Blitz in einem furchtbaren Gewitter vor Stotternheim am 2. Juli 1505 Luther den Gedanken des Klosterlebens einbrannte? Oder steckt hinter dem „Gelübde in höchster Not“ letztlich die Angst vor der vom Vater arrangierten Hochzeit?
Die Faktenlage: 1501 immatrikuliert sich der junge Martin als Student der „sieben freien Künste“ an der Universität Erfurt. Unterkunft findet er in der Georgenburse. Der straffe Tagesrhythmus sieht selbstverständlich täglich den Besuch der Messe in der nahegelegenen Nikolaikirche vor, der Kirche des Deutschen Ordens. Priester jedoch ist sehr oft ein Mönch des benachbarten Augustinerklosters. Luther trifft also ab seinem ersten Tag in Erfurt fast täglich einen Augustiner.
Nehmen wir an, er hätte wenigstens sonntags eine andere Kirche in Erfurt besucht. Auch dann wäre die Chance nicht gering gewesen, wieder einen Augustiner vor sich zu haben. Denn sie waren in diesen Jahren die Prediger der Stadt und genossen einen sehr guten Ruf.
Noch etwas dürfte Martin Luther an den Augustinern gereizt haben: Das Erfurter Kloster stellte den Novizen eine eigene Bibel zur Verfügung. Das war im ausgehenden Mittelalter alles andere als selbstverständlich!
Am 17. Juli 1505 bittet Martin Luther den Erfurter Augustinerkonvent um Aufnahme. Der gehörte zur „Reformkongregation“, dem Verbund derjenigen Klöster, die sich strikt an die Ordensregel gebunden wussten. 1508 sind hier 52 Mönche bezeugt. Schon seit dem 14. Jahrhundert konnten hier junge Brüder aus ganz Mitteleuropa ihre theologische Ausbildung absolvieren. 1516 wurde zudem das große Bibliotheksgebäude fertiggestellt. Das Erfurter Kloster war ein Hort des Wissens und der praktischen Theologie.
Oberer der Reformkongregation war Generalvikar Johann von Staupitz, der Luthers Lehrer, Förderer und väterlicher Freund wurde. Mit Unterbrechungen gehörte Luther bis zum Jahr 1511 dem Erfurter Konvent an.
Viele Augustiner schlossen sich ihrem Mitbruder und (oft auch) Lehrer Martin Luther an. Sie verließen die Klöster. Häufig wirkten sie selbst als Reformatoren, wie seit 1522 etwa der frühere Erfurter Prior, Luthers Freund Johannes Lang.
Dadurch war auch das Ende der Reformkongregation besiegelt, zu welcher der Erfurter Konvent zählte. Von den 160 Augustinerklöstern in Deutschland gingen dem Orden 69 verloren. 1556 starb der letzte Erfurter Augustiner im alten Kloster, das 1559 endgültig säkularisiert wurde. Zwei Jahre später richtete der Rat der Stadt dort das Ratsgymnasium ein. 1646 zog die Bibliothek des Evangelischen Ministeriums in das Gebäude. Ab 1669 wurde ein weiterer Teil als evangelisches Waisenhaus genutzt.
Ab dem 04. Juli 1656 forderten die Augustiner unter Frater Magister Augustinus Gibbon de Burgo vehement die Rückgabe des Klosters, was der Rat der Stadt ebenso vehement verweigerte. Auf Vermittlung von Weihbischof Johann Daniel Gudenus und durch seine finanzielle Unterstützung konnte der Orden schließlich 1651 den sogenannten Valentinerhof neben der Mainzer Statthalterei erwerben.
Am 1. Oktober 1668 übergab Erzbischof Johann Philipp von Mainz den Augustinern die Hofkirche und Pfarrei St. Wigbert „zu ewigem Gebrauche“. 1680-95 errichtete der Orden das neue, große Kloster (Wigbertihof). Der evangelische Rat der Stadt beteiligte sich mit einem stattlichen Betrag am Neubau. In diese Zeit fällt die letzte große Pestepidemie, der damals rund 60% der Bevölkerung Erfurts zum Opfer fielen. Trotzdem blieb die Spendenbereitschaft der katholischen wie evangelischen (!) Bürger ungebrochen. Ein Indiz, dass die Augustiner damals an ihre gute Seelsorgstradition anknüpfen konnten. Erst die Säkularisation löste 1822 auch dieses zweite Augustinerkloster auf.
Ab September 2013 ist wieder ein kleiner Konvent von Augustinern in der Stadt präsent. Von Ende 2016 bis August 2021 genossen die Augustiner Gastrecht in der Evangelischen Reglerkirche, der früheren Stiftskirche der „Regularkanoniker“ oder „Augustiner-Chorherren“. Diese enge Kooperation mit der Reglergemeinde wurde nun zwar ausgesetzt. Die ökumenische Ausrichtung der Seelsorge der Augustiner, die jetzt an der Brunnenkirche (Fischersand 24) verortet ist, bleibt jedoch erhalten. Menschen verschiedener Konfession engagieren sich gemeinsam in dieser Personalgemeinde.
Selbstbewusst und ohne Druck von außen wagen wir hier in Regler Ökumene auf Augenhöhe. Wir haben ein vertrauensvolles Miteinander entwickelt und öffnen uns füreinander. Wir erkennen darin den Willen Jesu Christi, der im Abendmahlsaal für die Seinen betet, dass alle eins seien (vgl. Joh 17,21-23). Begonnen hatte alles damit, dass drei Augustiner 2013 eine Wohnung im Gemeindehaus bezogen. Dachte man anfangs an eine Übergangszeit, stellten Augustiner und Reglergemeinde in ihren Begegnungen fest: Wir passen zueinander! Wieso also nicht mehr miteinander tun?
Ausgerechnet zu Beginn des Reformations-Gedenkjahres 2016/17 ging der Gemeindekirchenrat von Regler mit einem konkreten Angebot auf den Augustinerkonvent zu und öffnete den Brüdern und ihren Freunden die Türen. Schnell wurde man sich einig. Am 1. Advent 2016 überreichte Ulrich Oelze, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates, die Schlüssel in einem bewegenden Gottesdienst. Zwei Konfessionen nutzen seither sowohl die Kirche als auch das Gemeindehaus gemeinsam. Alle bleiben in ihrer jeweiligen Konfession beheimatet. Nichts soll vermischt werden. Aber als Christen wollen wir miteinander auf den einen HERRN hören und aus Seinem Geist heraus handeln.
Dr. Ulrich Neymeyr, der Bischof des Bistums Erfurt, dankte in einem Brief der Reglergemeinde für die Gastfreundschaft. Er sieht darin „ein schönes und beeindruckendes Zeichen des ökumenischen Miteinanders“ und äußerte die Hoffnung, dass beide Gemeinden einander bereichern mögen. Landesbischöfin Ilse Junkermann begrüßte die Kooperation ebenfalls in einem Brief: „Ich freue mich sehr, dass Sie diesen ökumenischen Weg gehen.“
Neben den regelmäßigen Gottesdiensten der beiden Gemeinden gibt es eine Reihe gemeinsamer Termine: etwa das Mittagsgebet an jedem Werktag, ein gemeinsames Jahresprogramm mit kulturellen, theologischen und seelsorglichen Angeboten, die gemeinsame Jahreswallfahrt, einen Augustinus-Lesekreis, einen ökumenischen Bibelkreis...
2017 wurde erstmals seit fast 500 Jahren wieder eine katholische Osternacht in der Reglerkirche gefeiert. Das Licht der gemeinsamen Osterkerze, das Symbol Christi, leuchtet seither beiden Gemeinden in ihren Gottesdiensten.
Am 11. November 2019 wurde der Erfurter Konvent unter dem Patronat des Heiligen Martin von Tours errichtet.
Die Kooperation ruht seit 1. September 2021 vorläufig.
Gemeinsame Erklärung der Reglergemeinde und des Augustinerkonvents St. Martin von Tours
1. Die Reglergemeinde und der Augustinerkonvent St. Martin von Tours kommen überein, die vereinbarte Kooperation vom 28. September 2016 ab dem 1. September 2021 vorerst ruhen zu lassen.
2. Die Unterzeichnenden hoffen, dass durch das vorläufige Ruhenlassen der Kooperation Raum für Frieden entsteht und bitten alle Beteiligten, einer Aussöhnung nicht im Weg zu stehen. An einer vertrauensvollen Ökumene in Erfurt sind die Reglergemeinde und die Augustiner weiterhin interessiert und werden weiter konkret dafür arbeiten.
3. Nach der Sommerpause werden die Augustiner ihren liturgischen Ort in der Brunnenkirche im Fischersand nehmen. Die Reglergemeinde und der Augustinerkonvent danken dem Erfurter Domkapitel für diese Möglichkeit. Die Augustiner bitten ihre Personalgemeinde, mit ihnen in die Brunnenkirche überzusiedeln.
4. Die Bildungsveranstaltungen der Augustiner werden vorerst nicht mehr im Reglergemeindehaus, sondern in der Brunnenkirche oder in angemieteten Räumen in der Nähe der Kirche stattfinden.
5. Zwischen Mitgliedern der Gemeinden sind in den zurückliegenden Jahren wertvolle Bindungen entstanden. Reglergemeinde und Augustiner werden weiterhin gegenseitig auf Veranstaltungen hinweisen und dazu einladen. Zu gegebener Zeit soll gemeinsam nach Wegen für eine Fortführung der Kooperation auf neuer Grundlage gesucht werden.
Erfurt, 27. Mai 2021
Evangelische Reglergemeinde, Der Gemeindekirchenrat ------ Augustinerkonvent St. Martin von Tours