"Stell dich auf deine Füße!" (Ez 2,1)
Predigt von Br. Jeremias OSA
am 04. Juli 2021 (14. So B) in der Reglerkirche Erfurt
Fotos & Schnitt: Matthias Kiesl
Technik: Steffi Krause
Sehr geehrte Damen und Herren,
seien Sie herzlich willkommen hier in der Ev. Reglerkirche zur Vernissage der Fotoausstellung „Zwei Häuser eines Herrn“ von Monika und L'ubo Stacho.
Ich grüße Sie auch namens meiner Mitbrüder im Augustinerorden, des Kath. Forums im Land Thüringen, vertreten durch seinen Leiter Niklas Wagner, und des Bistums Erfurt. Niklas Wagner hat für uns den Kontakt hergestellt, dass wir heute die Ausstellung hier in Regler eröffnen können.
Besonders möchte ich begrüßen S.E. Marián Jakubócy, den Botschafter der Slowakischen Republik in Deutschland;
Herrn Dipl. Ing. Ivo Hanuš, Botschaftsrat und Direktor des Slowakischen Instituts in Berlin;
Herrn Dr. Albrecht Tintelnot, Honorarkonsul der Slowakischen Republik für Thüringen und Sachsen mit seiner Assistentin Frau Stefanie Bose
und
Frau Tanja Krombach, stellv. Direktorin des Deutschen Kulturforum östliches Europa, der ich schon an dieser Stelle ebenso wie Frau Bose sehr herzlich danke für die wunderbare Zusammenarbeit.
Ihnen allen ein herzliches Willkommen!
Es war ja lange nicht abzusehen, ob zum Zeitpunkt der Ausstellungseröffnung Reisen selbst innerhalb Europas möglich sein würden. Umso mehr freue ich mich, dass das Künstlerpaar Monika und L'ubo Stacho persönlich anwesend ist. Sie haben bereits am Samstag die Fotoausstellung hier in der Reglerkirche arrangiert und werden nachher auch ein paar Worte an uns richten. Seien Sie ganz herzlich willkommen!
Sabine Lindner hat uns zu Beginn mit Worten Hildegard von Bingens von Maria, der Gottesmutter, als der „Grünkraft Gottes“ gesungen. Unsere Sonne strahlt vor allem Licht des grünen Lichtspektrums, weshalb die meisten Pflanzen unserer Erde auch grün sind. So können sie am besten Photosynthese betreiben. Maria ist sozusagen die Grünkraft, die uns Gottes Energie zugänglich macht, indem sie der Welt Jesus Christus geboren hat.
Es braucht die Grünkraft unseres Gottes, damit Versöhnung möglich wird – gerade auch in Europa, das in seiner Geschichte immer wieder zerrissen wurde, am schlimmsten sicher durch die NS-Tyrannei und der Shoa; auch von den Wunden dieser Zeit erzählt die Fotoausstellung.
Der Kath. Bischof des Bistums Erfurt, Dr. Ulrich Neymeyr, richtet ein Grußwort an uns, das ich an dieser Stelle verlesen darf:
Der Titel der Ausstellung „Zwei Häuser eines Herrn“ spricht mich sehr an. Er verdeutlicht den engen Zusammenhang, der zwischen dem Judentum und dem Christentum besteht: Jesus war Jude, ebenso seine Mutter Maria und seine Apostel. Dass Juden und Christen als Geschwister im Glauben bezeichnet werden, hat also seine tiefe Berechtigung.
Diese enge Verwandtschaft allerdings ist viele Jahrhunderte lang von Seite der Christen missachtet und verletzt worden. Christen haben Juden diskriminiert, gesellschaftlich ausgegrenzt, verfolgt und getötet. Die Gegensätze zwischen den ansehnlichen Kirchen und den verfallenen Synagogen, die „Zwei Häuser eines Herrn“ ins Bild rückt, erinnern auch daran. Dieses düstere Kapitel der Kirchengeschichte ist für mich eine bleibende Mahnung, wohin Antisemitismus und Antijudaismus führen können. Deshalb halte ich als Christ es für meine Pflicht, einzuschreiten, wenn antisemitische oder antijüdische Positionen vertreten werden – ganz gleich, ob solche Stimmen von Christen oder von Nichtchristen kommen.
Heute erlebe ich das Miteinander vonJuden und Christen in Thüringen als sehr positiv – Gott sei Dank. Das Thüringer Themenjahr „Neun Jahrhunderte Jüdisches Leben in Thüringen“, das auf einer gemeinsamen Initiative der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen und der christlichen Kirchen in Thüringen fußt, ist ein Beispiel dafür. Gleiches gilt für die vielen Initiativen, die Juden und Christen in Thüringen gemeinsam durchführen, etwa im Bereich des Interreligiösen Dialogs oder im Bereich der Erwachsenenbildung. Es tut uns gut, ein positives Verhältnis zu unseren Geschwistern zu haben. Tragen wir unseren Teil dazu bei, dass dieses positive Verhältnis weiterhin Bestand hat. Dann können Juden und Christen in Thüringen und weltweit von dem einen Herrn Zeugnis ablegen, den wir in unseren zwei Häusern verehren.
Gez. Dr. Ulrich Neymeyr, Bischof von Erfurt
Weitere Statements und Grußworte finden sich in der Broschüre zur Ausstellung, die in der Kirche ausliegt.
Eigentlich möchten wir uns doch mit Krankheit, Leiden und Tod nicht auseinandersetzen. Und dennoch ist das alles immer um uns herum und immer wieder auch bei uns. In den Nachrichten, in Zahlen, im ganz persönlichen Erleben. Und da werden uns an so einem so sonnigen Abend/ Mittag gleich zwei doch ziemlich dramatische Texte vorgelesen. Sie haben einen gemeinsamen Nenner, e i n e Botschaft: Es soll nicht um den Tod allein gehen, sondern um das Leben! „Gott hat den Tod nicht gemacht und hat kein Gefallen am Untergang der Lebenden" (Weish 1,13). Geschichten mit Happy-End, das ist es! Und genau das brauchen wir doch!
Es gibt sogar eine Kurzfassung dieser schönen Geschichte, damit wir heutigen Menschen mit Twitter usw. im Trend bleiben: Verarbeitbare Informationen müssen auf 130 Zeichen begrenzt sein. Das wusste Markus noch nicht, als er die beiden Geschichten so ausführlich und in ihrer unfassbaren Dramatik miteinander verwoben hat, um sie dann der Gemeinde zuzumuten. Kurz und Knapp oder leicht verdaulich bzw. schnellstens technisch verarbeitbar, da geht alle Spannung verloren, sogar Inhalt: Schade, dass das heute so ist...
„Gott hat keinen Gefallen am Untergang der Lebenden“ (Weish 1,13). Aber das wissen wir doch! Wozu nur immer wieder dasselbe?
O.k., dann mal anders. Stellen Sie sich mal bitte Folgendes vor: Wir säßen hier in einer der beiden Notaufnahmen Erfurts. Es ist Samstagabend/Sonntag. Jesus ist auch da. Er ist ja Arzt, logisch – Christus der Medicus. Außer ihm, sehr zeitgemäß, wenig Personal, abgesehen von Auszubildenden und Ärzten im Praktikum. Wir kennen ihre Namen: Petrus, Jakobus,Johannes.
Ein weiterer Notfall: Ein Vater stürmt herein und ruft nach ärztlicher Hilfe, seine Tochter liegt im Sterben, erst 12 Jahre alt. Kind eines wichtigen Mannes in der Stadt, des Synaogenvorstehers Jairus.
Er kommt gleich zur Diagnose: eine Krankheit zum Tod. Da muss der Arzt gar nicht mehr fragen, keine Diagnostik. Und er geht mit, um zu helfen. Doch eine Notaufnahme kennt nur dramatische Fälle, und so ist kein Durchkommen, zuviel Leid, er wird aufgehalten. So viel von außen betrachtet – die dramatische Handlung.
Nun von einer anderen Perspektive ausgehend: Da ist eine Frau, die wohl nicht als Notfall gelten kann, denn sie ist chronisch krank. Seit 12 Jahren, ein Frauenleiden, so lange schon, wie das Mädchen Jahre zählt. Vielleicht ein ganzes Leben, beginnend mit ihrer ersten Menstruation. Der Erzähler richtet das Augenmerk nach innen: Er blickt ins Herz, das voll von Emotionen ist und von ihrer Diagnostik. Ein Leiden übrigens, das bis heute nur schwer zu behandeln und sehr belastend ist. Markus liest sich ähnlich wie klinische Studien. 12 Jahre geht das schon, von Arzt zu Arzt (alles Männer übrigens), und der Zustand hat sich verschlimmert, statt verbessert. Was sie das wohl gekostet haben mag...
Da ist noch etwas: Nach 3 Mose / Levitikus, also dem Gesetz, ist die Frau unrein. Sie also wagt es, Jesus trotzdem zu berühren, ihn den Mann mit einem Frauenthema, ihrem Problem, zu belästigen.
Doch Markus geht es um eine andere Form des Leidens, um die Gesamtheit: Das körperliche Leiden ist ein religiös-psychosoziales geworden. Sie ist ausgeschlossen, beschämt, mit einem Tabu belegt. Sie ist längst einen sozialen Tod gestorben, in 12 Jahren. Das ist kein Tod weniger, als der des Mädchens.
Beide sind in der Notaufnahme. Aus Verzweiflung, aus Glauben, Frau und Vater. Beides? Bei einem Notfall ist das doch wohl kein Unterschied, das kennen wir alle.
Die Frau berührt Jesu Gewand und spürt sofort an sich Veränderung. Wir werden wieder in ihr Inneres geführt: in ihr Empfinden, ihr Spüren, ihr körperliches Bewusstsein.
Dann kommt das Empfinden Jesu, als könnte man ihm die Seele sehen: Jesus fühlt, dass eine Kraft von ihm ausströmt, etwas Überwältigendes also. Und Jesus will, ja muss es wissen, wer ihn berührt hat. – Sie gesteht ihm die ganze Wahrheit. Sie offenbart ihm ihr ganzes Leiden, eine Art Lebensbeichte.
Und Jesus? – MeineTochter, sagt er, wissend, dass noch ein Mann da ist, dem es um seine Tochter geht, um die er bangt... Du sollst nicht mehr leiden. Gott hat mit dem Tod nichts zu schaffen, weder mit dem physischen, noch mit dem psychischen, auch nicht mit dem sozialen. Und nichts mit dem religiösen. Geh in Frieden, Shalom! D.h. Leben. Leben ohne Tod. Heilung pur! Da muss ja die andere Geschichte auch konsequent ausgehen, oder?
Diese ist doch genauso aufregend, weniger mit Scham besetzt und Tabus belegt, dafür ist es existenzielles Leiden. Der Vater, im Schlepptau den Notarzt Jesus – sie müssen hören, dass die Tochter tot ist.
Unverständnis, schallendes Lachen kommt ihnen entgegen: Was will der Wunderheiler hier? Ist doch eh nichts mehr zu machen! Ist alles zu spät! Weinen und heulen (Luther), heftiges weinen und klagen (Einheitsübetrsetzung). Ich glaube, wir können es nachvollziehen und fast hören.
Jesus? Schart seine Jüngern und die Eltern um sich, auch die Mutter! Und die engsten Zugehörigen. Alle, die mit dem Mädchen leben, alle die ihr verbunden sind. Und er ruft das Mädchen zurück in ein Leben, ein Erwachsenenleben.
„Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit geschaffen und ihn zum Abbild seines eigenen Wesens gemacht“ (Weish 2,23), liest es sich im Buch der Weisheit. Das ist der Wahnsinn, sagen die einen, Dramatik pur, die anderen, Wundergeschichten. Für uns, Sie und mich. Für unseren Umgang mit dem Tod. Für uns, die wir werktags wie sonntags in der Notaufnahme sitzen, weil wir mit dem Tod konfrontiert sind: durch Krankheit, mit der eigenen Sterblichkeit, dem Tod nahestehender Menschen, mit Trauer...
Mit dem Tod, der so viele Facetten, Gesichter in unserer Welt hat: psychisches Leiden und Absterben, sozialer Tod, Beschämungen, dem Verlust von Hoffnungen auf Frieden, auf Gerechtigkeit weltweit.
Kein Wunder, dass schnell Sarkasmus aufkommt, zynischer Sarkasmus, der uns drängt, sich mit der Vergeblichkeit von Hoffen und Engagement abzufinden. In Europa, in der Welt, hierzulande. Sarkasmus aber ist die Schwester des Todes.
Doch Gott hat mit dem Tod nichts zu tun: "Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit geschaffen und ihn zum Abbild seines eigenen Wesens gemacht" (Weish 1,13).
O.k., lehnen wir uns zurück, lassen es stehen: Alles schon mal gehört! Gut, den Bezug zur Medizin, mal was anderes. Und die Ausgrenzung, o.k.
Oder der mitfühlende Jesus – auch mal was anderes. Und mit dem Tod...
Ein Satz aus dem Römerbrief, der darf nicht ungehört und ausgelassen werden: „Wie ihr aber in allen Stücken reich seid, im Glauben und im Wort und in der Erkenntnis und in allem Eifer und in der Liebe, die wir in euch geweckt haben, so gebt auch reichlich bei dieser Wohltat“ (2 Kor 8,7). Sind wir das? Reich in vielerlei Weise?
Ja, wir sind doch die Frau, die im Segen lebt, den Jesus ihr zugesagt hat. Ja, wir können aufstehen und umhergehen und essen, wie die Tochter des Jairus. Spüren, wahrnehmen, dass es so ist und dann anderen vom Reichtum abgeben, deren Leben vom Tod geprägt ist. Mit unserem Überfluss dem Mangel anderer abhelfen. Sich wie Jesus mit dem Tod in seinen tagesaktuellen Facetten nicht abfinden! Ach, wo sind wir denn reich?
Das 2. Vatikanum hat es schon deutlichst auf den Tisch gelegt, die drei Gnadengaben der Kirche, der Gemeinden:
* Martyria – die Verkündigung des Evangeliums
* Diakonia – der Dienst der Liebe
* Leiturgia – die Sakramente.
Nein, nicht nur Caritas und Diakonie, also Spenden von Geld und Zeit. Das wäre doch zu einfach im Einsatz gegen Krankheit und Tod. Die Gnadengaben finden sich im Heil der Sakramente, die uns in die Lage versetzen, uns aus dem Tod zu befreien. Wir sollten sie freimütig geben, verschenken an alle, die sie brauchen, die sie auch haben wollen, wie die unreine Frau. Es sind doch Gaben des Lebens und nicht der neuerlichen Ausgrenzung in einer Welt unzähliger Tode und unbändigen Sarkasmus'. Sie sind Feiern des Lebens. Und unser Gott will das Leben!
Wir sind beschenkt und reich, so reich, dass wir abgeben sollten, dahin wo das Leid existenziell ist, wo Scham und Tabuisierung tiefes Leid verursachen: körperlich, psychisch, im sozialen Tod und in spirituellen Krisen. Wir müssen sie verschenken dürfen, ohne dass dafür Ungehorsam geleistet werden muss. Taufe – immer Zeichen des Lebens. Ehesegen für diejenigen, deren Liebe einmal zerbrochen ist und tabuisiert wurde. Krankensalbung – gerade denen, die nicht mehr gesund werden können oder für die, die darauf Kraft für ihren Heilungsprozess dazu geschenkt bekommen haben möchten. Wir sind nicht arm, wir sind reich, als Gemeinde, als Kirche! Eher arm an Ideen, am rechten Blick für Not... Hat nicht dieser Jesus seine Jünger wie Ärzte im Praxisjahr gelehrt und ihnen gezeigt, wie es geht?
Sich berühren lassen und von der eigenen Kraft freimütig abgegen. Sarkasmusund Zynismus usw. ablegen und auf das Klagen und Heulen und Weinen hören und dann sagen können: Steh auf und geh! Tod und Gott – dass passt nicht zusammen. Aber Gott und das Leben schon! Er hat alles geschaffen, und es soll Bestand haben. Was in der Welt geschaffen wird, soll heilsam sein. Wir sollten unseren Reichtum teilen: Talita kum, steh auf, iss und geh.
Predigt von Dorothea Höck im Kreuzgarten am 12. Sonntag im Jahreskreis B
Zelebrant: Br. Jeremias Kiesl OSA
Fotos: Steffi Krause
Ton & Schnitt: Br. Jeremias OSA
Der HERR ist mit uns im Schiff seiner Kirche. Auch in den Stürmen unseres Lebens bleibt er bei uns. Er bewahrt uns nicht vor diesen Stürmen. Aber er sitzt mit uns im Boot!
Gott ist größer. Lassen wir ihn auch größer sein als unsere Angst! So haben wir auch in unseren Nöten allen Grund, IHM zu vertrauen. Das ist die Frohe Botschaft, die uns in den Schriftlesungen verkündet wird. Dorothea Höck wir uns heute die Auslegung schenken.
Stellen wir uns in die Gegenwart des HERRN, der uns hier am Altar begegnen will.
Liebe Gemeinde,
unser Predigttext verlangt, dass wir diesmal etwas weiter ausholen, um einen Zugang zur Antwort Gottes auf Hiobs Anklage zu bekommen: Das Buch Hiob stellt die nie verstummenden Frage des Menschen an Gott nach dem Grund unschuldigen Leides und himmelschreiender Ungerechtigkeit auf der Welt.
Solches Leid trifft Hiob als den Inbegriff eines rechtschaffenen Menschen. Seine Frömmigkeit und Gottesliebe wird auf die härteste Probe gestellt. Unsere Erzählung beginnt ein bisschen wie Goethes Faust: Mit einem Prolog im Himmel.
Dort oben lobt Gott im Kreise der Engel seinen Knecht Hiob: „Es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und gerecht, gottesfürchtig und meidet das Böse“ (1,8). Doch Satan, der gefallene Engel, stichelt: Meinst du, Hiob verehrt Dich umsonst? Du hast ihm doch immer nur Gutes erwiesen, er ist der reichste und glücklichste Mann seines Landes. Ich bin mir sicher: Wenn ihm all das genommen wird, wird er dir ins Angesicht fluchen!
Da liefert Gott Hiob dem Satan aus mit den Worten: „Alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur schone sein Leben.“ Satan schlägt Hiob und die Seinen: Wohlstand und Besitz werden Beute von Räubern und Naturkatastrophen, seine Knechte ermordet, seine drei Töchter und sieben Söhne erschlagen.
Doch Satan behält unrecht: Als Hiob all das Unglück erreicht, zerreißt er seine Kleider, verneigt sich tief und spricht: „Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt!“(1,20f)
Das war also nicht genug. Noch einmal schlägt Satan zu – mit Gottes Erlaubnis. Hiob wird mit schlimmster Krankheit geschlagen, sitzt auf dem Aschehaufen und schabt sich die Haut vom Leib.
Seine Frau sieht ihn leiden und fordert ihn auf: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!“
Mir fällt auf, wie modern die Haltung der Frau ist. „Gott lässt Unschuldige leiden? Diesen Gott verwerfe ich, an so einen Gott kann ich nicht glauben. Ich will mein Leid beenden und habe damit selbst das letzte Wort über mein Leben.“
Doch Hiob hält an Gott fest: „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch von ihm annehmen?“
Jetzt reisen die Freunde von weither an, um Hiob zu trösten. Doch sein Elend verschlägt ihnen die Sprache, und statt billigen Trost zu plappern, setzen sie sich sieben Tage und sieben Nächte zu ihm und schweigen. Schließlich bricht Hiob das Schweigen mit einer herzzerreißenden Klage. Er verflucht den Tag seiner Geburt und wünscht sich, nie gelebt zu haben.
Über den vier Männern steht eine Frage im Raum, die kaum auszuhalten ist: Warum lässt Gott seinen frommen und gerechten Knecht Hiob leiden?
Die drei Freunde finden schnell eine Antwort und beginnen zu reden. Sie unterstellen Hiob: Irgendeine Sünde muss es doch geben, mit der er Gott erzürnt hat. Schließlich belohnt Gott die Guten und bestraft die Bösen.
Wir brauchen immer Erklärungen. Sie helfen uns, Unerträgliches und Ungerechtes zu ertragen. Wo wir keinen Sinn sehen, denken wir uns einen aus. Damit schützen wir uns davor, dass uns die Welt entgleitet und wir die Orientierung verlieren.
Hiob duldet die Antwort der Freunde nicht. Für ihn steht außer Frage, wer für sein Elend verantwortlich ist. Er rebelliert und klagt Gott an: „Die Erde ist in Frevlerhand gegeben. Ist er es nicht – wer ist es dann?“ (9,24). Wenn Gott einen Gerechten wie ihn zerstört, ist er ein Verbrecher. Dann ist die Erde Spielball eines Frevlers.
Solche Rede ist ungeheuerlich und die Freunde sind empört. So reden und streiten sie, statt sich auf die Not Hiobs einzulassen.
Hiob aber beharrt auf seiner Unschuld. Er lässt sich – im wörtlichen und im übertragenen Sinn – von den Freunden nicht klein kriegen.
Ist Hiob also ein Selbstgerechter? Wir sind ja seit Augustinus und Luther in dem Glauben geschult, dass wir unfähig sind, ein gottgemäßes Leben zu führen, und deshalb auf Gottes Gnade angewiesen sind.
Doch in unserem Fall hieße es: Thema verfehlt! Nein, unser Angewiesensein auf Gottes Gnade darf keine Pauschalantwort auf Leid und Ungerechtigkeit in der Welt werden. Wo alle schuldig sind, ist letztlich niemand verantwortlich.
Gott selbst hatte ja Hiob einen Gerechten genannt. Ein Gerechter darf Gerechtigkeit einfordern! Hiob schwört einen Eid, dass er sein ganzes Leben unter den Willen Gottes gestellt hat und eröffnet den Prozess: „Der Allmächtige antworte mir!“ (31, 35)
Darf er das? Dazu eine chassidische Geschichte: 1„Als einer Frau mehrere Kinder in frühem Alter starben, wandte sich die Mutter an die Frau des Rabbi Moische Löb: Was für ein Gott ist denn der Gott Israels? Er ist grausam und nicht barmherzig. Er nimmt, was Er gegeben hat.
So dürfe man nicht reden, meinte die Frau des Rabbi. Unergründlich seien die Wege des Herrn, der Mensch müsse lernen, sein Schicksal anzunehmen.
In diesem Augenblick erschien Rabbi Löb und rief der trauernden Mutter zu: „Und ich sage dir, Frau, man muss es nicht annehmen! Man muss sich nicht unterwerfen. Ich rate dir, zu rufen zu schreien, zu protestieren, Gerechtigkeit zu fordern, verstehst du mich, Frau? Man darf es nicht annehmen.“
Empörung darf sein. Am Ende unserer Hiobs-Erzählung wird Gott über seine eifrigen Freunde mit ihrer Erklärungswut ein vernichtendes Urteil fällen, nicht über Hiob. Dennoch bestürzt mich die Antwort Gottes auf Hiobs Anklage, denn sie verweist nicht ohne Ironie auf seine Macht und Majestät:
(38, 1-11 in Auszügen:) „Und der HERR antwortete Hiob aus dem Sturm und sprach: Gürte deine Lenden wie ein Mann! Ich frage dich, lehre mich! Wo warst du, als ich die Erde gründete? Wer hat das Meer mit Toren verschlossen, als es herausbrach wie aus dem Mutterschoß, als ich's mit Wolken kleidete und in Dunkel einwickelte wie in Windeln, als ich ihm seine Grenze bestimmte und setzte ihm Riegel und Tore und sprach: »Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen!«?
Mich beeindruckt und befremdet Gottes Antwort gleichermaßen. Die Sprache ist umwerfend schön. Doch ist Gott das Leid der Menschen gleichgültig? Hiob geriet mit seiner Zustimmung ins Unglück. Was ist denn das für ein Gott?
Wirklich harter Tobak.
Fjodor Dostojewski lässt in seinem Roman „Die Brüder Karamasoff“ den Ältesten Iwan die Hiobfrage stellen und im Gespräch mit seinem Bruder Aljoscha selbst beantworten. Wie Hiob weist der empörte Iwan alle Versuche zurück, dem Leid einen höheren Sinn zu verleihen. „So sag mir doch bitte, was das mit den kleinen Kindern zu tun hat? Es bleibt unbegreiflich, warum auch sie leiden müssen … Ich will verzeihen und umarmen und will nicht, dass noch gelitten werde. … Darum beeile ich mich, mein Eintrittsbillet (in diese verkehrte Welt) zurückzugeben. … Nicht Gott ist es, den ich ablehne, ich gebe ihm nur die Eintrittskarte ergebenst zurück.“ Auch Iwan wünscht sich, nie geboren zu sein.
Warum lässt Gott die Unschuldigen und Gerechten leiden? Und warum lässt er manchmal am Ende die Boshaften, die Ungerechten, Intriganten und Niederträchtigen triumphieren?
Diese Frage hat den Atheismus hervorgebracht: Man kann doch nicht an einen Gott glauben, der die Welt so fehlerhaft gemacht hat! In der Neuzeit kehrt sich das Verhältnis zwischen Mensch und Gott um, nicht mehr der Mensch muss sich vor Gott rechtfertigen, sondern Gott vor den Menschen: „Nicht ob der Mensch vor seinem Gott bestehen kann, ist jetzt die Frage, sondern ob der Herr vor uns besteht: Gott lebt seither – sofern es nach dem Menschen geht – von des Menschen Gnade.“ 2 Damit aber hört Gott auf, Gott zu sein.
Anders bei Hiob. Seine Antwort auf die Rede Gottes reizt mich bis heute zum Widerspruch, denn auch ich bin ein Kind der Neuzeit. Hiob bekennt (Hi 42, 1-6): „Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer… Darum hab ich ohne Einsicht geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe. … Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum gebe ich auf und bereue in Staub und Asche.“
Wir erfahren, dass Gott Hiob am Ende reicher macht als zuvor, einschließlich Kindersegen, und seine Töchter die schönsten im ganzen Land sind. Unsere Geschichte nimmt also einen guten Ausgang.
Dennoch frage ich mich: Gibt Hiob am Ende klein bei?
Martin Buber macht eine wichtige Unterscheidung zwischen zwei Glaubensweisen 3: Man kann glauben, dass Gott ist: Dann kann man auch in seinem Rücken leben. Man kann auch darüber streiten, ob er nicht ist.
Wer ihm aber vertraut, lebt in seinem Angesicht. Als Kronzeugen dafür nennt Buber Hiob: Er empört sich gegen Gott, aber zugleich vertraut er ihm und hält ihm die Treue. Er lässt Gott Gott sein und bleiben. Und Gott zeichnet Hiob aus, indem er von Angesicht zu Angesicht mit ihm spricht wie mit Mose und Elia.
So unterscheidet sich Hiob von all jenen, die Gott zum Gegenstand von Spekulationen machen, wie es seine Freunde tun.
Wir haben nun am Ende keine logische und allgemein zufriedenstellende Antwort auf unsere Frage. Stattdessen hören wir das Bekenntnis des Hiob (19, 25-27): „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder.
Später wird uns noch eineandere Antwort auf unsere Frage geschenkt, aber die tritt nicht in Konkurrenz zu Hiobs Bekenntnis: Gott ist nicht erhaben über das Leid der Menschen, er selbst hat sich darauf eingelassen, bis zur allerletzten Neige, durch seine Menschwerdung in Jesus Christus.
Ich schließe mit einem Gedanken des polnischen Dichters Czesław Miłosz: „Der Anstand gebietet es, dass ich, der all diese Prüfungen, die eigentlich über meine Kräfte gegangen waren, heil überstanden habe, an Gott glaube. Aus Dankbarkeit.“ 4
Bitten wir Gott, dass er uns fähig zur Dankbarkeit macht und von unserer Blindheit für seine Gaben heilt. Amen.
Messe zum 11. Sonntag im Jahreskreis B mit Christoph Kuchinke
(Predigt zu 2 Kor 5,6-10 und Mk 4,26-34)
Zelebrant | Schnitt: Br. Jeremias Kiesl OSA
Evangelium: Br. Pius Wegscheid OSA (Mk 4,26-34)
Lektorinnen: Sophie Jahn (2 Kor 5,6-10) und Dr. Monique Stolle (Meditation von Hanne Bares)
Klavier: Hubert Nekola
Kreuzgarten der Reglerkirche zu Erfurt | Augustinerkonvent St. Martin von Tours 13.06.2021
Kaum zu glauben – eine Rate-show im NDR: Es gilt herauszufinden, welche außergewöhnlichen Geschichten der Wahrheit entsprechen und welche reine Lügen sind. Da gibt es vorab Live-Apps exklusiv, Live-Streams und mit dem Newsletter kann man nichts verpassen.
Kaum zu glauben, und doch haben wir eben in den Lesungstexten nichts anderes gehört. Und doch würden wir viel lieber schauen, mit eigenen Augen…
Manchmal scheint alles ganz einfach und auf den ersten Blick eindeutig – aber schauen wir dann genauer hin, wenn wir's denn tun, sind wir überrascht. Nur das glauben, was man sieht – das gehört zur Lebensphilosophie vieler Menschen. Denn nur auf das, was man mit eigenen Augen wahrnehmen kann, sei letztendlich Verlass.
Doch ist das wirklich so? Nur allzu oft enttäuscht uns auch der eigene Blick. Er ist selektiv, er orientiert sich an unseren Erwartungen und unserem Vorwissen, ganz nach dem Goethe-Wort: „Man sieht nur, was man weiß.“ Das eigene Auge spielt uns einen Streich. Es lohnt sich also ein zweiter Blick. Ist wirklich alles so, wie es scheint? Oft stellen sich scheinbar eindeutige Dinge dann als deutlich komplexer dar, und am Ende erwartet uns eine wirkliche Überraschung.
Glauben heißt nicht Schauen. Warum eigentlich nicht? Wie viel leichter fiel uns das Glauben, wenn es mehr zu sehen gäbe.
Unsere Augen sind müde von den Bildern aus Kriegs- und Krisengebieten, von zu wählenden Politikern und Parteien, von Zahlen aller Art zu Corona und Impfen und Terminen, zu Austritten aus den Kirchen, zu neuen Missbrauchszahlen – nicht nur in den Kirchen –, zu Demos und natürlich auch aus den Niederungen unseres eigenen Lebens. Und so wenig scheint dafür zu sprechen, dass Gott da ist und wirkt. Nur hier wird von ihm gesprochen und gesungen und gebetet, draußen scheint er kaum vorzukommen.
Aber lassen wir uns nicht irritieren. Schauen wir auf die Experten, die eben zu Wort gekommen sind, also in die Bibel.
Das Judentum war ein System des Schauens. Alles war auf das Irdische, Sichtbare ausgerichtet. Auch die Erwartung der gläubigen Juden war eine Erwartung des Schauens. Sie wollten zusehen, wie der Messias Israel befreite und sein Recht aufrichtete.
Zu Lebzeiten, wie nach seiner Auferstehung hat Jesus sich viel Mühe gegeben, diese gläubigen Juden vom Schauen zum Glauben zu führen. Seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter waren gläubige Juden. Sie waren eng mit ihm zusammen, sahen und hörten ihn. Und doch: Er würde sie verlassen: „Ich gehe hin“ (Joh 14,2).
Und er fordert sie auf: „Glaubt an mich“. Das brauchten sie bis dahin nicht, sie sahen ihn ja. Doch die Zeit des Sehens würde bald vorbei sein, und dann würde eine Zeit des Glaubens beginnen. Das mussten sie erst mal begreifen.
Erinnern wir uns an Maria Magdalena, die ihn anrühren wollte, die die irdische Beziehung mit dem Auferstandenen weiterführen wollte, die sie vor seinem Tod hatte. Jesus wehrt sich: „Rühr mich nicht an, denn ich bin noch nicht zu meinem Vater heimgekehrt“.
Auch die Jünger bei Lukas bekommen ihre Lektion. Sie hatten ihre Hoffnung ganz und gar auf das Zeitliche, Sichtbare, Irdische gerichtet: „Wir aber hofften, dass er der sei, der Israel erlösen solle“ (Lk 24,21). Es wird dafür gesorgt, dass sie in dem Fremden nicht Jesus, ihren Herrn erkennen. Und als er ihnen zugesteht, mit ihm das Brot zu brechen und ihn zu erkennen, wird er sofort unsichtbar. Sie sollten vom Schauen zum Glauben geführt werden.
Paulus schließlich fasst diese Tatsache mit den Worten zusammen: „Wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen... und wenn wir Christus dem Fleisch nach gekannt haben, kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr so“ (2 Kor 5,7.16). Mit seiner Gemeinde in Korinth bewegt er dieses Thema, weil es die Gemeinde beschäftigt. Wie gehen sie auf den Tod und das Danach zu. Glaubende sollen sie bleiben, in dieser Welt und auf dem Weg zu einer immer tieferen Begegnung mit Gott in Jesus Christus.
Gelegentlich sind sie schon Schauende, zumindest an den Wendepunkten des Lebens. Und sie können wie er, die umstürzlerische Erfahrung machen, dass Jesus lebt. Er ermuntert die Gemeinde immer wieder neu nachzudenken, anders zu denken, eine ungewöhnliche Perspektive einzunehmen: in diesem Leib zu Hause zu sein, bedeutet in der Fremde zu sein – also Hoffnung zu haben auf etwas Anderes, Neues – wie in einem Spiegel: auszuwandern, daheim beim Herrn zu sein. Über den Tod hinaus zu denken. – Eine weltfremde Sicht?
Sie sollen nicht der Welt entfliehen, sie sollen als Glaubende ihren Weg gehen, im Vertrauen und auf die Beziehungen achten, die neu geordnet werden, die von Heimat und Fremde. Aus der Fremde (das Bild für Christus) soll Heimat werden. Die Zuversicht soll geprägt werden, die aus Glauben kommt und zum Glauben führt.
Kaum zu glauben. – Ja, nur der gläubigen Gemeinde werden solche Geheimnisse anvertraut, wie wir es eben im Evangelium gehört haben.
Dieses Gleichnis ist bestimmt von der hoffnungsvollen Zuversicht, dass Gott sein Reich vollenden wird, auch wenn es im Augenblick nicht so ausschaut, ist es im Wachsen. Gott garantiert es, das Aufgehen und Wachsen bis zur reifen Frucht. Deshalb ist es nicht notwendig zu verzweifeln, wenn wir an Grenzen kommen des Unbegreiflichen, des Nicht-machbaren, wenn wir nicht die Vollendung sehen, nur Rückschläge und Misserfolg. Es scheint eine Notwendigkeit in der Verborgenheit des Wachstums des Gottesreiches zu liegen, und spüren wir sie nicht um uns und in uns?
Und doch: In Jesu Taten und Worten, die wir ja haben, ist schon etwas spürbar von Gottes Herrschaft. Aber sowohl die Jünger, wie wir heute leben in einer Zeit des „verborgenen Wachstums“ – ganz im Gegensatz zum fast unaufhaltsamen scheinbar sichtbaren Wachstumswahn der Welt.
Im Gleichnis liegt der Akzent auf dem Ergebnis: Aus dem scheinbar Unscheinbaren, dem kleinsten, wird etwas Gewaltiges von umfassender Bedeutung. Das ist die Handlungsweise Gottes und Einladung an die Glaubenden, dass nichts verlorengeht, weil Gott aus den kleinsten Ansätzen etwas Großartiges machen kann. Deshalb wird es auch nur den Glaubenden offenbart und anvertraut.
Weil eben erst im Glauben das vertrauende Hoffen und Warten auf das Handeln Gottes zugänglich ist. Und die Experten der Schrift, die, die mit Jesus zusammen waren und die ersten Gemeinden, sollten es immer wieder erinnern: dass Gott nicht später handelt, sondern jetzt. Also sein Reich beginnt nicht irgendwann, sondern jetzt!
Den rechten Blick auf die Mitmenschen zu haben, Arme, Kranke, Schwache, Behinderte, Ausgegrenzte nicht als Problemfall oder Gefahr für das Vorankommen einer Gesellschaft zu sehen. Sie sollen Aufforderung zur Solidarität sein, zu unserer Hilfe.
Ich möchte uns keine Ratschläge geben, aber zwei Beispiele:
Von einem Pfarrer im ehemaligen sowjetischen Internierungslager Buchenwald las ich, dass er stets lächelnd Tag für Tag sich unter den Sträflingen umschaute, bis er einen besonders Trostbedürftigen gefunden hatte. Mit ihm spazierte er vor der Baracke auf und ab. Er war überzeugt, dass eine Last, verteilte man sie auf zwei Schultern, sich leichter tragen ließ.
Natürlich muss unser Tun glaubwürdig sein, wenn wir dies verkünden und leben, in welcher Gesellschaftsordnung auch immer. Das geht nur, wenn unsere Binnenstruktur wieder und in Ordnung kommt und verantwortlich handeln muss, wer anderen Schaden zugefügt hat. Es steht zu viel auf dem Spiel.
Es duldet keinen Aufschub, Gottes Reich hat schon angefangen, es wächst und lässt sich nicht auf später verschieben, sagt Jesus. Es hat begonnen, und alles und jedes, Erreichtes und Erlittenes, Gesagtes und Gefühltes wird nicht verloren gehen, sondern in die Ewigkeit eingehen. Das glaubten schon Menschen weit vor Jesus.
Das kann auch und muss unser Glaube sein oder werden, dass jetzt schon Gottesreich ist. Jede und jeder zunächst ganz allein bei sich selbst und es dann dies miteinander teilen, mit allen Facetten. Das stärkt, das trägt, jeden einzelnen, die Gemeinde und dort, wo wir im Alltag leben. – Kaum zu glauben.
Und ja, die Zeit des Glaubens wird einmal ihr Ende finden, und dann werden wir vom Glaubenzum Schauen geführt: „Wir werden ihn sehen, wie er ist“ (1 Joh3,2). Von unseren Verstorbenen, Heimgegangenen, Vorausgegangenen wissen wir dies nicht, auch das ist uns verborgen. Aber wir glauben, dass sie gut aufgehoben sind, weil sie ja schon Anteil haben an dem, was bereits begonnen ist. – Auch das kaum zu glauben.
Am Schluss ein Zitat von Meister Eckart:
„Etliche Leute wollen Gott mit Augen schauen, so wie sie eine Kuh betrachten, und wollen Gott genauso lieben, wie sie eine Kuh lieben“.
(Dein Sehen ist Lebendigmachen – Dein Sehen bedeutet wirken.)
Rechnen wir wirklich noch damit
dass Gott uns nahe ist?
Dass Er eingreift in unser Leben
und das Unmögliche möglich macht?
Halten wir die Sehnsucht nach Ihm
wirklich noch wach?
Suchen wir noch nach
Seinen Spuren in unserem Leben?
Glauben wir Ihm wirklich
dass Er in all den Baustellen und
Wüsten unseres Lebens kommt und
dort neues Leben aufblühen lässt?
Und sind wir wirklich bereit
uns einzulassen auf Ihn
auch wenn Er ganz anders handelt
als wir es uns wünschen und vorstellen?
(Hanne Bares)