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December

2023

„Nehmt den Hass weg. Es ist so einfach Mensch zu sein“

Christoph Kuchinke

Gott kommt zu uns: Bereitet Seine Wege!

Predigt von Christoph Kuchinke zum 2. Advent Lj B in der Brunnenkirche

Jesája 40,1-5.9-11 und Mk 1,1-8

Fotos: www.unsplash.com

Predigt

Auf einer unserer Pilgerwanderungen auf dem Grünen Band in Süd-Thüringen führte der Weg  am Froschgrundsee vorbei, ein Stausee, 1986 gebaut. Ihn überspannt eine beeindruckende Talbrücke mit einem 270 Meter weiten Bogen und 800 m Länge. Und wenn dann ein ICE darüberfährt mit 250 km/h von oder nach Coburg und dann im Tunnel verschwindet, - ein beeindruckender Augenblick.

Erhaben fährt der ICE im Thüringer Wald über tiefe Täler und durch mächtige Hügel. Ein Kunstwerk von Ingenieuren hat das ermöglicht. Es ist beeindruckend, wie solche Schnellzugstrecken sich auf ebener Bahn durch die Landschaft ziehen.

Gut ist es, wenn ihn nichts aufhalten kann.


Berge und Täler waren über Jahrhunderte schwierige Hindernisse auf Reisen. Sie zu überwinden, brauchte viel Zeit und es sah eher nicht so majestätisch aus, wenn die Reisenden hinter der Kutsche hinterher liefen, weil die Pferde ausreichend zu tun hatten, das Gefährt selber den Berg hinauf zuziehen.

So kann kein König reisen und erst recht nicht Gott. Aber wie soll Gott sonst kommen?

Dass Berge und Täler Hindernisse aufdem Weg sind, wussten die Propheten schon, wie Jesaja: (Jesaja 40, 3-5 lesen)

Was für ein eindrucksvolles Bild. Gott kommt, und alle sollen ihm einen Weg bereiten, Täler werden aufgefüllt, Berge abgetragen. Eine breite, ebene Schneise zieht sich durch die Landschaft. Und auf dieser Bahn wird Gott kommen. Und alle werden ihn sehen und staunen. Traumhaft.

Heute wäre das höchst problematisch mit solchen Schneisen, da müsste Gott unterirdisch neben verlegten Stromtrassen vorlieb nehmen.

Zurück zu Jesaja: Das wäre ein sagenhafter Stoff für einen Film, großartig und mit wahnsinniger Musik. Gott kommt wie ein strahlendes Licht, wie eine überwältigende Macht. Und alles andere daneben wird klein, unbedeutend, mickrig.

Alles Mühsame und Beschwerliche würde beim Sehen dieses Films von einem abfallen. Man hat teil an diesem gewaltigen Ereignis und wird selbst auch gleich größer. Das Herz wird weit. Traumhaft. Leider gibt es diesen Film nicht. Immerhin gibt es eine Komposition, eine Vertonung dieser Szene bei Georg Friedrich Händel.

Das ist doch was, Gott kommt gewaltig und alle Welt kann es sehen. Da liegt eine Sehnsucht darin. Gott kommt – und alle Probleme werden klein und unbedeutend. Alles, was man noch so zu erledigen hat, ist nicht mehr wichtig. Und in der Gegenwart Gottes erscheint, was nicht so gut gelungen ist, nicht mehr so schlimm. Ein Traum.

Das sind echte Adventsmomente. Den Alltag unterbrechen, einen Schritt zurücktreten und die Aufgaben, die vor einem liegen, rücken in den Hintergrund. Wenn Gott kommt, komme ich auch selbst zu mir. Wenn Gott da ist, kann ich auch da sein. In einem Gebet, im anzünden einer Kerze, im Hören adventlicher Musik.


Ja, es sind die Adventslieder, sie besingen das Kommen Gottes. Sie erzählen, wie heilsam Gott für die Welt ist. Wenn Gott kommt, werden keine Kriege mehr geführt, keine Terroranschläge. Kein Mensch wird mehr unterdrückt. Alles Unrecht hat ein Ende. Das Leben wird endlich so, wie Gott es in seiner Schöpfung vorgesehen hat.

Was für eine Hoffnung: Gott kommt vom Himmel gefahren, schneller als jeder Hochgeschwindigkeitszug, und die Diktatoren und Gewalttäter, Ausbeuter verweist er in ihre Schranken.

Einige Adventslieder sind vor 400 Jahren entstanden. Damals herrschte Krieg, so lange, dass er später als dreißigjähriger Krieg in die Geschichte einging. Er überzog alles und alle mit unvorstellbarem Leid. Und da, wo er gerade mal nicht wütete, da führten die Bewohner einen anderen Krieg – gegen die eigenen Mitbürger. Hexenprozesse landauf, landab, Frauen und Männer werden angezeigt, beschuldigt, im Bund mit dem Teufel zu stehen. Es konnte jede und jeden treffen. Volle Gefängnisse, lodernde Scheiterhaufen, auf denen Menschen verbrannt werden, wegen völlig abstruser Vorwürfe, wegen Taten, die sie nie begangen haben. Sie gestehen sie aber unter schlimmster Folter. Unrecht überall, sichtbar.

Und Gott? Der scheint sich darum nicht zu kümmern, sich nicht berühren zu lassen. Er ist weit weg. Eine verzweifelte Lage, und mittendrin ein Seelsorger im Gefängnis für die, die dort schmachten und als Hexen auf ihre Hinrichtung, den Scheiterhaufen warten. Er merkt, dass es ein Irrtum ist, ein tödlicher, ein Wahn, der das ganze Volk befallen hat.

Ihm wird klar: so kann es nicht weitergehen, nicht länger dürfen unschuldige Menschen getötet werden, weil sie nicht ins Schema passen, weil man Sündenböcke braucht. Er weiß auch: etwas gegen die Hexenprozesse zu sagen, gilt als Ketzerei, und dafür brennen die Scheiterhaufen.

Was soll er tun? Er will nicht schweigen, nicht sprachlos bleiben bei diesem Leid. Er greift zur Feder und schreibt, gegen die Hexenverfolgung anonyme Streitschriften. Er rüttelt die Menschen auf und klagt Gott das Leid, fleht Gott an einzugreifen, nicht stumm und verborgen zu bleiben. - „O Heiland reiß die Himmel auf“ (Friedrich Spee)

Für Friedrich von Spee erfüllt sich die Sehnsucht nicht. Der Himmel bleibt geschlossen, die Prozesse gehen weiter.

Auch für Jesaja hat sich die Sehnsucht nicht erfüllt. Kein mächtiger Gott führt das Volk aus der Fremdherrschaft, befreit es von Unterdrückung. Ein fremder Herrscher gibt die Freiheit zurück. Führt sie nach Hause, lässt sie ziehen.

Ihre alte Heimat ist von Krieg verwüstet, Städte zerstört. Die Schuttberge sind wegzuräumen, um neue Häuser zu bauen. Ohne Glanz und Gloria ist diese Rückkehr, Staub und karger Boden. Eine Hoffnung hat sich nicht erfüllt, weiter bleibt eine Sehnsucht, dass Gott kommen soll, eingreifen und Gerechtigkeit schaffen soll und alles gut wird.

Auch die Evangelisten kennen diese Sehnsucht und die Worte des Propheten Jesaja, wie Täler erhöht und Berge abgetragen werden sollen, damit eine ebene Straße entsteht, damit Gott kommen kann.

(Mk 1, 1-8)

Und da ist er wieder, dieser Traum, Gott kommt auf ebener Bahn. Keine Täler, keine Berge halten ihn auf. Alle Welt sieht sein Heil und ganz anders geht es weiter.

Und wieder ist es anders. Da taucht plötzlich ein Kind auf, ein besonderes, es kommt in Gottes Auftrag. Und weil es einem mächtigen Kaiser gefällt müssen seine Eltern – vor seiner Geburt – den mühsamen Weg von Nazareth nach Betlehem machen, weil dieser Herrscher Geld für seine Kriege braucht, Listen für Steuern. Niemals können die Herrscher – zu allen Zeiten – genug bekommen.

Kleine Leute sind die Eltern dieses Kindes, wie die meisten im Land. Sie müssen tun, was die Mächtigen anordnen. Dann bleibt nur der Stall, Dreck und Staub und da kommt das Kind zur Welt und... es sind die Ärmsten, die zuerst davon erfahren. So kommt Gott, als Kind und ein Kind ist einem doch näher, als ein vom Himmel mit Getöse herabfahrender Gott. Weil das Kind unser Leben teilt, heranwächst wie Menschen heranwachsen.

Gott erscheint nicht als Überflieger und Superheld, der über die Köpfe der Menschen hinweg die Welt wieder in Ordnung bringt. Die wir Menschen übrigens bis auf den heutigen Tag in unserer Bosheit zerstören. Er fegt Täler und Hügel nicht einfach weg, hilft aber darüber hinweg.

Ein Gemeinderaum, ein Kreis mit Stühlen, in der Mitte Tücher, eine Kerze, Blumen. Es kommen Frauen und Männer, sie haben etwas gemeinsam, sie haben einen Menschen verloren, sie kommen in die Trauergruppe. Sie lassen sich von mir begrüßen, unterschiedlich, wie unsere Beziehung ist, manche wollen auch in den Arm genommen werden. Sie sind verzweifelt, ihr Leben fühlt sich schrecklich leer an, sie können sich oft zu nichts aufraffen. Blass sind manche, mit dunklen Augenringen, weil das Leben für sie still steht und sie über den Verlust nicht hinweg kommen.

Menschen, die an einem Abgrund stehen, die vor einem tiefen schwarzen Loch stehen. Voller Schmerz und Trauer und Leere. Sie wissen nicht, wie es weitergehen soll. Immerhin, haben sie sich aufgemacht, mit ihrer Trauer nicht allein zu sein und zubleiben.

Sie erzählen von dem Menschen, den sie verloren haben und sitzen da mit der Frage, ob es ein Leben hinter diesem schwarzen Loch gibt. Und wenn schon niemand das Loch zuschüttet, gibt es wenigstens eine Brücke, einen Steg, über den sie weitergehen können.

Manchmal ist da Wut und Zorn, wie Gott das zulassen kann und was ich als Pfarrer dazu sage, weil ich mich doch da besonders auskennen würde. Sie vergessen manchmal, dass ich dort auch als Trauernder sitze. Aber auch als Theologe kann ich ihnen ihre Frage nicht beantworten, kann ihre Wut und ihren Zorn auch nur mit ihnen aushalten. Uns klar werden lassen,  dass Trauer eben Zeit braucht und bei der Trauer um Menschen, die ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt haben, nicht mehr leben wollten, sehr lange dauert. Eigentlich nie wieder gut wird. Höchstens anders.

Und so erzählen sie immer wieder von dem Verlust, von dem Schmerz. Und irgendwann fangen sie an, auch das andere zu erzählen, dass sie glauben, es wird weitergehen.

Einmal sagte ein Teilnehmer, dass er mit Gott nichts mehr zu tun haben wollte, weil er nicht verhindert hat, dass sein Sohn aus dem Leben geht. Gott sollte ihm gestohlen bleiben. Und dann sei ihm dieser Gedanke gekommen, dass es vielleicht gar nicht Gottes Aufgabe sei, das zu verhindern. Seine Aufgabe sei es wohl, auch im Unglück da zu sein. Und er habe gebetet: Gott komm, lass mich nicht allein, schick ein Licht in meine Dunkelheit. Immer und immer wieder habe er das so vor sich hergesagt. Und er sei ruhiger geworden und habe sich nicht mehr so schrecklich verlassen gefühlt. Ja, und jetzt glaube er: Gott geht mit mir über dieses dunkle Loch.

O.k. Soviel zu den Tälern. Und die Berge, die wir zwischen uns und Gott stellen?

Bald, an Weihnachten feiern wir die Geschichte des Kindes, in dem sich Gott als der zeigt, der uns nahekommt, uns versteht, in den Tiefen unseres Lebens beistehen möchte. Wir brauchen aber manchmal Wegweiser, Unterstützer, Wegbereiter, wie sie uns die Evangelisten an die Seite stellen. Z.B. die Stimme des Predigers in der Wüste, der das Kommen Gottes ankündigt und auf ihn hinweist: Johannes.

Zu ihm kommen die Menschen in die Wüste, lassen sich taufen, wollen damit ein Zeichen setzen, dass sie ihr Leben ändern wollen, umkehren, neues Leben, Gott gefälliges Leben beginnen wollen.

Bei Markus ist das ja alles easy, sie kommen, er predigt, tauft, weist auf den hin, der nach ihm kommt, der mit Heiligem Geist tauft und der klar und deutlich sagt und lebt, wie es gottgefällig ist. Schön, wenn es so wäre, statt Absichtserklärungen auf Weltkonferenzen, konkrete Taten, Handeln, jetzt, sonst ist unsere Zukunft verspielt und Gottes gute Schöpfung am Ende.

Dass viel zu tun ist, viel zu ebnen und abzutragen ist, und eigentlich jede und jeder weiß, wie sie und er leben sollte. Da ist Verzicht angesagt und liebgewordener Wohlstand aufzugeben. Handlungsfähig sein, nicht zulassen,dass anderen fehlt, was wir im Überfluss haben.

Dass sich alles nicht nur um uns selbst drehen soll und wir damit keinen Platz in Kopf und Herz für Gott, seine Schöpfung und alle Menschen darin haben. Innere Freiheit sollen und dürfen wir haben, das Rechte zu tun und das Unrechte zu lassen. Uns von der Not anderer berührenlassen, teilen. Alle sollen das Heil Gottes sehen und teilhaben.

Richtiges Verhalten kann ganz einfach sein, und eigentlich wissen wir ja, worauf es ankommt.

2 Beispiele dazu:

Die wohl beeindruckendste Initiative des Nahen Ostens, der „Parents circle“.

Die darin organisierten Palästinenserinnen, Palästinenser und jüdischen Israelis, die alle Familienangehörige im Konflikt verloren haben, kämpfen gemeinsam für ein Ende des Blutvergießens. Sie finden auch in diesen Tagen, da die Tore der Hölle weit offen stehen, gemeinsame Worte. Am 8. Oktober, einen Tag nach dem Angriff der Hamas schrieben sie:

Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die Zeit gekommen ist, die Situation zu ändern. Diese Region hat schon zu viel Schmerz, zu viel Blutvergießen und zu viele Tränen ertragen müssen. Dies ist ein Moment für alle Beteiligten, über die Sinnlosigkeit dieses anhaltenden Konflikts nachzudenken und die gemeinsame Menschlichkeit zu erkennen, die uns alle verbindet.

Margot Friedländer, die den Holocaust überlebt hat, sagte in einem Interview: „Nehmt den Hass weg. Es ist so einfach Mensch zu sein

So denken müssen Menschen, die in der Lage sind, über ihr Lager hinauszublicken, die den Schmerz der anderen empfinden können. Wenn diese Menschen, die den höchsten vorstellbaren Preis gezahlt haben, sogar jetzt dazu in der Lage sind, den Schmerz der anderen zu sehen und eine politische Lösung zu fordern, dann müssen eigentlich alle das können. (Judith Poppe, langjährige Korrespondentin der taz in Tel Aviv.)

So sollte und könnte es sein. Weihnachten verkündet es, andere sehen es, hoffentlich auch durch uns. Im Kind in der Krippe, dem Christus, hat Gott es uns Menschen gezeigt, gegeben, geschenkt.

Aber vielleicht ist Gott ja längst da oder er war nie richtig weg.

Er ist doch der „Ich bin da“!

Ist da nicht klar, wo man ihn suchen muss?

Es ist Advent. Hier und überall auf der Welt.

W i r  müssen ihm entgegengehen.

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December

2023

Wacher Neubeginn

Dorothea Höck

Singegottesdienst am 1. Advent 2023 in der Brunnenkirche

Predigt zu Mk 13, 33-37 am 2. und 3. Dezember in der Brunnenkirche

Liebe Gemeinde,

Mit diesem Gleichnis möchte Jesus den Seinen Mut machen, ihrem Glauben eine Richtung geben. Der Herr geht aus dem Haus – der Zeitpunkt seiner Rückkehr bleibt offen. Jesus wird die Seinen verlassen – doch er kehrt wieder. Wann, das erfahren sie nicht. Jeder bekommt seine Aufgabe: Tu, was Du kannst. Jede und jeder erhält Exousia: Eine wunderbare Gabe, die Vollmacht, Kraft, Fähigkeit, Macht bedeutet. Die Zurückbleibenden erhalten die Verantwortung für das gemeinsame Haus. Angst und Leere, Ohnmacht und Lethargie soll kein Raum gegeben werden. An alle appelliert der Herr: Seid Wächterinnen und Wächter, bleibt in Erwartung. So gerät in das Leben der Zurückbleibenden ein eine Spannung.

Anders als im Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen wird hier niemandem gedroht. Keiner sagt, “Ich kenne Euch nicht”, im Gegenteil: Der Herr kennt die Seinen. Indem er jedem seine Aufgabe und allen Verantwortung zuteilt, erfahren sie seine Wertschätzung.

Als das Markus-Evangelium entstand, war Jesu Wiederkunft ausgeblieben, der Tempel in Jerusalem zerstört, hatte sich die Hoffnung auf das baldige Hereinbrechen des Gottesreiches nicht erfüllt.

Kein Grund zum Verzweifeln, erfahren wir. Wacht! Ineinem Wörterbuch fand ich, dass unser deutsches Wort „wachen“ verwandt ist mit „wachsen.“ Es hat seine Wurzel im „Lebendigsein“, „in Blüte stehen“.

Dem Aufruf zur Wachsamkeit zu folgen, ist eine zweiseitige Sache: Esbraucht das Ziel – das setzt der Hausherr: Es ist seine Wiederkunft „wenn die Zeit erfüllt ist“, eine andere Zeit, die alles ändert, der kairos. Unsere Aufgabe ist es, sich auf dieses Ziel auszurichten. Um zu bestehen, erhalten wir vom Hausherrn die Ausrüstung. Simone Weil nennt sie die Fähigkeit unserer Seele, zu lieben. Sie ermöglicht uns, die empfundene Abwesenheit Gottes in unserer zerrissenen unfriedlichen Welt zu überbrücken. Behält sie beharrlich ihre innere Ausrichtung auf das Ziel hin, wie ein Kompass in undurchdringlichem Nebel, dann, so glaubt Simone Weil, „naht sich Gott eines Tages selbst und zeigt sich ihr.“ „Die Seele muss fortfahren, ins Leere hinein zu lieben, oder zumindest lieben zu wollen, sei es auch nur mit dem winzigsten Teil ihrer selbst. … Hört die Seele auf zu lieben, so stürzt sie.“(1)  Heute erinnern uns unsere Adventslieder an das Ziel unserer Seele. Ein Blick in ihre Entstehungszeit zeigt uns: Viele sind in unsicheren, gefährlichen, finsteren Zeiten entstanden. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ entstand 1642, mitten im Dreißigjährigen Krieg. „Es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich, der Heil und Leben mit sich bringt, derhalben jauchzt, mit Freuden singt.“

Mein lieber Kollege aus der Partnergemeinde Wageningen in den Niederlanden, Johannes Diepersloot, beschenkte uns am vorletzten Wochenende mit einer Meditation über Lk 21, einer Rede Jesu, die von der unsrigen nicht weit entfernt ist. Es geht um das Ausharren in extremen Zeiten, mitten im Weltgericht. Daraus möchte ich jetzt vortragen:

Die gesamte Heilige Schrift bezeugt: Gott ist ein Gott der Lebenden! Es ist krankhaftes Heidentum, wenn uns jemand mit dem Verweis auf das Unglück und die Gewalt in der Welt davon überzeugen will, dass Gott Tote braucht.

Gott ist ein Gott der Lebenden, das ist der cantus firmus (der Rede von Jesus. Immer geht es) um die Verheißung, dass der Menschensohn kommen wird.


Darum ist die Predigt Jesu:

-kein Aufruf zur Angst, sondern ein Aufruf, uns aufzurichten;

-kein Aufruf, den Kopf hängen zu lassen, sondern ihn zu heben;

-kein Aufruf aufzugeben, sondern wachsam zu sein;

-kein Aufruf, das Unvermeidbare klaglos hinzunehmen,sondern zu beten.


Jesus ist ein Prediger, kein Wahrsager; es geht in seiner Predigt nicht um die Ereignisse, die kommen werden, sondern um die Absicht, die Bedeutung, um den Sinn der Geschichte.


Ergibt in seiner Rede nicht allen Bedrängnissen Aufmerksamkeit, jedochseinem Aufruf zur Wachsamkeit: sich auszurichten auf eine neue Welt,in der der Messias herrschen wird, der Messias, dessen Hand sanft und dessen Last leicht ist.


Darumruft er seine Jüngerinnen und Jünger auf, wachsam zusein,durchzuhalten und sich nicht ausschließlich auf das zu richten,was im Moment geschieht, ... mitten in all dem Chaos wird dasKönigsreich Gottes kommen; mitten in das Chaos des Jahres 33 unsererZeitrechnung, mitten in das Chaos von 2023.


Jesussagt am Schluss seiner Rede: Wache,bete, damit du stark sein wirst.

Standzuhaltenin Krisensituationen und in Schwierigkeiten bedeutet letztendlich:

  • zu versuchen, deiner Bestimmung und Aufgabe treu zu bleiben, - und hoffentlich mit Unterstützung deiner Umgebung;
  • zu versuchen, das Leben zu leben mit der Perspektive der Verheißung, dass das Reich Gottes kommen wird;
  • zu versuchen, sich stets nach Erfüllung dieser Verheißung zu sehnen.


Beten kann sein: seufzen oder singen, bitten oder fluchen, hoffen oder warten, damit dir die Kraft gegeben wird, deiner Bestimmung treu bleiben zu können, die dir zur Quelle wird, baharrlich zu sein – egal was auch immer passiert.


Darum lasst uns weiterhin beten -  egal auf welche Art und Weise – für uns selbst, aber auch vor allem für die anderen, die kein gutes Leben haben, in Israel und in Gaza, in der Ukraine und in Russland, in Libyen, in Darfur, in Myanmar, in Marokko, und ja – auch in Deutschland und in den Niederlanden.

AMEN.


(1) aus: „Die Gottesliebe und das Unglück“ In: Simone Weil, Friedhelm Kemp (Hg): Zeugnis für das Gute. Traktate, Briefe, Aufzeichnungen, München 1990, S. 13-44, Entstanden im Frühjahr 1942 im besetzten Frankreich, unmittelbar vor dem Weg ins Exil.


(2) Johannes Diepersloot, Übersetzung Ruth Eisen.

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November

2023

„Was ihr einem meiner geringsten Schwestern oder Brüder getan habt...“

Bruder Jeremias OSA

Lesung aus dem Buch Ezéchiel (Ez 34,11-12.15-17).

So spricht Gott, der Herr:
Siehe, ich selbst bin es,
ich will nach meinen Schafen fragen
und mich um sie kümmern.
Wie ein Hirt sich um seine Herde kümmert
an dem Tag,
an dem er inmitten seiner Schafe ist, die sich verirrt haben,
so werde ich mich um meine Schafe kümmern
und ich werde sie retten aus all den Orten,
wohin sie sich am Tag des Gewölks
und des Wolkendunkels zerstreut haben.
Ich, ich selber werde meine Schafe weiden
und ich, ich selber werde sie ruhen lassen –
Spruch Gottes, des Herrn.
Die verloren gegangenen Tiere will ich suchen,
die vertriebenen zurückbringen,
die verletzten verbinden,
die schwachen kräftigen,
die fetten und starken behüten.
Ich will ihr Hirt sein
und für sie sorgen, wie es recht ist.
Ihr aber, meine Herde – so spricht Gott, der Herr —,
siehe, ich sorge für Recht zwischen Schaf und Schaf.

+ Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus (Mt 25, 31-46).

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt
und alle Engel mit ihm,
dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen.
Und alle Völker werden vor ihm versammelt werden
und er wird sie voneinander scheiden,
wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet.
Er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen,
die Böcke aber zur Linken.
Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen:
Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid,
empfangt das Reich als Erbe,
das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist!
Denn ich war hungrig
und ihr habt mir zu essen gegeben;
ich war durstig
und ihr habt mir zu trinken gegeben;
ich war fremd
und ihr habt mich aufgenommen;
ich war nackt
und ihr habt mir Kleidung gegeben;
ich war krank
und ihr habt mich besucht;
ich war im Gefängnis
und ihr seid zu mir gekommen.
Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen:
Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen
und dir zu essen gegeben
oder durstig
und dir zu trinken gegeben?
Und wann haben wir dich fremd gesehen
und aufgenommen
oder nackt
und dir Kleidung gegeben?
Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen
und sind zu dir gekommen?
Darauf wird der König ihnen antworten:
Amen, ich sage euch:
Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt,
das habt ihr mir getan.
Dann wird er zu denen auf der Linken sagen:
Geht weg von mir, ihr Verfluchten,
in das ewige Feuer,
das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!
Denn ich war hungrig
und ihr habt mir nichts zu essen gegeben;
ich war durstig
und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben;
ich war fremd
und ihr habt mich nicht aufgenommen;
ich war nackt
und ihr habt mir keine Kleidung gegeben;
ich war krank und im Gefängnis
und ihr habt mich nicht besucht.
Dann werden auch sie antworten:
Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig
oder fremd oder nackt
oder krank oder im Gefängnis gesehen
und haben dir nicht geholfen?
Darauf wird er ihnen antworten:
Amen, ich sage euch:
Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt,
das habt ihr auch mir nicht getan.46Und diese werden weggehen
zur ewigen Strafe,
die Gerechten aber
zum ewigen Leben.

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November

2023

Talent & Ver-Antwort-ung

Bruder Jeremias OSA

12

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November

2023

Das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen (Mt 25,1-13)

Bruder Jeremias OSA

32. Sonntag A

Predigt: Br. Jeremias M. Kiesl OSA

Lesung aus dem Buch der Weisheit (Weish 6,12-16).

Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit; wer sie liebt, erblickt sie schnell, und wer sie sucht, findet sie. Denen, die nach ihr verlangen, kommt sie zuvor und gibt sich zu erkennen.

Wer sie am frühen Morgen sucht, braucht keine Mühe, er findet sie vor seiner Türe sitzen. Über sie nachzusinnen, ist vollkommene Klugheit; wer ihretwegen wacht, wird schnell von Sorge frei.

Sie geht selbst umher, um die zu suchen, die ihrer würdig sind; freundlich erscheint sie ihnen auf allen Wegen und kommt ihnen entgegen bei jedem Gedanken.

+ Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus (Mt 25,1-12).

In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis:

Mit dem Himmelreich wird es sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen mit ihren Lampen noch Öl in Krügen mit.

Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber erscholl der Ruf: Siehe, der Bräutigam! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht.

Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus! Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es nicht für uns und für euch; geht lieber zu den Händlern und kauft es euch!

Während sie noch unterwegs waren, um es zu kaufen, kam der Bräutigam. Die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen.

Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen und sprach: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.

Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.