Sie haben es erkannt, liebeSchwestern und Brüder, das „Halleluja“ von Leonhard Cohen vor Beginn unseres Gottesdienstes. Er als Jude mag den Juden Jesus. „Ich liebe Jesus. Das habe ich schon immer getan“, sagte er 1997 in einem Interview. „Ich kann auf Hebräisch beten, kann mit dem Boss hebräisch reden.“
„Er ist vielleicht der prächtigste Kerl, der je auf Erden herumgelaufen ist. Einer, der gesagt hat: „Selig sind die Armen, selig sind die Sanftmütigen“, muss eine Persönlichkeit von einzigartiger Güte, Einsicht und Verrücktheit gewesen sein. Ein Mann, der erklärt, er habe seinen Platz bei den Dieben, den Prostituierten, den Heimatlosen. Seine Position ist mit dem Verstand nicht zu fassen. Es ist eine unendliche Großmut. Eine Großmut, die die Weltordnung über den Haufen werfen würde, wenn sie Schule machen würde, denn nichts könnte diesem Mitgefühl standhalten. Die Persönlichkeit dieses Mannes hat mich berührt – auch wenn ich weiß, was im Laufe der Geschichte durch das institutionalisierte Christentum alles angerichtet worden ist.“
Leonhard Cohen, 1984. Dieses Lied, sagt er, ist aus dem Wunsch entstanden, meinen Glauben zu bezeugen und zwar mit Enthusiasmus und Gefühl. Seinem jüdischen Glauben.
Sie hätten sich wohl gut verstanden, der Jude Jesus von Nazareth und der Jude Leonhard.
Worüber sie wohl heute reden würden? Über das, was aus den Positionen Jesu geworden ist, was sich entwickelt hat, was derzeit im Argen liegt?
Wie ist das bei Ihnen, bei uns, denken und glauben wir von der Fülle her oder vom Mangel?
Zur Zeit ist überall ja eher vom Mangel die Rede, bei den Finanzen, in der Politik, bei Fachkräften, bei Wohnungen und auch in den Kirchen herrscht Personalmangel, auch was die Mitglieder betrifft; beim Geld, na ja, weil da nicht so von geredet wird, wird’s da noch nicht so aussehen. Aber es wird schon gewarnt, was bald alles nicht mehr kommen wird und wo gespart werden muss.
Und da ist in Politik und Kirchen fast kein Unterschied... bzw. doch, weil Kirchenleitungen derzeit mehr mit sich selbst beschäftigt sind und dem beschädigten Bild von Kirche und wer wohl daran den größten Anteil hat und den Ängsten, wohin das alles führt. Festhalten an Privilegien. Macht und Strukturen, Angst und Befürchtungen, gerade in der Leitung, bringen nicht weiter, lassen kein Halleluja singen.
Ja, und wie denken wir bei uns selbst? Oder denken Sie, ich möchte jetzt gar nicht darüber nachdenken. Und außerdem soll hier ja eher von der Hoffnung die Rede sein, die uns erfüllt.
Hoffnungsvolles, das brauchen wir und war da eben bei Markus die Rede davon?
Ja, wirklich, ein bisschen mehr Heil, ein Heilungsprozess ganz hilfreich, weil es mit der Gesundheit, mit Beeinträchtigungen, manchem Leid gerade nicht leicht ist?
Könnten wir da nicht so einen Heiland, wie eben beschrieben dringend brauchen und da gibt es ja noch weitere solcher Heiland-Geschichten im 2. Testament.
Oder anders gesagt: Macht er gerade eine Pause, wie eben gehört, wo doch Krankheiten, Behinderungen, Ausgrenzungen, Hilfsbedürftigkeit, Besessenheit heute nicht weniger da sind.
Wäre dieser Heiland Jesus heute unterwegs, gäbe es da auch Wartezeiten von Monaten, volle Terminkalender, volles Programm? Gut, er musste bei keiner kassenärztlichen Vereinigung abrechnen. Er fragt nicht nach einer Krankenakte, nach Vorerkrankungen, Selbstverschulden, falscher Ernährung. Eine Diagnose – trifft er nicht, ein warum interessiert ihn nicht.
Was er macht:
Die Schwiegermutter des Petrus „fasst er an und richtet sie auf“; und anderswo heißt es, dass er die Menschen „ansah“, oft nicht anfasste und dennoch ins Leben schickte, manchmal mit einem Impuls, es künftig anders anzugehen das Leben, die Beziehung. Er nimmt Lasten ab, schenkt Freiheit, vergibt Schuld, weil Krankheit oft als Strafe gesehen wurde. Ja, und er hat auch geheilt, Kranke und Besessene, alle möglichen Krankheiten der damaligen Zeit.
Die, die sich innerlich zerbrochen fühlten, wie nicht heil und nicht richtig sein sollen und sich so fühlen. Sie erleben, dass Jesu Worte sie heilen, helfen ihnen ihr Leben so zu leben mit der Kraft, die sie haben.
Und alles, was sie leben, auch das Kaputte, das Versagte, lebt mit ihnen und das Strahlende lebt mit ihnen. Sie konnten es manchmal nicht spüren, aber sie sollten heil sein.
Da war dann plötzlich „Luft nach oben“, wie man heute so schön sagt, ganz viel Platz, ganz viel Zwischenmenschliches. Da war plötzlich wieder Zukunft.
Da hätten wir uns sicher auch eingereiht in die Menge der Hilfesuchenden.
Heilung, wer braucht das nicht? Dem Heiland begegnen, berührt, aufgerichtet zu werden, Schuld vergeben zu bekommen, Aussicht auf neues Leben. Nein, sich wahrhaftig neu, wieder lebendig fühlen und so leben.
Man wird nicht einmal und für immer geheilt, sondern immer wieder.
Die Geschichten vom „Heil - werden“ fangen immer wieder von vorn an. Und man schaut zurück und fragt, welche Wunde noch immer schmerzt und welche Narbe noch immer juckt und was eigentlich schon einmal geholfen hat. Außer „heile, heile Gänschen“ in der Kindheit.
Was hat mich stärker gemacht, als ich gedacht habe?
Ressourcen heißt das heute, Kraftquellen wie Musik, ein ganz bestimmter Ort, oder ganz anders: die Gewissheit, dass Liebe keine Gegenleistung erwartet.
Manchmal muss man allein sein, um zu heilen, und andere können einen krankmachen, unheil oder sind einfach zu anstrengend.
Und da ist noch etwas, da sind noch andere, für die er gekommen ist, zu predigen, das hieß damals die Schrift auszulegen, das Dämonische anzugehen und nicht links oder rechts liegen zu lassen. Ganz anders von Gott zu erzählen, als es damals die Regel war.
Oder, wie ich mir eigentlich Gott vorstellen darf: wie einen Raum voller Liebe, die sich nicht aufdrängt, ein Raum, in dem ich endlich heilen, heil werden kann.
Bei Jesus und seinen Heilungsgeschichten wirkt es oft so, als sei es ein Raum, wo sich zwei begegnet sind, manchmal ohne Erwartungen, ohne Druck, manchmal ganz gezielt, etwas drängend, hoffend. Und dann die Zuwendung, die Liebe, die freispricht und heilt.
Aber immer wieder ist er weg, nimmt sich eine Auszeit, selbst da oder gerade da, wo man sagen würde: jetzt geht das aber nicht, jetzt muss in Gottes Namen doch getan, geheilt, gehört, gehandelt werden. Die Menschen strömen nur so, es hat sich herumgesprochen, wie das immer so ist bei solchen Ereignissen. Doch Er lässt alles stehen und liegen und zieht sich zurück.
Es geht nicht anders, er kann nicht nur auf Hochtouren laufen, er braucht die Auszeit, um sich neu zu vergewissern, zu orientieren, ober noch das rechte Ziel verfolgt.
Vor lauter Aktivismus, unermüdlicher Tätigkeit – alles richtig undwichtig – will er das rechte Ziel nicht aus dem Blick verlieren.
Die Gefährten von Jesus blicken das nicht. Machen wir ihnen keinen Vorwurf, wir tun es auch nicht.
Er soll die Gunst der Stunde nutzen, die Woge des Erfolgs, dran bleiben, weitermachen, Eindruck machen bei den Menschen.
Einsamkeit und Gebet, das Gespräch mit Gott, Verweilen, weil Gott für ihn die Kraftquelle seines ganzen Lebens und Wirkens sind. Er weiß, ohne die Rückbindung zu Gott, kann die Bindung zum Nächsten nicht gelingen.
Das ist heute nicht anders, keinesfalls.
Eigentlich wissen wir das: so mancher Aktionismus, von einem Termin zum anderen, Druck von allen Seiten, natürlich auch global, alles im Blick behalten, Klima, Kriege, den Markt, den Gegner, den Gewinn, die Menschen, die nächste Wahl, die Position; was alles dabei verloren geht, oft unwiederbringlich, gerät aus dem Blick.
Jesus hatte damals noch keine Beratungsfirmen, keine Coaches, keinen Personaltrainer, und wovon hätte er sie auch bezahlen sollen.
Oder vielleicht doch, Coaching von seinem Vater, Gott, in der Stille, rechtzeitig, um dann wieder zurückzukehren, sich den Menschen neu und erneuert zuzuwenden. Von ihm zu predigen, dem Gott der Menschen und der gemeinsamen Zukunft, dem Reich Gottes.
Darum geht es, es soll, es ist jetzt schon angebrochen, mit ihm.
Wer soll das verstehen, als Jude?
Im jüdischen Glauben ist das Konzept von einem himmlischen Leben nach dem Tod relativ selten, ist Himmel nicht so wichtig. Wie man das jetzige Leben verbringt ist wichtig. Damals und heute.
Ich las kürzlich folgende Begebenheit: Ein Mädchen in einer Synagogen-Schule in den USA, das Mädchen ist gehörlos. Eine Lehrerin sagt zu ihr: Mach dir keine Sorgen, in der kommenden Welt wirst du hören. Aber das Mädchen antwortete: In der kommenden Welt kennt Gott Gebärdensprache.
In diesem Antwortsatz steckt doch auch etwas noch anderes, der Wunsch nach einer Welt, wo jeder Gebärdensprache kennt, wo jeder Platz für Rollstuhlfahrer hat, wo Behinderung, Blindheit, Gehörlosigkeit, verstanden ist als ein Teil unseres Lebens.
Wo Menschen mit Einschränkungen, die anders sind, sich der Normalität anzupassen haben bzw. in sie eingepasst werden
Da sind wir wieder mitten im heutigen Evangelium, im Leben Jesus von Nazareth, in seiner Nachfolge. Innehalten, dieses Ziel neu in den Blick nehmen und die nötigen Konsequenzen auch wirklich ziehen und umsetzen, jetzt. Keiner und keine ist auszuschließen.
Da ist noch immens Luft nach oben. Da gibt es noch viel zu tun. Da sollten wir dabei sein.
Gut, dass wir da sind, hier und nach dem wir Ihm im Wort begegnet sind, ihm noch beim gemeinsamen Mahl zu begegnen und danach gestärkt, etwas heiler zu gehen und zu teilen.
Vor der Sendung kommt die Sammlung, vor dem Geben das Empfangen.
Nur als Beschenkter kann ich ein Schenkender sein, nur als Gesegneter ein Segnender.
Oh, Jeremias, ich wollte Dir nicht vorgreifen.
Als Beschenkte im gemeinsamen Glauben sind wir hier, zu feiern, was sollte uns aufhalten.
Papst Franziskus hat diesen Sonntag als Sonntag des Wortes Gottes ausgerufen. Das geschieht auch mit Blick und zur Vorbereitung auf das Heilige Jahr 2025.
Das Wort Gottes steht bei uns ohnehin schon ganz im Mittelpunkt, wenn wir jede Woche uns zum ökumenischen Bibelkreis treffen oder jetzt gerade die ökumenische Bibelwoche begehen, die das Buch Genesis ins Zentrum rückt. Das soll auch in diesem Gottesdienst besonders in den Blick kommen.
„Ich wünschte, ihr wäret ohne Sorgen“, schreibt Paulus den Korinthern (wir werden diese Lesung heute weglassen). Ja, das wäre in der Tat schön, all die Sorgen mal beiseite legen zu können und ganz aus dem Vertrauen auf Gott zu leben. Aber Sorgen sind nunmal hartnäckig; sie lassen sich nicht einfach abstreifen.
Und doch können wir sie mit hier an den Altar bringen, sie vertrauensvoll zu unserem HERRN tragen. Bei ihm sind sie gut aufgehoben. Wir müssen nicht alles alleine tragen, denn er trägt mit. Er ist und bleibt bei uns. In seinem Erbarmen wird er uns auch auf seine Weise helfen. Werfen wir unsere Sorgen auf IHN; denn ER sorgt für uns.
„Das Reich Gottes ist nahe!“– Gott? Wo bist du denn?!
„Da sagte ER zu ihnen: Kommt her, mir nach!“
Gott,
und jemand muss dich aushalten,
dich ertragen, ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten,
ohne an deinem Kommen zu zweifeln.
Dein Schweigen aushalten
und trotzdem singen.
Das muss immer jemand tun
mit allen anderen
und für sie.
Ach, lass dir den Protest meiner Liebe gefallen.
Die Verhaftung des Täufers Johannes markiert den Anfang der Verkündigung Jesu. Viele Menschen lassen sich seitdem von seinem Wort in Bewegung bringen. Zuerst sind es einfache Fischer vom See Genezareth. Bald werden es Menschen unterschiedlichster Herkunft sein.
Auch wir sind hier, um Ihm zu begegnen und sein Wort zu hören. Wird es uns treffen? Was wird uns heute bewegen?
Öffnen wir uns. Sind wir jetzt ganz Ohr. Lassen wir beiseite, was uns hindert, IHM zu begegnen – IHM nachzufolgen. Ja, wir tun uns oft schwer, Gottes Wege zu verstehen – wie Jona, dieser eigenartige Anti-Prophet, der meint, sich Gottes Willen verweigern zu müssen. Wird Gott uns zur Nachfolge bringen? Uns und alle, die sich Christen nennen? Beten wir heute wieder besonders um die Einheit aller, die sich um Christus versammeln!
„Kommt und seht!“, so hat Jesus die Jünger eingeladen, die ihm folgen wollten. „Kommt und seht!“, diese Einladung Jesu gilt auch uns. Die Weihnachtszeit ist vorüber, der Alltag eingekehrt. Wir werden IHN im Alltag des Jahreskreises erfahren können, wenn wir IHM nachfolgen, wie die Jünger, von denen wir heute hören.
„Kommt und seht!“ Diese Einladung ergeht an Menschen auf der Suche, an die Jünger damals und an uns heute. Wir sind gekommen. Wir wollen sehen und erfahren, wer dieser Jesus ist. Wir wollen sein Wort hören und mit ihm zu Tisch gehen. Er schenke uns das Heil, das von Gott kommt!
Mit dem jungen Samuel antworten wir ihm: „Rede, denn dein Diener/deine Dienerin hört!“(1 Sam 3,10c).
Am Anfang meines Klosterlebens legte uns der Novizenmeister diese Geschichte von der Berufung des Propheten Samuel zur Meditation ans Herz. Mich hat sie damals sehr angerührt, weil ich mir mit meinen 20 Jahren so jung und unerfahren vorkam. Und da war die Rede von einem kleinen Jungen, der schon von Gott gerufen wird und der später der große Propheten Samuel werden wird. – Heute spricht mich die Erzählung aus vielerlei anderen Gründen an.
Samuel – es war kaum zu erwarten, dass er geboren würde. Denn seine Mutter Hannah galt ja als unfruchtbar. Die Bibel erzählt uns sehr anschaulich, wie Hanna darunter litt, kein Kind zu haben. Schließlich wird ihr Gebet erhört. Sie empfängt Samuel – um ihn dann doch wieder herzugeben: Gott zurück zu geben.
Gott ruft den kleinen Samuel. Der Kleine hört seinen Namen. Er springt auf und geht – das ist nahe liegend – zu dem Menschen, der in seiner Nähe ist: zum alten Priester Eli. Er kann die Stimme Gottes von der Stimme der Menschen noch nicht unterscheiden. Und doch lernt er es in dieser Geschichte.
Ich bleibe hängen an der Stelle, an der es heißt: „Samuel kannte den Herrn noch nicht, und das Wort des Herrn war ihm noch nicht offenbart worden.“ – So geht es uns auch! Oder wer von uns kennt schon den Herrn? Wer kennt das Wort des Herrn, den Logos, wie wir an Weihnachten gehört haben – oder die Logik Gottes? Gott bleibt für uns, auch wenn wir getauft sind, der Dunkle. Unfassbar! Rätselhaft verborgener Gott! Kaum meinen wir, etwas von ihm verstanden zu haben, wird es uns erstrecht klar: Gott bekommen wir nicht in den Griff!
„Samuel kannte den Herrn noch nicht“, sagt die Bibel – und doch spricht Gott ihn an! Der Mensch weiß noch nichts oder doch viel zu wenig von Gott, aber Gott spricht schon zu ihm. Ein vertrauter Mensch redet uns an, gibt uns einen guten Rat. Oft erst ganz spät und im Rückblick spüren wir: Da war noch mehr im Spiel. Das war Gott, der da gesprochen und an uns gehandelt hat!
Zum Glauben zu kommen heißt nicht, das und jenes für wahr halten. Glauben heißt vor allem wahrnehmen, dass Gott schon längst zu mir spricht, noch bevor ich es richtig begreifen kann. Gott ist schon früher beim Menschen, als der sich darüber bewusst wird. Einander im Glauben zu bestärken heißt vor allem, uns in dieser Wahrnehmung zu bestärken. Beachtet das schöne deutsche Wort „wahr-nehmen“: ein aktives Wort! Wahrheit ist im Deutschen selten etwas, das aus sich besteht und wirkt. Wahrheit kann sich nur dann als wahr erweisen, wenn sie auch so genommen wird!
Der kleine Samuel hört die Stimme Gottes. Ein anderer muss ihm helfen, dieser Stimme Gehör zu schenken. Der alte Priester Eli spürt: Da geschieht mehr, als an der Oberfläche sichtbar ist. Er lehrt dieses Kind einen einzigen, aber wichtigen Satz: „Wenn ER dich wieder ruft, dann antworte: „Rede, HERR, dein Diener hört!“ – Du willst Gott erfahren? Lerne zuerst hören! Glauben kommt vom Hören! Gottes Wort wahr-nehmen.
Wir Menschen missverstehen das manchmal. Da gibt es welche, die meinen, Gott würde ständig klare Anweisungen verteilen. Du musst nur die Bibel aufschlagen, behaupten sie; da findest du Antworten auf alle deine Fragen. – Bei mir klappt das nicht. Meine Fragen stehen meistens nicht in der Bibel. Und die Antworten kann ich selten 1:1 auf mein Leben übertragen.
Will Gott, dass wir in der Bibel wie in einem Kochbuch blättern: „Man nehme…“?! Das kann und will ich mir nicht vorstellen, dass Gott uns so klein hält: Als dumme Menschen, die stur nach Vorschrift handeln, ohne selber zu denken. Wie sollte das denn praktisch gehen? Auch in der Bibel schlagen Menschen die unterschiedlichsten Strategien und Wege ein, ganz oft sind's eindeutig Irrwege. Kann ich da ernsthaft davon ausgehen, dass ich auf alle meine Fragen eine Antwort finde?
Die Bibel ist kein Kochbuch. Sie ist aber Wort Gottes im Menschenwort. Sie ist eine Ermutigung, das Leben zu probieren, die Herausforderungen meines Lebens anzunehmen und als hörender Mensch meinen Weg zu suchen. Das heißt als Mensch der aufmerksam bleibt für das, was in seinem Leben passiert und was Menschen ihm sagen oder zumuten (!); als Mensch der aufmerkt, weil er weiß, dass Gott schon zu ihm spricht.
Die Bibel lädt ein, die eigenen Erfahrungen mit den Erfahrungen der Menschen vor uns abzugleichen. In der Heiligen Schrift haben sie ihren Niederschlag gefunden. Dieser Abgleich ermutigt, den eigenen, ganz individuellen Weg zu suchen. Der steht nirgendwo (vorge-)schrieben. Es ist der Weg, der entsteht, indem ich ihn selber gehe.
Ist das zu schwammig? Zu unklar? – Mir nicht! Ich bin froh über diesen Gott, der nicht klein hält und bevormundet. Gott hält vielmehr zu mir in all den Lebenslagen, in die ich gerate. Gott traut mir zu, dass ich seine Stimme höre. „Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir“ (Joh 10,27). Für so dumm hält Christus seine Schafe gar nicht!
Im heutigen Evangelium erklärt Christus den ersten Jüngern nicht sein „Regierungsprogramm“. Er verhandelt nicht mit ihnen, ob sie da mitkönnten. Er lädt sie ein, Erfahrungen mit ihm zu machen und zu teilen: „Kommt und seht!“ (Joh 1,39) Das ist wichtiger, als die richtige Lehre – oder die angebliche Antwort auf alle Fragen. Die wesentlichen Dinge sind nicht in Worte zu fassen. Das Wort muss Fleisch werden. Es muss auch in Fleisch und Blut erfahren werden. Und tatsächlich: Gott lässt sich in Jesus erfahren. Diese Erfahrungen mit Gott zu deuten, ist der Lernprozess und die Befähigung, das eigene Leben im Sinne Gottes gut zu gestalten – so kompliziert es auch verlaufen mag.
Da brauchen wir auch einander, damit wir auf die tiefen Erfahrungen erst gestoßen werden. Wir brauchen einander, um gut hinhören zu können und aufmerksam zu werden. So wie Simon Petrus seinen Bruder Andreas braucht, weil er sonst dem HERRN vielleicht nie begegnet wäre. Menschen schlagen für uns Brücken zum Glauben: Ihre Begeisterung steckt an, ihre Überzeugung lädt ein! Ich brauche immer wieder Menschen, die mir helfen, meine Erfahrungen im Licht Gottes zu deuten und die mir so Gotteserfahrungen erschließen.
Und dann muss ich selber losgehen! Selber mich auf den Weg machen, meine Erfahrungen machen – und selber die Antworten finden aus dem Geist des HERRN heraus, die noch nirgendwo geschrieben stehen. Das traut Gottuns zu! In unserem Alltag, im Kleinen wie im Großen, in unserem privaten Leben und auch im großen Leben der Kirche.
Auch in unseren ökumenischen Bemühungen dürfen wir uns nicht zu sehr von den Formalien bestimmen lassen oder von Aussagen wie: Das war schon immer so! Gott lässt uns nicht aus der Verantwortung, heute dieAntworten zu suchen, die wir heute auch brauchen. Im Hören auf den gemeinsamen HERRN wagen wir die Wege zueinander. Von den Rückschlägen sollten wir uns dabei nicht allzu sehr lähmen lassen.
Ein Trost bleibt: Leben ist nicht nur Anstrengung. Auch ein Leben aus dem Geist Gottes ist mehr als Anstrengung. Der Schlaf gehört ebenso in die Erfahrungen mit Gott. Dreimal sagt Eli zu Samuel: „Geh wieder schlafen!“ Glauben gelingt nicht in übertriebener Betriebsamkeit und großem Aktionismus oder dauernder Anspannung. Es braucht dringend diese Zeit des Leerwerdens, des Freiseins vom Zwang: „Der HERR gibt es den Seinen im Schlaf“ (Ps127,2). Es gibt das Recht und sogar die Pflicht, passiv zu sein! Es braucht die Zeit der Ruhe und Stille, damit das Wort Gottes wie ein Samenkorn in uns reifen kann. Es braucht die Haltung, die aufGott immer noch mehr vertraut als auf die eigenen, begrenzten Fähigkeiten. – „Kommt und seht!“ – Amen.
Predigt von Br. Jeremias M. Kiesl OSA
„Drei Wunder heiligen diesen Tag:
Heute führte der Stern die Weisen zum Kind in der Krippe.
Heute wurde Wasser zu Wein bei der Hochzeit (zu Kana).
Heute wurde Christus im Jordan getauft, uns zum Heil.“
Erst seit der Liturgiereform in den 60ern wurden die drei Festinhalte getrennt. Dennoch macht es Sinn, sich dieser Verbindungen bewusst zu werden und dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus nachzuspüren, bevor wir Weihnachten beenden.
„Epiphanie“. Was bedeutet das? So bezeichnet man in der Entstehungszeit des NT den Besuch des Kaisers in einer Stadt. – Wenn heute etwa der Bundespräsident zu Besuch kommt, dann inszeniert sich unser Staat. Es wird genau überlegt, wen das Staatsoberhaupt treffen soll, welche Einrichtungen er besucht, wo er eine Rede hält. Damit soll deutlich werden, wofür unser Staat steht.
Aber das ist weit entfernt vom Anspruch eines Herrscher des römischen Weltreiches. Rom ist ein Staat, in dem viele Völker miteinander auskommen müssen, die kulturell oft wenig verbindet. Rom selbst ist der Kitt, der alles zusammenhält. Der Mythos der „ewigen Stadt Rom“, wie wir noch heute sagen, ist der Identifikationspunkt für alle Völker eines Riesenreiches, das das gesamte Mittelmeer umschließt, das von Nordengland bis ans Schwarze Meer reicht.
Den überhöhenden Anspruch des unbesiegbaren, ewigen Roms übertragen die Cäsaren mehr und mehr auf ihre eigene Person, zumal sie bald gar nicht mehr in der „ewigen Stadt“ residieren. Sie verkörpern in personam den Ewigkeitsanspruch Roms, werden quasi selbst zu Göttern mit einem ungeheuren und – wie sie glauben machen wollen – unbesiegbaren Machtanspruch. Die Epiphanie des Kaisers ist also mehr als der Besuch einer Stadt. Es soll die Offenbarung des ewigen Machtanspruchs Roms sein!
In schärfstem Kontrast dazu feiert die Kirche die „Epiphanie des HERRN“ in mehrfacher Weise. Der unterschiedliche Blickwinkel der Evangelisten schafft bereits eine große Bandbreite. In der Heiligen Nacht haben wir das göttliche Kind in der Futterkrippe der Tiere gefeiert. Es sind zuerst die Hirten, die vor ihm niederfallen. Der Herrscher der Welt ist der Gute Hirte seines Volkes Israel. Diesen Guten Hirten, der seine Lämmer weidet, dem verlorenen nachgeht und mit Zöllnern und Sündern zu Tisch sitzen wird, wie das Lukas ausführlich erzählt, erkennen als erste diejenigen, die selber die harte Arbeit des Hirten kennen, weil sie Hirten sind.
Bei Tageslicht, am Weihnachtstag, kam Johannes zu Wort. Das schöpferische Wort Gottes ist das Licht der Welt, offenbart in Jesus Christus: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“(Joh 1,9). Der Herrscher der Welt offenbart sich als lebenspendende Liebe, als Fülle der Gnade, vor der die Dunkelheit weichen muss, allerdings nur bei denen, die IHN aufnehmen. Die aber bekommen Anteil an dieser Macht der Liebe, indem sie selbst zu „Kindern Gottes“ werden. Indem Johannes so mit den Worten spielt, wird schon im hymnischen Vorwort seines Evangeliums deutlich, dass die Macht Gottes einen völlig anderen Charakter hat als die Macht, die Menschen von den Herrschern erfahren.
Matthäus bringt eine dritte Perspektive ein. Seine judenchristlich geprägte Gemeinde leidet unter der Erfahrung, wie sie auch bei Johannes anklingt: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen den HERRN nicht auf“ (Joh 1,11). Im auserwählten Volk derJuden, aus dem der Großteil dieser Gemeinde stammt, teilen nur wenige den Glauben an Jesus Christus. Die Mt-Gemeinde ist selbst ins Abseits geraten, hinausgedrängt aus dem Heiligen Volk.
Doch bereits bei der Geburt des Gottessohnes Jesus wird das große Wunder, das diese Gemeinde erfährt, vorweg genommen: Aus den Heidenvölkern drängen Menschen zum Glauben und erbitten die Taufe. Sie erkennen (anders als die eigenen Leute) in Jesus den König der Juden - wie die Magoi vor Herodes formulieren.
Die Reaktion König Herodes' und der ganzen Stadt Jerusalem ist „Erschrecken“ (ἕταράχθη). Aber es ist kein heilsames Erschrecken, wie etwa bei Zacharias, bei dem sich dieses Wort auch findet. Hier wie dort lähmt es, aber bei Matthäus bleiben Herodes, die Schriftgelehrten, ja „ganz Jerusalem“ darin stecken. Allein die fremden Sterndeuter sind die Sehenden, während die Leute in der Heiligen Stadt zwar alles wissen, aber dennoch nicht zum Schauen kommen: Sie erstarren. Weder gehen sie los, noch suchen sie.
Oder Herodes: Der „heimlich“ die Sterndeuter zu sich ruft, um Erkundigungen einzuziehen. Was wird er mit den Informationen treiben? Dabei ist jetzt die Zeit des offenbar Werdens: Gott zeigt sich – aller Welt! – Das ist Vorwegnahme dessen, was Mt im Ev erzählt.
Epiphanie und das Fest der Taufe des HERRN im Jordan fallen an diesem Wochenende quasi zusammen. Über die verborgene Zeit des Lebens Jesu in Nazareth wissen wir nichts. Doch in der Begegnung mit dem Täufer Johannes spürt und erfährt Jesus: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden!“(Mk 1,11) Der Evangelist Markus lässt eine Erzählung von der Geburt sogar ganz weg und steigt mit diesem Evangelium ein. JETZT ist die Zeit erfüllt: JETZT beginnt das Wirken des Gottessohnes, JETZT sind Heil und Herrschaft Gottes angebrochen!
Diese Heilszeit beginnt mit der Liebe des Vaters. Sie wird dem Sohn zugesprochen – und durch den Sohn jedem Menschen, der auf ihn hört. Mit dieser großen Zusage entlässt uns die Liturgie in den Alltag des Kirchenjahres. Darin zeigt sich die Herrschaft Gottes: In der Liebe. SIE ist Gottes Epiphanie! So kommt Gott zur Welt, obwohl der Sohn stärker ist als der eindrucksvolle Prophet Johannes der Täufer, der von ihm sagt: „Ich bin es nicht wert, mich zu bücken, und ihm die Riemen der Sandalen zu lösen.“ (Mk 1,7c). Also doch mehr als ein Kaiser. Seine Epiphanie aber ist die Liebe.
Diese Liebe zieht sich wie als roter Faden durch die vier Evangelien. Der Alltag des Wirkens Jesu beginnt im Joh-Ev sogar beim Fest der Liebe. Er wirkt sein erstes „Zeichen“ und „offenbart [dadurch] seine Herrlichkeit“ (vgl. Joh 2,11), durch das seine Jünger zum Glauben kommen (ebd.), bei der Hochzeit von Kana.
Etwas von diesem wunderbaren Zeichen der Hochzeit von Kana feiern wir in jeder Eucharistie. Wir legen schier lächerlich wenig Brot und Wein auf den Altar. Doch erfahren wir im Glauben die Fülle des Lebensbrotes und des Bundeskelches. Es ist die Zeit des Festes, in der unser Mangel durch Gottes Fülle aufgehoben wird. Es ist erfüllte Zeit, die uns geschenkt ist.
Noch mehr feiern wir natürlich in jeder Eucharistie Tod und Auferstehung Jesu. Sein Tod hat uns auch an Weihnachten in jeder Messe begleitet. Durch die weihnachtlichen Märtyrerfeste etwa des hl. Stephanus oder der Unschuldigen Kinder musste uns bewusst werden, dass Nachfolge Jesu Schmerz und Leiden nicht ausschließen. Krippe und Kreuz gehören zusammen.
Aber in der Auferstehung Jesu geschieht wiederum Epiphanie. Der Auferstandene „zeigt sich“. Er „offenbart“ sich den Jüngern. Seine Epiphanie macht den Sieg der Liebe deutlich: Gott lässt seinen Sohn nicht im Stich und erweckt ihn. Der Tod hat keine Allmacht! Christus hat durch seine Hingabe für alle ewiges Leben errungen.
Epiphanie. Gott besucht diese Welt. ER besucht unsere Stadt. ER besucht uns hier in diesem Gottesdienst. ER offenbart uns, wer ER für uns ist. Damit entlässt ER uns in den Alltag des Kirchenjahres. Längst sind nicht alle Fragen beantwortet. Aber mit diesem Schlüssel können wir den Sinn unseres Lebens erschließen.
Epiphanie: Gott ist Liebe. – ER möge uns damit anstecken! Amen.